Titelthema Straßenbahn-Ausbau

Ostkreuz bekommt Straßenbahn-Anschluss

Planfeststellungsverfahren läuft
Eines der vier „Leuchtturmprojekte“ des rot-rot-grünen Senates zum Ausbau des Straßenbahnnetzes ist die Verlegung der Strecke von der Boxhagener Straße an den Bahnhof Ostkreuz. Auch hierfür wurde nun endlich das Planfeststellungsverfahren gestartet. Eine Umsetzung bis 2020/2021 ist somit noch möglich – falls nicht von Anwohnern der Sonntagstraße dagegen geklagt wird.


IGEB Stadtverkehr

21. Mär 2018

Die Sonntagstraße mit leisem Asphalt und neuer Haltestelle – sobald dort die Straßenbahn fährt. Der Radweg überquert das Haltestellenkap. Grafik: Renderwerke

Schon mehrfach haben wir über dieses Projekt berichtet – siehe z. B. SIGNAL 6/2012, 4/2013 und 1/2014. Ostkreuz, der wichtigste Regional- und S-Bahnhof in Berlin und Brandenburg, wird damit erstmals an ein hochwertiges Stadtverkehrsmittel angeschlossen.

Sowohl die Trassenführung als auch die technische Ausstattung (Kombitrasse, Wendeanlage am Ostkreuz, Kaphaltestellen) sind auf der Höhe der Zeit. Trotzdem hat die IGEB noch einige Mängel gefunden, die aber im Laufe des Planungsprozesses beseitigt werden können. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens haben wir die folgenden Verbesserungen vorgeschlagen.

Der Knoten Boxhagener- / Holteistraße

An dieser Kreuzung beginnt der Planfeststellungsbereich gleich mit einem bedeutenden Umsteigeknoten. Immerhin hat die wichtige Straßenbahnlinie M 13 hier ihre zum Ostkreuz nächstgelegene Haltestelle, und zusammen mit den Straßenbahnlinien 21 (und 22) sowie der Buslinie 240, die schon fast Metrolinienstandard hat, wird dieser Bereich zur zentralen ÖPNV-Drehscheibe des Boxhagener Kietzes.

Umso größer ist die Verwunderung, dass

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die neue Haltestelle für alle (künftig drei) Straßenbahnlinien nicht die für eine Metrotram nötige Länge von 60 Metern bekommen soll.

Wegen je nur zwei Parktaschen (braun) wird der Metrolinien-Standard von 60 Metern Haltestellenlänge (gelb) unterschritten. Damit würde der Einsatz von 60-Meter-Zügen auf der M 13, welche dort früher schon planmäßig eingesetzt wurden, unmöglich gemacht. Ebenso wie Umleitungen von anderen Linien. Ein Fehler, der unter anderem bereits an der Warschauer Straße und am Nordbahnhof für jahrzehntelange Einschränkungen und Folgekosten gesorgt hat. Ansonsten sind alle anderen Haltestellen auf der M 13 für 60-Meter-Fahrzeuge geeignet. Grafik: VCDB Verkehrs Consult Dresden-Berlin GmbH

Zudem befürchten wir, dass das kurze Straßenstück zwischen zwei Lichtsignalanlagen (LSA) regelmäßig von Autos verstopft wird, die sowohl das Erreichen der Haltestelle als auch die anschließende Abfahrt verhindern. Immerhin muss an beiden Enden dieses Abschnitts jeweils eine Linie die signalgesicherte Fahrtrichtung des Straßenverkehrs kreuzen, was zu Sonderphasen für die Tram mit den in Berlin leider zu befürchtenden Wartezeiten führt. Damit werden außerdem die Gesamtumlaufzeiten länger und die Leistungsfähigkeit für alle Verkehrsteilnehmer sinkt.

