Mindestens fünf Jahre verspätet
Im Mai 2006 wurde der Berliner Hauptbahnhof eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt sollte nach den Senatsplänen auch die Straßenbahnanbindung von Osten her eröffnet werden. Aber zwei Jahre später gibt es noch nicht einmal Baurecht für den Straßenbahnbau auf der Invalidenstraße. Immerhin erfolgte Anfang 2008 die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens. Nunmehr ist die Inbetriebnahme für das Frühjahr 2011 geplant – fünf Jahre nach Eröffnung des Hauptbahnhofs.
15. Mai 2008
Ein erstes Planfeststellungsverfahren hatte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer im September 2004 abgebrochen, weil es wegen erheblicher, von ihrem Vorgänger Peter Strieder zu verantwortender Mängel eine gerichtliche Überprüfung wahrscheinlich nicht überstanden hätte.
Nach dreijähriger umfassender Überarbeitung der Planungen wurden diese vom 21. Januar bis 20. Februar 2008 öffentlich ausgelegt. Angestrebt wird, dass die zwischen Nordbahnhof und Hauptbahnhof insgesamt 2,2km lange Straßenbahn- Neubaustrecke nun ab 2011 von den Linien M8 und M10 sowie westlich der Chausseestraße von der M6 befahren werden kann. Geplant sind außerdem der Bau durchgehender Radwege bzw. Radstreifen auf der Fahrbahn sowie einige Gehwegverbreiterungen.
Eine Straßenbahneröffnung 2011 ist aber nur dann möglich, wenn es keine Klagen gegen den frühestens für Ende 2008, wohl eher im Frühjahr 2009 zu erwartenden Planfeststellungsbeschluss geben wird. Klagen sind aber sehr wahrscheinlich, denn planungsrechtlich soll hier nicht nur der Ausbau der Straßenbahn gesichert werden, sondern gleichzeitig auch der durchgehende
Ausbau der Invalidenstraße mit zwei Fahrspuren je Richtung für den Autoverkehr. Die Invalidenstraße ist in den Senatsplanungen Teil des sogenannten Innenstadtringes.
Insbesondere gegen diesen Straßenausbau und die damit verbundenen Mehrbelastungen durch Lärm und Feinstaub und die dadurch notwendigen Eingriffe in die Bausubstanz, in den Baumbestand und in die Vorgartenzonen richtet sich die Kritik von Anwohnern und Umweltverbänden.
Für die Straßenbahn ist geplant, dass sie sich im Abschnitt zwischen Nordbahnhof und Sandkrugbrücke den Straßenraum mit dem Autoverkehr teilen muss. In Fahrtrichtung Westen erfolgt an den geplanten Haltestellen U-Bahnhof Zinnowitzer Straße und Invalidenpark die Anlage von Haltestelleninseln. In Fahrtrichtung Osten sind in diesem Abschnitt Haltestellenkaps geplant, was das mehrfache Verschwenken der Kfz-Spuren über die Straßenbahngleise bedingt. Nur zwischen Sandkrugbrücke und Hauptbahnhof erhält die Straßenbahn eine eigene Trasse, die ein Fahren unbehindert vom Autoverkehr ermöglicht.
Ab Hauptbahnhof schließt sich in Fahrtrichtung Westen die eingleisige Schleifenfahrt über Invalidenstraße (wo die Straßenbahn ebenfalls keinen eigenen Gleiskörper bekommen soll) und Alt-Moabit zur viergleisigen Aufstellanlage im Bereich des alten Stadtbahnviadukts an.
Schon mit Beginn der letzten Bauetappe am Knoten Invaliden-/Chausseestraße soll die bisherige Endstelle in der Schwartzkopffstraße (dauerhaft) vom Netz abgetrennt werden, so dass die Linien M6 und M8 zwischenzeitlich am Hackeschen Markt enden müssen.
Aus Fahrgastsicht weisen die ausgelegten Pläne erhebliche Mängel auf, da die Belange des öffentlichen Verkehrs und der Fahrgäste nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Die IGEB hat daher im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nachfolgende Stellungnahme abgegeben:
Der Berliner Fahrgastverband IGEB e. V. befürwortet ausdrücklich die geplante Straßenbahnverbindung zum Hauptbahnhof. Aus den ausgelegten Plänen ergibt sich aus Fahrgastsicht jedoch ein Überarbeitungsbedarf. Insbesondere müssen geeignete Maßnahmen zur Beschleunigung der Straßenbahn vorgesehen werden. Die bisher laut ausgelegten Planfeststellungsunterlagen vorgesehene Fahrzeit von 10 Minuten zwischen Nordbahnhof und Hauptbahnhof wäre für diese ca. 1,5km lange Strecke völlig inakzeptabel (Durchschnittsgeschwindigkeit 9km/h) und würde deutlich über der bisherigen Fahrzeit der bestehenden Buslinie 245 liegen (6 Minuten).
