Fahrgastverband kritisiert
Gerade hatten sich die Bahn und die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) geeinigt, da rief Verdi in Berlin die BVG-Beschäftigten zum Warnstreik auf. Der Unmut vieler Fahrgäste war also vorprogrammiert, weil sie fürchten, dass aufgrund der Konkurrenzsituation zwischen GDL und Verdi das Streiken im öffentlichen Verkehr zur Dauererscheinung wird. Entscheidend für die verbreitete Kritik an diesem Streik waren jedoch die Umstände, wie Verdi diesen Streik durchgeführt hat.
7. Apr 2008
Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Berliner Fahrgastverband IGEB kritisiert nicht, dass Verdi und die BVG-Mitarbeiter das Streikrecht nutzen. Aber in einer Zivilgesellschaft gibt es das Gebot der Verhältnismäßigkeit: Dieses wurde durch den Warnstreik bei der BVG am 1. und 2. Februar grob verletzt.
Ein Warnstreik über fast 40 Stunden, wie er bei der BVG in allen Bereichen durchgeführt wurde, ist unverhältnismäßig. Das unterstrich Verdi selbst durch andere, stets nur wenige Stunden dauernde Warnstreiks bei anderen Unternehmen.
Ein langer Warnstreik ohne nennenswerte Vorwarnzeit erhöhte nicht den Druck auf die Arbeitgeber, sondern traf einzig und allein die Fahrgäste von U-Bahn, Straßenbahn und Bus, die zur Schule (Zeugnisausgabe!), zur Arbeit oder zum Arzt fahren mussten und oft zu spät kamen, falls sie überhaupt hinkamen.
Zu einem Streik gehört mehr, als nur zuhause zu bleiben. An den Bahnhöfen und Haltestellen hätten während des Warnstreiks zumindest Aushänge über Anlass und Dauer des Streiks informieren müssen. Auch Streikposten waren nicht zu entdecken. So standen Fahrgäste am Morgen des 1. Februar vor verschlossenen U-Bahnhöfen und dachten, dort abwarten zu können, bis der Streik zu Ende
sei.
Verdi rechtfertigte das Vorgehen mit der besonders großen Verärgerung der Mitarbeiter. Der Berliner Fahrgastverband IGEB weiß, dass die ungleiche Bezahlung zwischen alten und neuen BVGern zu innerbetrieblichen Spannungen geführt hat, die abgebaut werden müssen. Aber am Zustandekommen dieser Situation hatte Verdi selbst 2005 mitgewirkt.
Verdi verwies auf den Streik bei der Deutschen Bahn. Der Vergleich hinkt aber, weil es bei der DB um die Verteilung von Gewinnen ging, während die BVG -Bilanz jährlich Verluste aufweist. Deshalb hat der Berliner Fahrgastverband IGEB das Land Berlin aufgefordert, jeden Euro Gehaltserhöhung bei der BVG durch zusätzliche Zahlungen an die BVG auszugleichen, weil es verkehrspolitisch, sozialpolitisch und umweltpolitisch fatal wäre, sich das Geld anschließend durch noch stärkere Fahrpreiserhöhungen zurückholen zu wollen. Der Berliner Fahrgastverband IGEB wird das Verhalten von Verdi gegenüber den BVG-Fahrgästen auch daran messen, ob diese IGEB-Forderung von Verdi mitgetragen wird.
Gemildert wurden die Folgen des Streiks für einen Teil der BVG-Fahrgäste, weil die S-Bahn-Mitarbeiter alle Möglichkeiten ausschöpften, ein maximal mögliches Zugangebot zu fahren. Dazu gehörten auch Vollzüge mit acht Wagen auf dem Ring. Getrübt wurde das große Engagement der S-Bahner durch den Verlust der Zugzielanzeiger auf immer mehr S-Bahnhöfen. Gerade die von der BVG gekommenen neuen, oft ortsunkundigen Fahrgäste waren irritiert über die fehlenden oder in Dauerstellung verharrenden Zugzielanzeiger. Hier besteht bei der S-Bahn dringender Handlungsbedarf (siehe auch Seite 7 in diesem SIGNAL).
Bereits gehandelt hat die Gewerkschaft Verdi aufgrund der verbreiteten Kritik. Ein zweiter Warnstreik am 13. Februar beschränkte sich auf Verwaltung und Werkstätten, so dass der Fahrbetrieb weitergehen konnte und der Senat keinen Grund hatte, der BVG Zahlungen wegen nicht erbrachter Verkehrsleitungen zu streichen.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 1/2008 (Februar/März 2008), Seite 4