Wenn die neue Verkehrspolitik des Senats ernst gemeint ist, dann muss der Auto-Durchgangsverkehr aus diesem Straßenabschnitt verschwinden, womit nicht nur die geschilderten Behinderungen des öffentlichen Verkehrs vermieden werden, sondern eine bessere Schaltung der beiden LSA in der Holteistraße mit kürzeren Gesamtumlaufzeiten ermöglicht wird. Nebenbei können dann die Straßenbahngleise vor diesem Bereich in der Holteistraße von Norden und in der Wühlischstraße von Westen abmarkiert werden, so dass auch die Bahnen im Zulauf auf diese wichtige Haltestelle keine unnötigen Wartezeiten haben.

Die Haltestelle am Bahnhof Ostkreuz

Diese Haltestelle ist nicht nur der Anlass für die gesamte Baumaßnahme, sondern durch die verbundweite Erreichbarkeit auch ihr Aushängeschild. Selbstverständlich wird sie auch die meistgenutzte der gesamten Strecke werden. Der Fahrgastverband erwartet deshalb auch eine Ausstattung, die eine angemessene Aufenthaltsqualität ermöglicht.

Aus den Erfahrungen mit anderen Haltestellen unter Brücken (speziell in dieser Lage entsprechend der Hauptwindrichtung) wissen wir, dass dem Windschutz besondere Beachtung geschenkt werden sollte. Um die dafür nötigen Querwände auf den Warteflächen aufstellen zu können, ohne die Mindest-Durchgangsbreiten einzuschränken, müssen die Haltestellen breit genug sein.

Die auf der Straßenbahnneubaustrecke wichtigste Haltestelle am Bahnhof Ostkreuz bietet wegen eines Radweges am wenigsten Platz. Müssen sich die Verkehrsmittel des Umweltverbundes gegenseitig beeinträchtigen? Grafik: Renderwerke

Für den „Straßenbahnsteig“ Richtung Osten lassen sich die direkt angrenzenden Aufzugsschächte zu den Ringbahnsteigen in den Windschutz integrieren und die dazwischen liegenden Flächen als erweiterte Wartezone gestalten. Leider wird dafür sicher bürokratischer Aufwand nötig, weil diese Flächen nicht zum BVG-, sondern zum DB-Bereich gehören. Aber mit gutem Willen auf beiden Seiten sollte das möglich sein. Vorstellbar wäre zum Beispiel ein gemeinsamer Qualitätswartebereich für die Straßenbahn und die Regionalbahn auf Gleis 8 (ebenso auch die Einbindung der Straßenbahn in das Wegeleitsystem des Bahnhofs mit der Straßenbahn als Gleise 9 und 10, die bei der Eisenbahn dauerhaft frei bleiben würden).

Problematischer ist ausgerechnet die nur in BVG-, also Senats-Verantwortung liegende Haltestelleninsel der Gegenrichtung, in das Wohngebiet hinein. Die für diesen Standort nötige erweiterte Breite wird hier nicht gewährleistet, weil ein Radweg mit seiner heutzutage nötigen Mindestbreite ebenfalls über diese Fläche geführt werden soll. Hier ist die falsche Prioritätensetzung des Aufgabenträgers unverständlich: Zusammen mit der Straßenbahn entstehen in der Sonntagstraße und parallel zur Marktstraße neue Radwege, und selbstverständlich müssen Fußgänger (auch auf dem Weg zum ÖPNV) auf den vielen hunderten Metern zwischen den Haltestellen überall den Benutzern des Radwegs Vorrang gewähren. Warum sollten dann die Radfahrer bei den gegebenen beengten Platzverhältnissen im nur 60 Meter langen Haltestellenbereich nicht den Fahrgästen den Vorrang gewähren?

Ein lokaler Verzicht auf den Sonder-Radfahrstreifen wäre ein gutes Signal für den durchdachten Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Arten des Umweltverbunds. Außerdem müssten die meisten Radler in diesem Bereich keineswegs absteigen, denn im Haltestellenbereich wäre eine Nutzung der Fahrbahn problemlos möglich, weil im Durchschnitt nur alle fünf Minuten ein Wagen dort hält.

