U-Bahn
U-Bahnhöfe, die nach 1961 in Betrieb gingen, galten der Berliner Denkmalpflege lange als nicht schutzwürdig. Dabei werden immer mehr dieser Zeugnisse des West-Berliner U-Bahn-Baubooms der Nachkriegszeit vollständig umgestaltet und verlieren dabei ihr Gesicht. Anfang 2017 stellte man endlich acht 1974, 1980 bzw. 1984 eröffnete Stationen unter Schutz. Doch die Wahl fiel vor allem auf Produkte der postmodernen Architektur, derweil viele modern gestaltete U-Bahnhöfe nach wie vor schutzlos und bedroht sind. Ob die inzwischen geplante Unterschutzstellung der Stationen auf der Strecke in die Ost-Berliner Trabantenstadt Hellersdorf auch für West-Berliner Bauten Hoffnung verspricht?
21. Mär 2018
Und sie bewegt sich doch! Viele Jahre lang war es für die Berliner Denkmalpflege kein Thema, U-Bahnhöfe unter Schutz zu stellen, die „erst“ dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre alt sind. Mehr noch als bei Laien löste dieses Verhalten bei Fachleuten Verwunderung aus. Gilt doch als Faustregel, dass Denkmalschutz für ein Bauwerk erst dann in Frage kommt, wenn dieses einer „abgeschlossenen Gestaltungsepoche“ angehört. Und wer baut schon noch wie in den 1960er oder gar 1970er und 1980er Jahren?
Womöglich wurden der Denkmalpflege in Sachen Berliner Verkehrsarchitektur auch (wieder einmal) seitens der Politik Zügel angelegt. Jedenfalls schien mit der „Grundsatzvereinbarung zur Regelung der Zusammenarbeit bei Umbauten und Grundinstandsetzungsmaßnahmen in denkmalgeschützten U-Bahnanlagen“, die am 30. April 2001 zwischen BVG und Landesdenkmalamt geschlossen worden war, das letzte Wort gesprochen: Die beigefügte umfangreiche Auflistung der betreffenden Stationen (geordnet nach dem Umfang ihrer „Schutzgutdichte“) bzw. einzelner erhaltenswerter Elemente auf ihnen, durfte offenbar nicht ergänzt werden. So waren die einzigen nach 1961 eröffneten Stationen, die unter Schutz standen, der U-Bahnhof Pankstraße (dieser allerdings als „Mehrzweckbau, U-Bahnhof mit Zivilschutzanlage“, sprich: Bunker) sowie die jüngeren Teile der 1913 in Betrieb genommenen Station Fehrbelliner Platz.
Erst im Laufe des Jahres 2016 kam endlich Bewegung in die Sache, unter anderem durch einen offenen Brief von Kunsthistorikern und anderen Fachleuten, die den rasanten Verlust von U-Bahnhöfen aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren beklagten: Bei „Grundinstandsetzungen“ verpasst die BVG diesen Stationen regelmäßig ein völlig neues Gesicht.
Anfang 2017 wurde dann der U-Bahnhof Schloßstraße unter Schutz gestellt – buchstäblich fünf nach zwölf, denn mit der Sanierung dieser 1974 eröffneten Station hatte die BVG bereits Mitte 2016 begonnen. Zu diesem Zweck waren unter anderem schon die charakteristischen Kunststoffelemente
demontiert worden, die den Stationsnamen zeigten und die Reklameflächen rahmten und an den Decken und Hintergleisflächen angebracht waren – als einziger Schmuck auf dem ansonsten nackten Beton, an dem man einst, ganz dem Geschmack des Brutalismus folgend, die Verschalungsspuren sichtbar gelassen hatte.
Sinnvollerweise wurde nicht nur der U-Bahnhof in die Denkmalliste aufgenommen, sondern das ganze, dort „Verkehrsknoten Steglitz“ genannte Ensemble mit der Joachim-Tiburtius-Brücke und dem allgemein als „Bierpinsel“ bezeichneten Turmrestaurant. Böse Zungen könnten freilich behaupten, hier handele es sich um ein Trostpflaster, stammt das Ensemble doch von dem Architektenpaar Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte. Und deren größtem und bekanntestem Werk, dem ICC, wird die Unterschutzstellung beharrlich verweigert, obwohl es ebenfalls akut vom Abriss oder zumindest einer entstellenden Umgestaltung seines Inneren bedroht ist.
