Was lange währt, wird gar nicht gut

Umbau des ÖPNV-Knotens Berlin-Schöneweide

Berlin wird um ein Kapitel seltsamer Nahverkehrsplanungen reicher. Seit 2008 bemüht sich der Senat um eine Lösung für die Zukunft des Bahnhofs Schöneweide. Nachdem die heute leider üblichen Verzögerungen bei der Planung dazu führten, dass das alte Planfeststellungsverfahren (PFV) nach Änderung zahlreicher Vorschriften nicht mehr genehmigungsfähig ist, soll das ganze Verfahren nun neu durchlaufen werden; leider mit den alten verkehrspolitischen Zielen und Folgen, die die Leitsprüche des neuen Senats teilweise konterkarieren.


IGEB Stadtverkehr

26. Dez 2017

Die Ausgangslage

Der Bahnhof Berlin-Schöneweide und sein Umfeld befinden sich immer noch fast im Zustand des letzten Umbaus in den 1970er Jahren. Dazu kommt der erschreckend schlechte Pflegezustand aller Anlagen.

Die grundlegenden Planungsmängel der alten Anlagen sind: die langen Umsteigewege zwischen Bahn und Tram/Bus, die Isolierung des Bahnhofs von seinem nördlichen Einzugsgebiet (Niederschöneweide) durch die siebenstreifige Michael-Brückner-Straße, die Umwege für einen barrierefreien Zugang vom südlichen Einzugsgebiet (Johannisthal), die schlechten Umsteigeverhältnisse zwischen den nördlich und südlich des Bahnhofs verlaufenden Buslinien und die beschränkte Nutzbarkeit der Wendeschleife für Bus und Bahn auf der Südseite.

Der letzte Punkt fiel bisher nicht ins Gewicht, weil hinter dem Einzugsgebiet Johannisthal die Grenze und damit auch das Ende des Straßenbahn-Bereichs lagen. Spätestens mit Eröffnung der Neubaustrecke Wista II von Adlershof nach Schöneweide wird die Schaffung einer Wendemöglichkeit für von Süden kommende Straßenbahnen aber unumgänglich. In diesem Zusammenhang bietet sich eine gleichzeitige Verbesserung der unübersichtlichen und beengten Wendestelle für die Busse an.

Um die Straßenbahndurchfahrt unter den S-Bahn- und Regio-Gleisen möglichst schmal und billig ausführen zu können, ist eine in der Position ungünstige Haltestellenlage geplant, bei der Fahrgäste entweder ein weiter Weg auferlegt wird, oder die Gleise im Haltestellenbereich überschritten werden müssten. Stattdessen fordert die IGEB, den Tunnel breiter auszuführen, die Haltestellen unter die Bahnsteige zu verlegen und direkte Abgänge zu schaffen. Sollte dies nicht möglich sein, wäre alternativ eine Bahnhofsumfahrung denkbar, bei der Straßenbahn- und Busfahrgäste gleichermaßen von querungslosen direkten Umsteigewegen profitieren würden. Grafiken: Holger Mertens

Die Isolierung des Bahnhofs von Niederschöneweide aus war damals so gewollt, weil der betreffende Abschnitt im Straßenzug Köpenicker Landstraße - Adlergestell liegt, der damals eine wichtige Zubringerfunktion zum Flughafen Schönefeld und zum nationalen Autobahnnetz hatte; deshalb sollte der Querverkehr zu dieser Achse möglichst minimiert werden. Während die Straßenbahn nicht zu vernünftigen Kosten in einer anderen Ebene versteckt werden konnte, war das mit den Fußgängern machbar, die einen Tunnel bekamen, der erst im Zuge eines EU-geförderten Umbaus in den 1990ern barrierefrei wurde.

Mittlerweile hat sich aber die großräumige Verkehrslage grundlegend gewandelt. Die Zubringerfunktion für den Straßenverkehr von damals nimmt heute die Teltowkanal-Autobahn A113 wahr und im Zuge der städtebaulichen Aufwertung (oder auch Gentrifizierung) der Wohngebiete Ober- und Niederschöneweide ist auch der Bedarf für eine fuß- und radfreundliche Erreichbarkeit aus diesen Gebieten stark gestiegen. Oberschöneweide ist seit 2007 durch eine Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer über die Spree besser an den Bahnhof angebunden.