Offiziell flüchtet sich der Senat in die Aussage, dass die Möblierung der Haltestelle nicht für das Planfeststellungsverfahren relevant ist. Wenn aber im Haltestellenbereich zu wenig Platz für alle vorgesehenen Nutzungen in gebotener Qualität vorhanden ist, dann muss der Fahrgastverband im Interesse aller ÖPNV-Nutzer rechtzeitig intervenieren, da der Radweg durch seine planungsrechtliche Relevanz sonst unzulässig bevorteilt wäre.

Entsprechend der stark gewachsenen Bedeutung dieses Standortes sollte auch der Nachtbus N40 zum Ostkreuz verlängert werden. Die Erweiterung um nur zwei Stationen ist innerhalb der Wendezeit, die heute am Wühlischplatz verbracht wird, problemlos möglich. Allerdings ist in der Planung für die Haltestellen am Ostkreuz keine Vorsorge dafür getroffen worden, obwohl das leicht möglich wäre.

Die einfachste und zugleich beste Ausführung wäre eine Blockumfahrung in der Richtung Boxhagener Straße (ostwärts)—Marktstraße—Haltestelle Ostkreuz (westwärts)—Neue Bahnhofstraße—Boxhagener Straße (westwärts). Den dafür notwendigen Verbindungsbogen von der Marktstraße in die ÖPNV-Kombitrasse unter das Ostkreuz haben die Planer für Einsatz- und Rettungsfahrzeuge sogar schon vorgesehen – leider aber nicht bustauglich. Auch eventueller Schienenersatzverkehr für die Straßenbahn könnte diese Wendemöglichkeit nutzen.

Diese Ausführung hätte auch den Charme, dass alle Busse in derselben Richtung immer von derselben Haltestelle abfahren, egal woher sie kommen. So lassen sich auch die Beschriftungen im Wegeleitsystem einfach gestalten – und man kann auf teure und störanfällige elektronische Wechselanzeigen zum Auffinden der richtigen Haltestelle verzichten. Auch die Wendeanlage der Straßenbahn könnte bei minimal anderer Weichenanordnung denselben Vorteil aufweisen.

Der „Gordische Knoten“ Karlshorster Straße

Die Haltestelle Marktstraße auf einer vorbildlichen ÖPNV-Kombitrasse, Blick Richtung Ostkreuz. In die Gegenrichtung folgt leider der Engpass Karlshorster Straße mit wahrscheinlich ÖPNV-feindlicher Signalgebung. Grafik: Renderwerke

Das planerisch anspruchsvollste Stück der Strecke kommt zum Schluss. Der Planfeststellungsbereich endet mitten in einer komplizierten Dreifach-Kreuzung, durch die die Straßenbahn in einem kurzen eingleisigen Abschnitt geführt wird. Schon heute kommt es hier regelmäßig zu Behinderungen des öffentlichen Verkehrs und auch zu langen Autostaus. Weil bei der großräumigen Planung zur Umgestaltung des Ostkreuz“ von Seiten des Landes Berlin keine Brückenerweiterung bestellt worden war, bleibt der Platz auf der Straße in den nächsten 100 Jahren trotz ständigem Verkehrswachstum so knapp wie schon vor über 100 Jahren.

An dieser Stelle trennen sich die Frankfurter und die Ostbahn und beide werden von der Karlshorster Straße unterquert, die die Verbindung zwischen der Marktstraße im Norden und der Hauptstraße im Süden herstellt. Im Zwickel, den die beiden auseinanderstrebenden Strecken bilden, mündet von Osten die Nöldnerstraße in die Karlshorster Straße. In einem nur 150 Meter langen Straßenabschnitt folgen drei LSA hintereinander. und an allen drei gibt es abzweigende BVG-Linien!

