Fahrgastrechte
Statt weniger Rechte für Bahnkunden mehr Rechte für Bus- und Flugreisende!
21. Mär 2018
Ende September 2017 hat die Europäische Kommission die Neufassung der Verordnung über die EU-Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr veröffentlicht. Während einerseits einige Vorschläge (z. B. bezogen auf das Auslaufen von Ausnahmeregelungen) aus Fahrgastsicht zu begrüßen sind, beinhaltet der Verordnungsentwurf andererseits leider auch deutliche Rückschritte.
Bislang sind in der Europäischen Union (EU) die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr durch die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 vom 23. Oktober 2007 geregelt. Reisende können auf dieser Grundlage eine Entschädigung verlangen, wenn zwischen dem auf dem Fahrausweis angegebenen Abfahrts- und Zielbahnhof bei der Ankunft eine Verspätung von mindestens 60 Minuten eingetreten ist. Die Höhe der Entschädigung hängt dabei vom Preis für das Ticket ab und beträgt
Beinhaltet das jeweilige Ticket sowohl die Hin- als auch die Rückfahrt, wird die Entschädigung auf Grundlage des halben entrichteten Fahrpreises errechnet.
Auch für Zeitkarteninhaber sind Regelungen getroffen: So werden beispielsweise Inhaber der BahnCard 100 mit 10 Euro in der 2. Klasse und 15 Euro in der 1. Klasse entschädigt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 26. September 2013 darüber hinaus entschieden, dass Eisenbahnunternehmen auch dann nicht von der Pflicht zur Fahrpreiserstattung befreit sind, wenn die Verspätung durch höhere Gewalt, d. h. durch einen Orkan, einen Streik oder einen Unfall verursacht wurde.
Diese Regelung geht jedoch deutlich über Entschädigungsregelungen anderer Verkehrsträger hinaus. Mit der Neufassung der Fahrgastrechte-Verordnung sollen daher Entschädigungsansprüche für Bahnkunden nun zumindest in Fällen „schlechter Witterungsbedingungen oder großer Naturkatastrophen“ eingeschränkt werden. Dies führt in der Folge leider zu einer deutlichen Verschlechterung des Verbraucherschutzniveaus. Außerdem sind die Begrifflichkeiten „schlechte Witterungsbedingungen oder große Naturkatastrophen“ in dem Verordnungsentwurf ungenügend definiert und lassen einen entsprechend großen Interpretationsspielraum zu.
Es besteht mit dieser Novellierung zudem ein erhebliches Risiko, dass Eisenbahnverkehrsunternehmen den Zugbetrieb sowohl zeitlich als geografisch in viel größerem Umfang einstellen, als aufgrund der Witterungsverhältnisse notwendig.
Angesichts der Zunahme von Extremwetterereignissen würde z. B. die DB Netz AG indirekt sogar dafür belohnt, wenn sie zur Kostenreduzierung lediglich ein Minimalprogramm der Vegetationspflege entlang der Strecken umsetzt. Die letzten Orkane „Xavier“, „Herwart“ und „Friederike“ haben leider den akuten Handlungsbedarf in diesem Bereich gezeigt.
Ein Beispiel: Nachdem am Donnerstag, dem 5. Oktober 2017 der Betrieb u. a. auch auf der wichtigen Strecke Berlin—Hamburg infolge des Orkans „Xavier“ wegen des hohen Risikos für den Zugverkehr eingestellt worden war, standen beide Streckengleise wegen des umfangreichen Instandsetzungsaufwands erst am 11. Oktober wieder vollständig zur Verfügung. Derartige Zustände sind speziell bei überregional bedeutsamen Strecken inakzeptabel. Daher dürfen die Bahnunternehmen nicht aus der notwendigen Vorsorgeverantwortung entlassen werden. Auf die bisherige, praxisgerechte Regelung der Entschädigungsansprüche auch im Fall höherer Gewalt darf keinesfalls verzichtet werden!