Der Zustand des Fußgängertunnels zeigte trotz mehrmaliger Renovierung, dass eine solche Anlage immer nur zweite Wahl gegenüber einer ebenerdigen Straßenquerung ist, bei der keine wartungsintensiven und trotzdem ausfallenden Fahrtreppen und Aufzüge nötig sind; schließlich setzte ein Brandanschlag in der Silvesternacht 2016 den Tunnel ganz außer Betrieb und das zeigt deutlich, welche Kosten und Hindernisse der frei fließende Autoverkehr verursacht.

Die Planung des Senats

Der Fahrgastverband hat schon vielfach die seit dem Mauerfall gegebenen Versprechen der jeweils Regierenden für besseren öffentlichen Verkehr als Lippenbekenntnisse entlarvt. Auch der Umbau des Bahnhofs Schöneweide ist ein besonders deutliches Zeichen dafür, worauf wir schon bei Einleitung des alten Planfeststellungsverfahrens im SIGNAL Heft 6/2008 hinwiesen (Grafik „Geplant“). Hier noch einmal in Kurzform unsere Hauptkritikpunkte:

  1. Der wichtigste Mangel der Altanlage wird durch die Senatsplanungen nicht beseitigt: umsteigende Fahrgäste müssen weiterhin lange Wege zwischen Straßenbahn und Bus einerseits sowie S- und Regionalbahn andererseits zurücklegen und einen Teil davon sogar wie heute ohne Wetterschutz.
  2. Das Umsteigen zwischen den Buslinien auf beiden Seiten des Bahnhofs wird ebenfalls nicht verbessert. Weiterhin muss von den Johannisthaler Buslinien durch das gesamte Bahnhofsgelände zur Linie 165 Treptow - Köpenick gelaufen werden.
  3. Die Fahrgäste müssen jahrelange Betriebseinschränkungen hinnehmen, ohne dafür durch die angesprochenen Verbesserungen entschädigt zu werden.
  4. Der gesamte Umbau firmiert unter „Verbesserung des ÖPNV-Knotens“ und wird darum aus dem Haushalt für den öffentlichen Verkehr finanziert, obwohl der Autoverkehr den größten Nutzen davon hat; die Entfernung der Straßenbahn aus der Bahnunterführung am Sterndamm schafft für den motorisierten Individualverkehr zwei zusätzliche Fahrspuren!
„Durch diese hohle Gasse muss sie kommen“, die Straßenbahn aus Johannisthal. In nahezu gerader Verlängerung der Brückenstraße wird der hinten zu sehende Bahndamm der Görlitzer Bahn unter den Bahnsteigenden des Bahnhofs Schöneweide durchstochen. Foto: Matthias Gibtner

Besonders Punkt 4 muss bedenklich stimmen, denn für den motorisierten Individualverkehr (MIV) stehen mit den benachbarten Unterführungen Rixdorfer Straße, Rudower Chaussee und Köpenicker Straße (Glienicker Weg) mehrere leistungsfähige Alternativen zum Queren der Görlitzer Bahn in Richtung Autobahn zur Verfügung. Indem der Autoverkehr gefördert und erleichtert wird mit Mitteln, die dem ÖPNV entzogen werden, distanziert sich der Senat ein weiteres mal von seinen offiziellen verkehrspolitischen Zielen.

Die Alternativen

Die wichtigste Forderung der Fahrgäste nach kurzen Umsteigewegen zu den Bahnsteigen lässt sich am besten mit der Platzierung der Haltestellen unter dem Bahndamm mit direkten Treppenverbindungen auf die Bahnsteige realisieren. Dafür kann man von zwei grundsätzlichen Prämissen ausgehen: entweder der geplante Querschnitt des neuen Tunnels unter den Bahngleisen wird nicht aufgeweitet, dann ist die zusätzliche Anordnung von Haltestellen für beide Straßenbahngleise nicht möglich. Darum wäre eine Lösung mit Richtungsbetrieb der Straßenbahn durch beide Unterführungen hier angebracht. Oder die Haltestellen beider Richtungen werden in dem neuen Tunnel angeordnet, der dazu einen deutlich aufgeweiteten Querschnitt bekommt.

In beiden Fällen sollten die Bushaltestellen und die Buswendeschleife mit der Straßenbahn kombiniert und dadurch kurze Umsteigewege zwischen den nördlichen und südlichen Buslinien geschaffen werden.

