Fahrzeug-Sharing
Wie geht’s weiter mit den Fahrradverleihsystemen? br> br> Ein „Sechstagerennen“ dauert lange, doch alle radeln immer nur im Kreis. Ein Mikrokosmos, während sich draußen die Welt weiterbewegt. Das lässt sich überraschend gut auf die Radverleih-Politik des Berliner Senats übertragen. Warum?
21. Mär 2018
Ein kurzer Rückblick. Im Koalitionsvertrag 2011 bis 2016 hieß es: „[… ] Bei erfolgreichem Ausgang des bis 2012 laufenden Vorhabens „Stationsgebundene öffentliche Fahrradverleihsysteme“ wollen wir ein solches System dauerhaft einrichten und auf die gesamte Innenstadt von Berlin sowie ggf. weitere Stadtteilzentren ausweiten. [… ]“
Das Ergebnis: Die Deutsche Bahn schränkte ihr damals freies Verleihsystem Call-a-Bike auf ein stationsgebundenes ein und wurde dafür auch noch durch den Senat bezuschusst.
Doch in den Folgejahren wuchs Konkurrenz: Nextbike verteilte Räder in der Stadt und besitzt im Gegensatz zu den Call-a-Bike-Betonklötzen nur virtuelle Stationen – ein, zwei davon auch außerhalb des S-Bahn-Rings – und unterscheidet sich im Preis nicht vom subventionierten System der Bahn.
Bei der nächsten Ausschreibung, die 2016 zu Ende ging, gewann dann Nextbike – wieder mit einem stationsgebundenen System, wieder innerhalb des S-Bahn-Rings. Die Bahn musste ihre Betonklötze abbauen, Nextbike baute seine Metallstationen auf.
War nach Ausschreibungsende noch großspurig von „mehr als 700 Stationen“ und „5000 Rädern“ die Rede, ist der Stand Februar 2018 deutlich geringer. Etwa 2000
Räder an 160 Stationen sollen es derzeit laut Nextbike sein. Ursprünglich in der Ausschreibung gefordert waren mindestens 1750 Räder und 175 Stationen.
Also alles beim Alten – auch nach über sechs Jahren? Nein, denn die Welt hat sich weiterbewegt. Nicht nur die Bahn ist mit Calla-Bike in Kooperation mit Lidl zurück auf dem Berliner Markt, immer mehr Anbieter werfen massenhaft eigene Fahrräder in der Stadt ab. Was zu einer Überfülle an Angeboten in der Innenstadt führt und die öffentlichen Räume regelrecht zumüllt. Auch sind die Konkurrenten aus Fernost meist wenig nachhaltig, nutzen unkomfortable Billigräder, die zudem für den Mitteleuropäer, der die Durchschnittskörpergröße auch nur leicht nach oben verlässt, absolut unbenutzbar sind.
Trotzdem haben diese Anbieter einige Vorteile: Ihr Bediengebiet ist wesentlich größer. Meist kann der Service in ganz Berlin genutzt werden. Außerdem sind sie ohne öffentliche Zuschüsse sogar noch preiswerter für den Nutzer, als die geförderten Projekte.
Beim Stadtrad Nextbike scheint man in der Zwischenzeit eingeschlafen zu sein und sich auf den Fördermillionen auszuruhen. Ganz nebenbei holt sich die Leipziger Firma noch etwas Zusatzgeld von einem neuen Sponsor, ohne dass sich dies positiv auf die Preisgestaltung für alle Nutzer auswirkt, höchstens auf Abonnenten eines Musikstreaming-Dienstes.
Hingegen gehen die ÖPNV-Nutzer, die viel Geld für ihre 1989 von den Grünen ins Leben gerufene Umweltkarte bezahlen, leer aus. Radfahren hat ja offenbar auch nichts mit der Umwelt zu tun. Senat und VBB haben hier auf ganzer Linie versagt, eine ganzheitliche Lösung zu finden.
Genauso wie beim Bediengebiet. Außerhalb des S-Bahn-Rings sind nur die verbliebenen Teststationen in Lichtenberg geblieben sowie die für Verwaltungsangestellte gedachte Extrawurst mit je einem Standort am Verwaltungszentrum Friedrichsfelde und am S-Bahnhof Friedrichsfelde Ost.
Das ist knapp zwei Jahre nach Ausschreibungsende deutlich zu wenig! Das Programm wird von den Bürgern des Landes Berlin gefördert – also nicht nur von Mitte-Bewohnern und Touristen, sondern zum Beispiel auch von Pankower Steuerzahlern. Deren Bezirk allein ist eine 400 000-Einwohner-Großstadt mit den Verkehrsproblemen einer Großstadt.
Dabei ließen sich gerade in den Außenbezirken viele Verkehrsbedürfnisse erfüllen, die dort durch den ÖPNV schlecht oder gar nicht abgedeckt werden und zusätzlich durch attraktive radfähige Wege jenseits von Hauptstraßen verbunden sind. Ganz im Gegensatz zur Innenstadt, wo sich die Stationen fast ausschließlich an Bahnhöfen und Haltestellen befinden, die im dichten Takt angefahren werden, und damit dem ÖPNV Konkurrenz machen, statt ihn auf der letzten Meile zu ergänzen. Und eigentlich gibt es die letzte Meile gar nicht im Zentrum, sondern verstärkt außerhalb des S-Bahn-Rings, wo das ÖPNV-Netz nicht so engmaschig ist, wie im Zentrum.
Was haben wir also in Berlin erreicht? Zwei große Anbieter – einer gefördert, der andere nicht (zumindest nicht direkt), die beide dasselbe Gebiet abdecken, fast den gleichen Tarif besitzen, nicht mit der Umweltkarte in der ersten halben Stunde kostenlos genutzt werden können und durch die Stationsbindung an ÖPNV-Punkte ungeeignet für die letzte Meile sind.
Und wir haben die Billiganbieter aus Fernost, die immer mehr werden und deren Wegwerffahrräder ohne Gangschaltung eher eine Qual als ein Verkehrsmittel sind, die aber wenigstens das freie Abstellen im gesamten Stadtgebiet erlauben. Und weitere Anbieter stehen schon in den Startlöchern, um genau das Gleiche zu machen.
Ein unüberschaubares, aber teures und wenig nützliches Überangebot an Leihradsystemen in der Innenstadt – und der Rest von Berlin guckt in die Röhre. Das ist alles andere als befriedigend.
Und wieder braucht es den Blick in die nicht allzu weite Ferne: Egal ob Stuttgart, Hamburg oder Dresden – überall dort, wo mindestens die erste halbe Stunde kostenlos (für alle oder auch nur für ÖPNV-Dauerkunden) angeboten wird, ist das Mietradsystem ein echter Erfolg. Die freie Rückgabe im Bediengebiet sorgt für zusätzliche Pluspunkte beim Nutzungswillen. Im Wiener Neubaubezirk Seestadt Aspern weit außerhalb der Innenstadt können sogar E-Bikes und ELastenfahrräder für die ersten 30 Minuten kostenlos ausgeliehen werden.
Leider bleibt nur ein ähnliches Fazit wie bei unserem Mietradtest vor drei Jahren. In SIGNAL 4/2015 forderten wir u. a., das Geschäft in der ganzen Stadt zu betreiben statt nur im profitablen Innenstadtbereich und mindestens jede erste halbe Stunde gratis anzubieten. Anders ist die öffentliche Förderung nicht zu rechtfertigen. (hm)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 1/2018 (April 2018), Seite 20-21