Titelthema Straßenbahn-Ausbau
Planfeststellungsverfahren für Strecke zum U-Bahnhof Turmstraße gestartet
21. Mär 2018
Am 5. Februar 2018 war der Tag, an dem die Berliner Mauer genauso lange verschwunden war, wie sie zuvor stand. Dennoch sind die Spuren der Teilung noch immer unübersehbar, gerade bei der Straßenbahn. Obwohl Berlin das größte Straßenbahnnetz Deutschlands hat, gibt es im einstigen West-Berlin erst 6,5 km. Das ist nur wenig mehr als in der Gemeinde Woltersdorf.
Unter dem rot-rot-grünen Senat soll sich das nun ändern. Die Agenda ist durchaus respektabel und, da das erste Jahr dieser Stadtregierung schon vergangen ist, ohne dass ein einziger Planfeststellungsbeschluss gefasst wurde, mittlerweile auch ambitioniert.
Zur Erinnerung: Ziel der Koalitionsvereinbarung ist es, schon in der ersten Legislaturperiode vier Bauvorhaben abzuschließen, vier weitere anzufangen und nochmals vier Strecken zu planen. Das ist zwar immer noch möglich, aber Eile ist geboten.
Für zwei der vier bis 2021 zu realisierenden Projekte gibt es nun wenigstens eingeleitete Planfeststellungsverfahren: für die Anbindung des Bahnhofs Ostkreuz (siehe Seite 7) und für die Neubaustrecke vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße. Für das dritte Projekt Wissenschaftsstadt—Bf. Schöneweide soll das Verfahren jetzt ebenfalls eingeleitet werden. Das vierte Projekt, der zweigleisige Ausbau der Straßenbahn zum Bahnhof Mahlsdorf, ist kein Neubau im eigentlichen Sinne, aber dennoch so im Verzug, dass es bis 2021 nicht mehr umgesetzt werden kann.
Die Neubaustrecke Hauptbahnhof—U-Bf Turmstraße mit der Anbindung von Moabit an Berlin Mitte wird die am besten genutzte werden. Eine von Anfang an im 5-Minuten-Takt fahrende Metrotram ist denn auch das adäquate Ziel der Planung. Schon vom Beginn der Trassenfindung bis zur jetzt vorliegenden Detailplanung begleitete der
Berliner Fahrgastverband IGEB dieses Vorhaben konstruktiv (siehe u. a. SIGNAL 3/1998 und 3/2013). Darum hat die IGEB sich auch jetzt mit Anregungen für Verbesserungen im Rahmen des gesetzlichen Verfahrens eingebracht. Diese werden im Folgenden vorgestellt.
Gerade im Innenstadtbereich ist die Straßenbahn vielfältigen Behinderungen ausgesetzt, die in Form polizeilicher Anordnungen (wie beim Berlin-Marathon) sogar von den Landesbeamten selbst kommen. In der Vergangenheit reagierte die BVG darauf meist mit einer Vogel-Strauß-Politik: statt aktiver Gegenwehr wurde der Betrieb ersatzlos eingestellt – und die Fahrgäste waren die Dummen. Ein beliebtes „Argument“ von BVG und Senat war die unflexible Netzgestaltung, die mangels Weichen oder Wendeschleifen eine enge Begrenzung des jeweils gesperrten Bereiches unmöglich machte. Das jahrelange Nichthandeln aller Verantwortlichen entlarvte das öffentliche Bedauern über solche Unannehmlichkeiten als Krokodilstränen. Spätestens seitdem wieder Zweirichtungswagen in großer Zahl verfügbar waren, war der mangelnde Wille zu zeitgemäßem Verkehrsmanagement offensichtlich (und wenn dann doch einmal ein Gleiswechsel eingebaut wurde, wie am Nordbahnhof, dann in einer nicht kurzfristig nutzbaren Position).