Wenn dadurch der MIV auf seine geplanten vier exklusiven Fahrspuren unter der Brücke „Am Sterndamm“ verzichten muss, dürfte das angesichts der oben geschilderten vielfachen Verbesserungen für den Umweltverbund und der verkehrspolitischen Ziele dieses Senats kein Problem sein.

Die eingleisige Umfahrung

In der Grafik „Alternative“ ist das Prinzip der eingleisigen Führung mit Tunnelhaltestelle unter den Bahnsteigen zu sehen. Die vom Sterndamm kommenden Buslinien sollten denselben Weg nehmen und lediglich ihre Aufstellflächen separat bekommen. Diese Variante bietet in allen Relationen die besten Umsteigebedingungen und integriert die von beiden Seiten nutzbare Wendeschleife ohne übermäßigen Platzbedarf in die durchgehende Streckenführung.

Die Eisenbahnbrücken über den Sterndamm. Der alte Senat hatte keine Aufweitung der Durchfahrt bestellt und wollte den Straßenbahntunnel dazu nutzen, den eigenen Bahnkörper der Straßenbahn dem Autoverkehr zuzuschlagen. Foto: Matthias Gibtner

Vom Grundgedanken der eingleisigen Bahnhofsumfahrung ausgehend, bietet sich nur für die Fahrtrichtung Süden die Haltestellenlage unter den Brücken am Sterndamm an. Um aussteigenden Fahrgästen der von Norden kommenden Linien einerseits den barrierefreien Weg zu den Bahnsteigen zu verkürzen und andererseits die Geschäfte im und um den Bahnhof leichter zugänglich zu machen, sollte unmittelbar vor dem alten Empfangsgebäude eine weitere Haltestelle angelegt werden - also noch näher am Eingang als die heute bestehende.

Die von Johannisthal kommenden und hier endenden Buslinien könnten dann parallel zur Straßenbahn vor der Brückendurchfahrt ihre Wartepositionen und Einstiegshaltestellen bekommen. Damit würden lediglich die Aufstellgleise der Straßenbahn südlich des Bahndamms verbleiben, die aber ohne weitere Haltestellen-Ausstattung nur noch einen Bruchteil der vom Senat geplanten Wendefläche beanspruchen würden. Außerdem wäre durch die Haltestelle in der Michael-Brückner-Straße das Umsteigen zum Bus auf derselben wesentlich einfacher.

Aufgrund der starken Belegung der ÖPNV-Spuren und -Haltestellen ist auch unter den Bahnbrücken eine vollständig vom MIV separierte Führung ratsam. Da alle Abbieger in die Straße „Am Sterndamm“ nur einspurig trassiert sind, stellt der ebenso große Querschnitt unter den Bahnbrücken keine Kapazitätseinbuße für den Autoverkehr dar.

Kritiker werden dieser Lösung die Eigenkreuzung der Straßenbahntrasse vorwerfen, die zu einer begrenzten Durchlassfähigkeit führt. Hierzu zwei Entlastungsargumente:

Statt des eingangs angesprochenen gesperrten Fußgängertunnels sollte eine nutzerund stadtverträgliche Anbindung des Bahnhofs an den Ortsteil Niederschöneweide über eine lichtsignalgeregelte Fußgängerquerung erfolgen, deren Phasen das Überqueren der gesamten Straßenbreite in einem Zug ermöglichen müssen. Die dafür nötigen Sperrzeiten für den Autoverkehr sollten ausreichen, genügend Straßenbahnen passieren zu lassen.

Die prognostizierten Zugzahlen, die den „Engpaß“ Richtung Brückenstraße passieren werden, liegen bei maximal 18 pro Stunde und Richtung in der Hauptverkehrszeit (HVZ), sonst 12-15. Also nur alle 3-4 Minuten passiert eine Bahn diesen Knoten in jeder Richtung. Da bleiben genug Zwischenzeiten sowohl für das Kreuzen der Gegenzüge als auch für den querenden MIV.

Auf der Seite Johannisthal kommen zwar auch die in die Schleife fahrenden Busse dazu, aber die auf dem Sterndamm geringere MIV-Belastung lässt dort längere Sperrzeiten zugunsten des öffentlichen Verkehrs zu. Offiziell war die Entlastung dieser Straße einer der Gründe für die mit Millionenaufwand gebaute Teltowkanal-Autobahn.