Ende März 2017 folgte der Schutz für eine ganze Kette von U-Bahnhöfen: Die sieben Stationen am Westende der U 7 von Siemensdamm bis Rathaus Spandau, für deren Ausgestaltung (wie bei fast allen zwischen 1966 und 1996 in [West-] Berlin eröffneten U-Bahnhöfen) sämtlich Rainer Gerhard Rümmler verantwortlich gezeichnet hatte. Zu dieser Unterschutzstellung gab es am 28. März 2017 sogar eine Pressekonferenz auf der Station Paulsternstraße, bei der neben Landeskonservator Jörg Haspel auch BVG-Chefin Sigrid Evelyn Nikutta und Kultursenator Klaus Lederer sprachen.
Es ist verschmerzbar, dass in der Pressestelle der Senatsverwaltung für Kultur und Europa offenkundig keine Kunsthistoriker sitzen, verkündete diese doch in ihrer Einladung zu dem Termin, die unter Schutz gestellten Stationen wären „besondere Zeugnisse der Nachkriegsmoderne“ (was von diversen Medien sogleich wiederholt wurde): Allen voran die 1984 in Betrieb gegangenen U-Bahnhöfe Paulsternstraße, Haselhorst, Zitadelle, Altstadt Spandau und Rathaus Spandau sind in Wahrheit, teils sehr eindrucksvolle, Beispiele für postmoderne Architektur, die sich aus der erklärten Gegnerschaft zur modernen Architektur speiste.
Eigenartig ist aber die Auswahl der weiteren, 1980 eröffneten Stationen, die doch durch Fachleute erfolgt sein sollte: So ist der U-Bahnhof Siemensdamm bereits deutlich verändert worden – unter anderem wurden hier der Sichtbeton grün angemalt und die ursprünglich auf den Hintergleisflächen applizierten Elemente zum größten Teil entfernt. Weitgehend original erhalten ist hingegen die Nachbarstation Rohrdamm, doch während diese ebenfalls in die Denkmalliste aufgenommen wurde, verwehrte man dies den vergleichbar gering veränderten U-Bahnhöfen Jungfernheide und Mierendorffplatz. (Die im selben Abschnitt liegenden Stationen Jakob-Kaiser-Platz und Halemweg wurden erst kürzlich Opfer einer „Grundinstandsetzung“ in BVG-üblicher Manier.)
Zudem stellt sich die Frage nach einem Schutz für die weiteren Werke Rümmlers, allesamt oft nicht unbedingt gestalterisch oder gar künstlerisch herausragend, aber doch sehr typisch für ihre Zeit. Damit ermöglichten sie auch dem Laien eine „Lesbarkeit“ von Bauphasen der Berliner U-Bahn. Beispielsweise unterschieden sich die 1963 am Südende der heutigen U 7 eröffneten Stationen Blaschkoallee, Parchimer Allee und Britz-Süd deutlich von den Vorkriegsbahnhöfen. Die Stationen Johannisthaler Chaussee, Lipschitzallee, Wutzkyallee und Zwickauer Damm des folgenden, 1970 in Betrieb gegangenen Abschnitts bildeten ebenfalls eine gestalterische Einheit. Und der 1972 eröffnete Endbahnhof Rudow sah wiederum ganz anders aus.
Am anderen Ende der U 7 konnte auf einer Fahrt von Mehringdamm (bis 1966 umgebaut) nach Rathaus Spandau (1984 in Betrieb genommen) auch der Laie erkennen, wie Rümmler, ganz im Einklang mit dem Zeitgeist, von einer sachlich-modernen Gestaltung zu einer immer verspielteren, dekorationsfreudigeren kam. Eindrucksvoll auch die Entwicklung, die der 1971 eröffnete Abschnitt der U 9 zeigte: Der U-Bahnhof Güntzelstraße, wohl als erster entworfen, wurde noch wie die ersten Nachkriegsstationen mit kleinen Rechteckfliesen sowie den um 1960 beliebten Keramikriemchen verkleidet, die folgenden Stationen Berliner Straße, Bundesplatz und Friedrich-Wilhelm-Platz erhielten größere Rechteckfliesen, Walther-Schreiber-Platz große Eternitplatten und eine abgehängte Decke aus aneinandergereihten flachen Bögen. Letzteres eine in Rümmlers gestalterische Zukunft weisende Spielerei und Reminiszenz, mit der er an die Decken der ältesten Berliner U-Bahnhöfe erinnern wollte.