Obwohl das eingleisige Streckenstück der Straßenbahn wie üblich ein Nadelöhr darstellt, hilft dies hier wegen der Abmarkierung vom sonstigen Straßenverkehr auch der Tram beim zügigen Durchkommen. Dabei gibt es zurzeit zwei Probleme: Einerseits sind die parallelen Autospuren (nur eine pro Richtung) mangels naheliegender Alternativen eine beliebte Route für den schweren Lkw-Verkehr und diese Fahrzeuge schwenken gern einmal in das Lichtraumprofil der Straßenbahn (angesichts der zweimal abbiegenden Hauptstraßenregelung auch kein Wunder). Andererseits sind die Schaltungen der drei LSA nicht ÖPNV-freundlich aufeinander abgestimmt. Zwar sollen Abbiegeverbote für den übrigen Verkehr in bestimmten Relationen die Lage entschärfen, aber es kommt eher häufig vor, dass sie „übersehen“ werden. Daneben spielen auch Lastwagen eine Rolle, die nicht unter die niedrigen Bahnbrücken passen oder dort die Fahrleitung der Straßenbahn beschädigen.

Leider endet der Planfeststellungsbereich genau am Beginn der eingleisigen Streckenführung unter den Brücken der Ostbahn. Zu befürchten ist somit am Übergang zwischen der schönen neuen Strecke und ihrem veralteten Anschluss an das Bestandsnetz ein Engpass, der alle vorher getroffenen Beschleunigungsmaßnahmen wieder zunichte macht. Die IGEB fordert daher, dass alle drei Signalanlagen als ein gemeinsamer Verkehrsknoten betrachtet und programmiert werden, den alle BVG-Linien in einem Rutsch ohne Halt durchfahren können, mindestens jedoch die Straßenbahn, da sie als einzige auch alle drei Einmündungen passiert.

Besser wäre es, zusätzliche Maßnahmen pro Tram zu ergreifen und, wenn nötig, dafür den Planfeststellungsbereich auszudehnen.

Eine Baustelle ist die Haltestellenanlage am S-Bahnhof Rummelsburg, bei der zurzeit der Bahnsteig Richtung Osten im eingleisigen Bereich vor der Weiche liegt. Außerdem sind die Bahnsteige beider Richtungen zu schmal für eine zeitgemäße, barrierefreie Anlage. Wenn weiterhin auch an dieser Haltestelle im Störungsfall gewendet werden soll, dann muss die genaue Lage der Weiche im Zusammenhang mit der nötigen Aufstell-Länge für einen Zug zwischen Haltestelle und Kreuzung noch ermittelt werden.

Ein anderes größeres Handlungsfeld wäre die Verlegung eines zweiten Gleises in der Karlshorster Straße unter den Eisenbahnbrücken, das zweckmäßig auf der Fahrbahn Richtung Norden liegen sollte, wo weniger Staugefahr besteht. Selbstverständlich muss auch dann das Gleis Richtung Süden abmarkiert bleiben, aber es könnte dadurch auch als Kombispur vom Bus mitgenutzt werden. Allerdings erfordert diese Variante eine noch kompliziertere LSA-Programmierung, da die Buslinien die ÖPNV-Spur genau in der Mitte erreichen beziehungsweise verlassen – und das zudem teilweise in Abbiegerelationen, die für den übrigen Verkehr gesperrt sind und für die auch andere Fahrrelationen des Straßenverkehrs gesperrt werden müssen. Hier hatten wir umfangreiche Varianten-Untersuchungen der BVG oder des Senats erwartet, statt sich mit der vorgestellten Grenze des Planungsbereichs um diesen Bereich zu drücken.

Fazit

Eine wichtige Netzanpassung kommt nun endlich voran. Die meisten der vorgestellten Kritikpunkte können im laufenden Verfahren noch ohne großen Aufwand eingearbeitet werden. Der Berliner Fahrgastverband freut sich auf den Abschluss des Planfeststellungsverfahrens und wünscht den Fahrgästen einen baldigen Baubeginn! (af)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 1/2018 (April 2018), Seite 7-9