Daher fordert die IGEB, dass die neue Strecke nach Moabit die erste sein muss, die auch bei plötzlichen Störungen im Umfeld noch disponierbar bleibt. Wenn nicht, dann wäre der schlechte Ruf einer unzuverlässigen Straßenbahn eine schwere Hypothek für alle weiteren Ausbaupläne des Netzes. Zu diesem Zweck sollte mindestens ein Gleiswechsel an der Haltestelle Hauptbahnhof installiert werden, der sowohl bei Störungen im östlich gelegenen Bestandsnetz einen Inselbetrieb Hauptbahnhof—Turmstraße zulässt als auch bei eventueller Sperrung der Wendeschleife (weiträumige Blockumfahrung über zwei Haltestellen in der Nähe des Regierungsviertels) die Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs von Osten sichert. Um beiden Zwecken zu genügen, wären zwei Gleiswechsel (jeweils vor und hinter der Haltestelle) angebracht.
Das planerisch interessanteste Stück der neuen Strecke liegt gleich hinter der Haltestelle Hauptbahnhof, noch im Bereich der heute schon genutzten Wendeschleife. Die Bestandsstrecke verläuft hier eingleisig Richtung Westen als Blockumfahrung zur Straße Alt-Moabit.
Die Straße besteht in diesem Bereich aus nur einer vierspurigen Fahrbahn, wobei die beiden nördlichen Fahrstreifen für den Autoverkehr Richtung Westen freigegeben sind, der mittige davon wird von der Straßenbahn lediglich in klassischer Weise mitgenutzt. In die Gegenrichtung (also zum Hauptbahnhof und Stadtzentrum hin) wurde wegen der größeren Staugefahr eine separate Busspur eingerichtet, die erst hinter der Zwischenhaltestelle Lesser-Ury-Weg endet, um vor dem letzten großen Kreuzungsbereich einen zweispurigen Stauraum zu schaffen.
Und was planen Senat und BVG? Die Abschaffung des Sonderfahrstreifens zusammen mit der Einführung der Straßenbahn! Die Tram soll nach deren Willen auch Richtung Osten lediglich eine Autofahrspur mitbenutzen und sich zusammen mit der verbleibenden Buslinie 245 in den Stau stellen. Die Pläne sehen einen LSA-gesicherten Spurwechsel hinter der Haltestelle vor, der durch die separate Phase zu Wartezeiten bei Tram und Autos führen wird und danach soll sich die Straßenbahn wie der Bus eine Spur mit den Autos Richtung Hbf teilen. Durch dieses schlechtest denkbare Design werden sämtliche Verkehrsteilnehmer ausgebremst – für einen Neubau eine Kunst.
Der Fahrgastverband fordert: Sichert die Busspur als künftigen ÖPNV-Fahrstreifen für Bus und Tram und lasst beide dieselbe Haltestellen-Infrastruktur nutzen. Dazu muss das neue Straßenbahngleis nicht unbedingt wie die vorhandene Busspur an den Bordstein gelegt werden, aber das wäre auch eine Variante. Die andere Möglichkeit ist die Anordnung der Kombispur auf der mittleren Fahrbahn, so dass auch der Bus das überfahrbare Haltestellenkap nutzen kann. Dahinter sollte die Tram dann aber unbedingt einen eigenen begrünten Bahnkörper bekommen, während der Bus auf die Straße wechseln muss.
Und noch ein Mangel fällt hier auf. Obwohl zur Zeit des Baues dieser Wendeschleife bis 2014 schon die ab 2022 geltenden Anforderungen an Barrierefreiheit absehbar waren, wurde beim Bau der Haltestelle Lesser-Ury-Weg darauf keine Rücksicht genommen. Und nun soll die bestehende Richtungshaltestelle auch nicht umgebaut werden, so dass dann nur eine Richtung behindertengerecht ist. Wenn durch die offizielle Planung zum Anschluss der Neubaustrecke sowieso eine Sperrung der Endschleife nötig wird, warum soll dann diese Gelegenheit zur schnellen Verbesserung der Infrastruktur ungenutzt bleiben?