All diese Zusammenhänge zerstört die BVG in fortschreitendem Maße, indem sie bei Renovierungen oder (Beton-)Sanierungen das historische, bauzeittypische Bild weder bewahrt noch wiederherstellt, sondern eine völlig beliebige Neugestaltung vornimmt. Diese folgt offenkundig auch keinen festen, sinnfälligen Regeln, wie die Verwendung von Fliesen in dunklen oder trüben Farben und mit stumpfen Oberflächen (schlimmstes Beispiel: Bundesplatz), von dunkler Schrift auf dunklem Untergrund (jüngster Fall: Kaiserin-Augusta-Straße) oder von spiegelnden Lettern, die sich schon aus kurzer Distanz nur schwer entziffern lassen (etwa Mehringdamm), zeigt.
Bemerkenswerterweise wurde Denkmalschutz nun auch ausgerechnet besonders bunt und auffällig (um nicht zu sagen: aufdringlich) gestalteten Anlagen zuteil, deren Architektur sich erfahrungsgemäß der breiten Öffentlichkeit leicht vermitteln lässt. Akuter von der Entstellung oder Zerstörung ihres Gesichts bedroht, als die 1984 eröffneten postmodernen Stationen, sind jedoch die modernen, sachlichen aus den 1960er und 1970er Jahren, einer Ära, deren bauliche Zeugnisse seit geraumer Zeit überall verschwinden oder bis zur Unkenntlichkeit verändert werden. Und dies meist unter allgemeinem Schulterzucken, wenn nicht gar unter Applaus für die Beseitigung der „Schandflecken“ und „Bausünden“ – wobei sich unter den relativ wenigen Fürsprechern dieser Bauten auffällig viele junge Leute befinden, es sich also womöglich nicht nur um eine Frage des Zeitgeschmacks, sondern auch der Generationen handelt.
Gut erhalten, doch schutzlos sind bei der Berliner U-Bahn nach wie vor die Stationen Britz-Süd (eröffnet 1963), Möckernbrücke (U 7), Alt-Tempelhof, Ullsteinstraße, Westphalweg, Alt-Mariendorf (alle 1966), Zwickauer Damm (1970), Kleistpark, Eisenacher Straße, Bayerischer Platz (U 7), Güntzelstraße, in Teilen auch Berliner Straße und Blissestraße (alle 1971), ferner Konstanzer Straße, Richard-Wagner-Platz (beide 1978) und wie erwähnt Mierendorffplatz und Jungfernheide (1980). Bei einigen dieser Anlagen wäre ein Erhalt besonders wichtig, da mittlerweile viele „Vergleichsstücke“ verschwunden sind und sie somit zu den letzten Zeugnissen der jeweiligen Gestaltungsphase gehören.
Wiederholt sich hier der Fehler der siebziger und achtziger Jahre? Der post-, also antimoderne Zeitgeist jener Zeit, verspielt und schnörkelselig, an Historie und an der Architektur des Historismus interessiert, brachte bei der Berliner U-Bahn die allgemeine Rehabilitierung der Wilmersdorf-Dahlemer Stationen: Was 1913 zwischen Hohenzollernplatz und Freie Universität/Thielplatz in Betrieb genommen worden war und heute zur U 3 gehört, war anfangs verachtet und verspottet und dann jahrzehntelang auch von der BVG schlecht behandelt worden. In den Achtzigern stellte die Denkmalpflege dann gleich die ganze damalige U 2 von Wittenbergplatz bis Krumme Lanke unter Schutz – derweil die zeitgleich entstandenen, sachlich-modern gestalteten Werke Alfred Grenanders diesen noch lange nicht genießen durften.
Hoffen lässt allerdings die Nachricht, die Denkmalpflege arbeite an einer Unterschutzstellung der 1988 und 1989 eröffneten Strecke zwischen Tierpark und Hönow, mit der die Ost-Berliner Trabantenstadt Hellersdorf Schnellbahnanschluss erhielt: Mit ihrer sachlichen Architektur stehen diese oberirdischen Stationen (heute auf der U 5) in deutlichem Kontrast zu dem, was damals im Westteil der Stadt gebaut wurde.