Ein weiterer Gewinn dieser Variante wäre die Nutzbarmachung des Geländes südlich des Bahndamms für die Stadtentwicklung, da dort keine großflächige Kombi-Wendeschleife benötigt wird. Die an dieser Stelle verbleibenden parallelen Aufstellgleise der Straßenbahn nehmen nur einen Bruchteil des Platzes der Senatslösung ein, während das Gelände nördlich des Bahnhofs von der Lage und Fläche ideal für alle Funktionen eines ÖPNV-Knotens geeignet ist.

Die zweigleisige Unterführung mit Haltestelle

Langer Weg von den bisherigen Haltestellen zum Bahnhofseingang (rechts außerhalb des Bildes), dann folgt noch ein längerer Weg im Bahnhof. Laut Senatsplanung verkürzt die neu zu bauende Haltestellenlage (im Rücken des Fotografen) diesen Weg nicht wesentlich. Foto: Matthias Gibtner

Die Grafik „Gefordert“ zeigt das Prinzip der Haltestellenlage nach Bau eines aufgeweiteten ÖPNV-Tunnels. Gegenüber der Alternativlösung müssen sich die Straßenbahn-Fahrwege nicht mehr kreuzen und die geplante Südzufahrt mit der Wendeanlage für die Straßenbahnen muss nicht umgeplant werden. Die wichtigste Verbesserung ist die Lage beider Richtungshaltestellen am barrierefreien Hauptzugang der Bahnsteige. Wenn die Busse auch davon profitieren sollen, dann müssen sie auf der Nordseite wenden.

Wenn die Kombi-Wendeschleife in der vom Senat geplanten Form gebaut wird, ist der Hauptnachteil die schlechtere Einbindung der Buslinien von der Südseite. Das betrifft sowohl das Umsteigen zu den Bahnen als auch die Verbindung der Buslinien untereinander auf beiden Seiten des Bahnhofs. Trotz dieser Nachteile sei aber nochmals betont: gegenüber der Senatsplanung wäre auch das noch eine Verbesserung, insbesondere für die Straßenbahnfahrgäste!

Angesichts der Tatsache, dass vor allem die Straßenbahn über Jahrzehnte ein Opfer schlecht geplanter Infrastrukur-Neubauten wäre, wurde diese Lösung von uns präsentiert, um den Bedenkenträgern in den Planungsbüros zu zeigen, dass ohne Scheuklappen für unkonventionelle Lösungen sogar mehrere Alternativen zur bestehenden Planung möglich sind.

Fazit

Die bisher verfolgte Senatsplanung weist aus Fahrgastsicht mehrere schwerwiegende Mängel auf. Das davon ausgerechnet der Autoverkehr profitiert, ohne dafür zu bezahlen, ist angesichts der offiziell verkündeten neuen Senatspolitik ein guter Grund, Alternativen für das Planfeststellungsverfahren zu entwickeln. Ein „weiter so“ wäre hier der eigentliche Skandal.

Die zwei Vorschläge des Berliner Fahrgastverbandes zeigen die geforderten Alternativen mit besseren Umsteigemöglichkeiten, optimierter Einbindung des Busverkehrs und der Nutzbarmachung städtebaulicher Entwicklungsflächen im südlichen Bahnhofsumfeld.

Der Umsteigeverkehr zwischen Straßenbahn, Bus, S-Bahn und Regionalverkehr ist in Schöneweide zu allen Tageszeiten enorm und wird durch die Ausweitung des Angebots in Zukunft noch zunehmen - warum er in den Planungen so schlecht weg kommt, ist für die IGEB unverständlich. Foto: Matthias Gibtner

Kritikern, die eine jahrzehntelange Verzögerung des Umbaus befürchten, ist zu sagen: Wir erwarten für dieses und alle künftigen Planfeststellungsverfahren eine sachgerechte und darum auch zügige Durchführung durch den Senat und die BVG. Solche Pannen wie das drohende Verfallsdatum für die Straßenbahn Wista I in Adlershof oder den Verlust der Genehmigungsfähigkeit für den Umbau Schöneweide sollten dann ausgeschlossen sein. Trotzdem sollte bei langlebigen Bauinvestitionen die nötige Sorgfalt an den Tag gelegt werden. Bahn-Infrastruktur ist keine Bananen-Ware, die beim Kunden noch reift. Einmal gebaut, müssen Stadt und Bürger für Jahrzehnte damit leben. Darum Augen auf bei der Entwurfswahl und Alternativen sorgfältig prüfen! (af)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 6/2017 (Dezember 2017 / Januar 2018), Seite 16-18