Im Einzelnen sollten an folgenden Punkten gegenüber den ausgelegten Planfeststellungsunterlagen Veränderungen vorgenommen werden:
1. Vorrangschaltungen für die Straßenbahn
Die vorliegenden Pläne setzen voraus, dass
der Straßenbahn an den Lichtsignalanlagen
ein weitgehender Vorrang eingeräumt
wird, weil ansonsten nicht nur die Straßenbahn
behindert, sondern gleichzeitig
auch die Leistungsfähigkeit für den Kfz-
Verkehr deutlich reduziert werden würde.
Dies sollte im Planfeststellungsbeschluss
entsprechend festgelegt werden, weil
andernfalls die dem Planfeststellungsverfahren
zugrunde liegenden Annahmen zur
Leistungsfähigkeit obsolet wären.
2. Zwischen Caroline-Michaelis- und
Chausseestraße in Fahrtrichtung Westen:
Abmarkierung der Gleistrasse
auf einem Teilabschnitt erforderlich
In Fahrtrichtung Westen ist vor der Kreuzung
Invaliden-/Chausseestraße mit einem
erheblichen Kfz-Rückstau zu rechnen,
so dass die Straßenbahn voraussichtlich
mehrere Ampelumläufe benötigen würde,
um die Kreuzung passieren zu können.
Zwischen Caroline-Michaelis-Straße und
Chausseestraße sollte daher die Trasse der
Straßenbahn in Fahrtrichtung Westen zumindest
so weit abmarkiert werden, dass
gewährleistet wird, dass die Straßenbahn
innerhalb eines Ampelumlaufs die Kreuzung
passieren kann. Unmittelbar vor dem
Kreuzungsbereich können zwei Fahrspuren
für den Kfz-Verkehr für die maximale
Rückstaulänge einer Grünphase erhalten
bleiben, so dass die Leistungsfähigkeit für
den Kfz-Verkehr nicht eingeschränkt wird.
3. Haltestelle U-Bahnhof Zinnowitzer
Straße in Fahrtrichtung Westen: Fußgänger-
Aufstellfläche muss deutlich
verbreitert werden
Die Aufstellfläche für Fußgänger bzw. Fahrgäste
in der Fußgängerfurt am östlichen
Ende der Haltestelleninsel U-Bahnhof Zinnowitzer
Straße (Fahrtrichtung Westen) ist
viel zu schmal und verjüngt sich an ihrem
östlichen Ende auf nur 2 Meter. Angesichts
der zu erwartenden starken Frequentierung
dieser Haltestelle aufgrund der Umsteigemöglichkeit
von und zur U 6 und dem
ohnehin schon regen Fußgängerverkehr
muss diese Fußgänger-Aufstellfläche sowohl
in ihrer Tiefe wie auch in ihrer Breite
deutlich aufgeweitet werden. Der dafür
notwendige Platz in der Tiefe könnte z. B.
durch geringfügige Reduzierung der Fahrradspurbreite
auf 1 Meter und durch eine
geringfügig veränderte Trassierung der
Kfz-Spuren gewonnen werden. Die notwendige
Breite könnte durch eine Verkürzung
der überlangen Haltestellenrampe
erreicht werden.
Am westlichen Ende der Haltestelleninsel sollte eine Zu- und Abgangsmöglichkeit vorgesehen werden.
Und schließlich sollte gerade diese stark frequentierte Haltestelleninsel auch mit einer Wartehalle ausgestattet werden.
4. Haltestelle U-Bahnhof Zinnowitzer
Straße in Fahrtrichtung Osten: Fußweg
und Wartebereich für Fahrgäste
müssen breiter werden
Auch in Fahrtrichtung Osten ist mit einer
sehr starken Frequentierung der Haltestelle
zu rechnen. An dieser Haltestelle ist
der Gehweg gleichzeitig der Wartebereich
für Fahrgäste, der durch den hier auf den
Gehweg geführten Radweg erheblich eingeschränkt
wird. Wir regen an, den Radweg
in diesem Bereich auf die Breite von 1 Meter
zu reduzieren, um den Wartebereich
für Fahrgäste entsprechend zu verbreitern.
Dann wäre eine gerade noch akzeptable
Breite des Gehweges/Wartebereichs von
4m möglich.
5. Haltestellen U-Bahnhof Zinnowitzer
Straße der Straßenbahnlinien M6
und 12 in der Chausseestraße: Als
Kaps ausbauen
Die notwendigen Haltestellen der Straßenbahnlinie M6
und 12 in der Chausseestraße sind nicht Gegenstand
des Planfeststellungsverfahrens.