Da sie dem derzeitigen Geschmack kaum als schön gelten, wird auch die Frage gestellt, ob Denkmalschutz überhaupt angemessen wäre. Schönheit ist allerdings kaum mehr ein Kriterium der Denkmalpfleger. Sie kann es nicht sein, weil sich der Geschmack immer wieder wandelt: Seit langem gilt der 1959-61 erfolgte Abriss des Anhalter Bahnhofs als schlimmer Fehler. Vor 60 Jahren stieß er jedoch auf keinen Widerstand, auch nicht beim Landeskonservator, denn historistische Bauten, also vom Stilmischmasch der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägte, galten damals per se als ästhetisch minderwertig und geschmacklos.
Eingedenk solch trüber Erfahrungen, von denen es zahllose gibt, bemüht man sich heute um objektivere Kriterien, um den historischen Wert eines Bauwerks zu ermitteln: Was ist besonders typisch, aussagekräftig, architekturgeschichtlich bedeutend? Daher gehört der 1973 eröffnete U-Bahnhof Tierpark, in ganz Deutschland der einzige weitgehend erhaltene Tunnelbahnhof aus DDR-Zeiten, längst in die Denkmalliste. Und daher verfängt auch der Einwand nicht, die Architekten hätten auf der Strecke nach Hönow lieber anders gebaut: Dass man sich in Ost-Berlin ebenfalls gern in Spielereien ergangen wäre, wenn man denn gekonnt hätte, ist gerade kein Argument gegen, sondern für den Schutz. Ist hier doch dokumentiert, was unter und aus den Bedingungen der Mangelwirtschaft gemacht wurde: Herauskommen konnten so eindrucksvolle Räume wie in den Zugangsbauwerken der Stationen Elsterwerdaer Platz und Kaulsdorf-Nord.
In die Denkmalliste nachzutragen wären aber nicht nur Anlagen aus der Zeit nach 1961: In der 2001 zwischen Landesdenkmalamt und BVG festgelegten Aufzählung fehlten Bauten, die man dort erwartet hätte. Inzwischen zeigte sich, dass es sich dabei nicht um Irrtümer oder Versäumnisse gehandelt hatte: Einige U-Bahnhöfe, deren ursprüngliches Aussehen und originale Substanz erhalten geblieben war, waren offenbar absichtlich nicht unter Denkmalschutz gestellt worden.
So konnte die BVG inzwischen die 1956 eröffneten Stationen Rehberge, Afrikanische Straße und Kurt-Schumacher-Platz nach eigenem Gutdünken umgestalten. Sie waren die ersten kompletten Neubauten bei der Berliner U-Bahn nach dem Zweiten Weltkrieg und ihre Gestaltung für die kommenden Jahre stilbildend.
Noch zu retten wäre der U-Bahnhof Birkenstraße – die mit Abstand am besten erhaltene Station auf der 1961 eröffneten Ursprungsstrecke der heutigen U 9. Auch der Bahnhof Seestraße, Mitte der fünfziger Jahre umgebaut und dabei fast zu einem Prototypen für die Berliner U-Bahnhofs-Architektur der ersten Nachkriegszeit gemacht, fehlt nach wie vor in der Denkmalliste. Immerhin wurde der 2001 „vergessene“ U- (und S-)Bahnhof Tempelhof mittlerweile in diese aufgenommen.
Damit stehen nun nahezu alle Bauwerke der Berliner U-Bahn, die vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind und an denen noch originale Substanz oder Gestaltung erhalten ist, unter Schutz. Vor Entstellung oder Zerstörung schützt dies erfahrungsgemäß allerdings auch nicht (ein extremes Beispiel ist die bei der „Grundinstandsetzung“ grotesk entstellte Station Voltastraße). Manchmal scheinen die behördlichen Denkmalpfleger dies nicht einmal zu bemerken: So ist in der aktuellen Berliner Denkmalliste, Stand 10. August 2017, noch immer der U-Bahnhof Oranienplatz eingetragen. Dabei wurde die – nie voll ausgebaute oder gar in Betrieb gegangene – Bahnsteighalle unter der Dresdener Straße bereits 2015 vollständig mit Beton verfüllt.
Die aktuelle Denkmalliste, Denkmalkarte und Denkmaldatenbank findet man unter [Link]http://www.berlin.de/landesdenkmalamt/ denkmale/liste-karte-datenbank/|www.berlin.de/landesdenkmalamt/ denkmale/liste-karte-datenbank/[/Link]
Jan Gympel
aus SIGNAL 1/2018 (April 2018), Seite 12-15