Allerdings schwächt es ausgerechnet den klimaschonenden Verkehrsträger Schiene im intermodalen Wettbewerb, d. h. im Vergleich beispielsweise zu Fernbus oder Flugzeug, wenn entsprechende Regelungen – und damit auch Kosten – bei den konkurrierenden Verkehrsträgern fehlen. Dies bedarf der raschen Korrektur.
Anstatt die Entschädigungsansprüche für Bahnkunden zu reduzieren, muss die Europäische Kommission vielmehr dafür sorgen, dass endlich die Fahrgastrechte bei anderen Verkehrsträgern an das hohe Niveau des Eisenbahnverkehrs angeglichen werden! Wie unterschiedlich und damit wettbewerbsverzerrend die Entschädigungsregelungen derzeit sind, zeigt der Vergleich ausgewählter Einzelregelungen in der Tabelle auf Seite 29.
Es ist auch Aufgabe der neuen Bundesregierung, sich mit Nachdruck bei der EU für eine Angleichung der Fahrgastrechte einzusetzen!
Bei grenzüberschreitenden Reisen können zurzeit wegen der Zuständigkeit von in der Regel unterschiedlichen Verkehrsunternehmen oftmals keine durchgehenden Fahrkarten ausgestellt werden. Der Verordnungsentwurf sieht hier leider keine Korrekturen der derzeitigen Praxis vor.
Die Ausstellung von „Durchgangsfahrkarten“ innerhalb der Europäischen Union muss dagegen, unabhängig von den Verkehrsunternehmen entlang der Reisekette, endlich verbindlich werden. Das alleinige Bemühen der Eisenbahnverkehrsunternehmen (Zitat aus dem Verordnungstext: „… nach besten Kräften … “) reicht nicht aus und verhindert letztlich entsprechende Verbesserungen der derzeitigen Praxis. Weiterhin führt diese für die betroffenen Bahnunternehmen recht komfortable Regelung bei Fahrgästen zu Problemen bei der Wahrnehmung von Fahrgastrechten.
In dem Entwurf der Fahrgastrechteverordnung wurde leider ein völlig ungeeigneter Versuch unternommen, das Problem bei verknüpften Beförderungsverträgen zu lösen. Formal hat entsprechend dem Verordnungsentwurf ein Fahrgast im Fall mehrerer Einzeltickets zwischen Abfahrts- und Zielort die gleichen Rechte bezüglich Betreuung und Entschädigung wie bei einer „Durchgangsfahrkarte“. Es ist jedoch vorgesehen, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen von diesem Pflichtangebot befreit werden, wenn dies den Fahrgästen ausdrücklich und schriftlich mitgeteilt wird.
Es ist daher zu befürchten, dass von dieser Ausnahmeregelung seitens der Unternehmen entsprechend rege Gebrauch gemacht wird und diese sich auf diese Weise aus der Verantwortung ziehen. Das darf jedoch nicht Sinn einer Verordnung sein, die das Ziel des Schutzes von Bahnreisenden in der Europäischen Union hat. Zielstellung muss sein, dass die Fahrgastrechte uneingeschränkt gelten, und zwar auch für den Fall mehrerer Fahrkarten für die Reisekette zwischen Start- und Zielbahnhof!
Auch eine andere Regelung des Kommissionsvorschlags zur Neufassung der Fahrgastrechte-Verordnung ist fragwürdig. So wird u. a. pauschal gefordert, dass im Fall der Fahrradmitnahme diese ständig zu beaufsichtigen sind.
Diese undifferenzierte Regelung ist nicht nachvollziehbar, da beispielsweise in Zügen des Fernverkehrs geeignete und sichere Abstellvorrichtungen vorhanden sind.
Die Fahrradmitnahme ist des Weiteren reservierungspflichtig, so dass eine Behinderung von Reisenden zumindest im Fernverkehr ausgeschlossen ist. Die Verpflichtung einer ständigen Beaufsichtigung kann sich daher nur auf Fälle beziehen, wo tatsächlich Risiken bestehen, dass andere Reisende bzw. der Bahnbetrieb gefährdet werden.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr
aus SIGNAL 1/2018 (April 2018), Seite 29-30