Wir weisen aber darauf hin, dass sowohl die
bestehende Haltestelle in Richtung Norden
(zukünftig nur noch für die Straßenbahnlinie 12) wie auch die
neu einzurichtende Haltestelle in Richtung
Süden (M6 und 12) im Interesse
eines komfortablen und zügigen Fahrgastwechsels
in beiden Richtungen als Haltestellenkap
ausgebaut werden sollten. Die
Haltestellen sollten möglichst nah vor bzw.
hinter der Kreuzung liegen.
6. Zwischen Hessische Straße und Haltestellenbereich
U-Bahnhof Zinnowitzer
Straße in Fahrtrichtung Osten:
Abmarkierung der Gleistrasse erforderlich
In Fahrtrichtung Osten ist vor der Kreuzung
Invaliden-/Chausseestraße mit einem erheblichen
Kfz-Rückstau zu rechnen, so dass
die Straßenbahn voraussichtlich mehrere
Ampelumläufe benötigen würde, um die
Kreuzung passieren zu können. Zwischen
Hessischer Straße und Chausseestraße
sollte daher die Trasse der Straßenbahn in
Fahrtrichtung Osten zumindest so weit abmarkiert
werden, dass gewährleistet wird,
dass die Straßenbahn innerhalb eines Ampelumlaufs
die Kreuzung passieren kann.
Unmittelbar vor dem Kreuzungsbereich
(also etwa im Haltestellenbereich) können
zwei Fahrspuren für den Kfz-Verkehr für die
maximale Rückstaulänge einer Grünphase
erhalten bleiben, so dass die Leistungsfähigkeit
für den Kfz-Verkehr nicht eingeschränkt
wird.
7. Haltestelle Invalidenpark: Wartehallen
vorsehen
An der Haltestelle Invalidenpark sollten in
beiden Richtungen Wartehallen vorgesehen
werden und die Haltestelle sollte in
beiden Richtungen auf die Standardlänge
ausgebaut werden.
8. LSA-Schaltungen in Fahrtrichtung
Osten am Alexanderufer und an der
Scharnhorststraße: Vorrangschaltung
ist für Straßenbahn zwingend
erforderlich
An der Lichtsignalanlage am Alexanderufer
muss die Straßenbahn zwingend eine Vorrangschaltung
bekommen, um in Fahrtrichtung
Osten als Konvoiführer gefahrlos und
ohne Verzögerungen vom eigenen Gleiskörper
in die Kfz-Fahrspuren einfahren zu
können. Durch geeignete LSA-Schaltungen
ist sicherzustellen, dass an der LSA Scharnhorststraße
keine Behinderung durch Kfz
erfolgt und dass trotz Verschwenkens der
Kfz-Fahrspuren ein gefahrloses Ausfahren
der Straßenbahn aus dem Haltestellenbereich
am Invalidenpark als Konvoiführer
möglich ist.
9. Haltestelle Hauptbahnhof: Haltestelleninsel
ist im Abgangsbereich viel zu
schmal
Im Bereich der Abgangstreppen zur
U5-Passarelle verbleibt zwischen Gleiskante
und der festen Treppe eine Breite
von nur 2,17 Meter. Dies ist angesichts
der extrem starken Frequentierung dieser
(End-)Haltestelle viel zu schmal, zumal sich
dieser Engpass auch noch an dem wichtigen
westlichen Abgangsbereich der Haltestelleninsel
befindet. Gleichzeitig sind die
festen Treppen mit einer Breite von 3m
angesichts der außerdem noch vorgesehenen
Fahrtreppen vergleichsweise großzügig
dimensioniert. Wir schlagen daher
vor, die Treppenbreite auf ca. 2,5 Meter zu
reduzieren und gleichzeitig die Haltestelleninsel
durch geringfügige Reduzierung
der Fahrspurbreiten etwas zu verbreitern,
so dass auf beiden Seiten der Haltestelleninsel
auch im Bereich der Treppenabgänge
zumindest eine nutzbare Breite von 3 Meter
verbleibt.
Ausgerechnet an der Haltestelle am Hauptbahnhof soll der Gleisbereich eingeschottert werden. Wir halten dies weder aus gestalterischen Gründen für akzeptabel noch aus Gründen der Sauberhaltung dieses Bereiches für sinnvoll und schlagen daher die Auspflasterung des Gleisbereichs auch an dieser Haltestelle vor.
10. Haltestelle Lesser-Ury-Weg: Kombinierte
Bus-/Straßenbahn-Haltestelle
Die Haltestelle Lesser-Ury-Weg sollte als
gemeinsame Haltestelle mit der Buslinie
245 ausgestaltet werden, weil hier die bequemste
Umsteigemöglichkeit zwischen
den Straßenbahnlinien und der Omnibuslinie 245 eingerichtet
werden kann.
Weitere Infos der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: www.stadtentwicklung.berlin.de
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 2/2008 (Mai 2008), Seite 11-13