Der weitere Trassenverlauf mit einem weitgehend eigenen Bahnkörper in Straßenmitte, meist als Rasengleis ausgeführt, ist grundsätzlich schon mehrfach beschrieben worden und auch nicht zu beanstanden. Allerdings entstehen durch die dogmatische Anordnung aller Haltestellen als Mittelbahnsteig mehrere Nachteile für die Fahrgäste.
Der Straßenbahnkunde steht bei solchen Haltestellen immer in der Mitte zwischen allen Autofahrspuren ohne Rückzugsmöglichkeit von Abgasen und Lärm, zu erleben z. B. bei modernisierten Haltestellen im Ruhrgebiet (Bochum, Essen, Mühlheim).
Auch der Wetterschutz ist bei Mittelbahnsteigen nicht optimal, denn diese werden meist, so wie auch an dieser Strecke, nur aus einem Grund gebaut – um Platz zu sparen. Also sind sie für beide Richtungen nicht viel breiter als ein Seitenbahnsteig für eine Richtung. Damit reicht der Platz nicht, um Wartehäuschen mit Drei-Seiten-Wetterschutz aufzustellen, denn man kann hier keine Bahnsteigrückseite zum Aufstellen der Schutzbauten nutzen. Deshalb ist zu befürchten, dass nur die einfachen Mittelwände als Dachträger aufgestellt werden, die bei entsprechender Windrichtung wie ein Flugzeugleitwerk arbeiten. So kommen zu Lärm und Abgasen noch Wind und Regen dazu.
Schließlich erzwingen Mittelbahnsteige immer getrennte Haltestellen von Bus und Tram. Auch wenn beide in dieselbe Richtung fahren, muss der Fahrgast sich entscheiden, an welche Haltestelle er sich stellt. Das ist gegenüber dem bestehenden reinen Busbetrieb ein Rückschritt im Service. Bei der jetzt geplanten Strecke trifft das insbesondere auf die Haltestellen Lübecker Straße Richtung Turmstraße und Alt Moabit / Rathenower Straße Richtung Hauptbahnhof zu. Für die Haltestelle Lesser-Ury-Weg Richtung Hauptbahnhof wäre das Problem gelöst, wenn die oben geforderte Planänderung umgesetzt wird.
Besonders die Haltestelle Lübecker Straße muss hier angesprochen werden. Da alle hier Richtung Westen verkehrenden Straßenbahnen für mehrere Jahre an der nächsten Haltestelle enden werden, ist für die heute durchfahrenden Kunden nicht nur einfach ein abschreckender Umsteigezwang geplant, sondern zudem auch noch ein solcher mit Überquerung einer vielbefahrenen Hauptstraße. An der temporären Endstelle U-Bahnhof Turmstraße lässt sich dieser Mangel aber leider nicht beseitigen, denn der geplante Mittelbahnsteig bietet den besten Zugang zum schon vorhandenen Aufzug zur U-Bahn. Also ist die davor liegende Haltestelle Lübecker Straße die letzte Möglichkeit, den Fahrgästen ein bequemes Umsteigen zur Weiterfahrt in derselben Richtung zu ermöglichen.
An den Plänen für diese Strecke ist sehr gut erkennbar, dass sie noch unter dem Denken der alten Verkehrsplanung des Senats entstanden. Konflikte mit dem Autoverkehr werden weitgehend vermieden, stattdessen bekommen die Straßenbahnfahrgäste schlechte Wartebedingungen und der ÖPNV wird in den Autostau gestellt.
Gerade vor dem Hintergrund der nun auch gerichtlich festgestellten Pflicht der Öffentlichen Hand, für eine bessere Luftqualität den Verkehr mit Verbrennungsmotoren zu reduzieren, ist das nicht mehr nachvollziehbar. Für die künftigen Netzerweiterungen auf den anderen wichtigen Verkehrskorridoren (Potsdamer Platz—Steglitz und Oberbaumbrücke—Hermannplatz) muss mehr getan werden, um eine nachhaltige Flächenumnutzung in Berlin zu erreichen. (af)
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 1/2018 (April 2018), Seite 4-6