Spandau profitiert, Falkensee weniger

S-Bahn nach Falkensee abgefahren?

Die lange erwartete Untersuchung „Standardisierte Bewertung S-Bahn Falkensee“ der Intraplan Consult GmbH kommt zu einem Nutzen-Kosten-Faktor von 1,27 bzw. 1.31. Diese Werte über 1,0 zeigen an, dass der volkswirtschaftliche Nutzen einer S-Bahn-Verlängerung von Spandau nach Falkensee höher wäre, als die Kosten. Dennoch will der Bund seine Zusage zur Finanzierung dieser unter die „teilungsbedingten Lasten“ fallenden Strecke nicht einhalten.


IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

18. Jul 2008

Der Faktor 1,27 wurde für eine Variante errechnet, bei der alle Regionalverkehrszüge, die heute noch über die Berliner Stadtbahn verkehren, in Falkensee enden. Damit sollen Kosten für einen „Parallelverkehr“ von Regional- und S-Bahn-Zügen vermieden werden.

Diese Lösung erzielt einen großen Nutzen für Berlin und einen nur geringen für Brandenburg, weil die Regionalverkehrskunden in Falkensee zwangsweise auf die S-Bahn umsteigen müssen, wenn sie nach Berlin zum Zoo oder zum Alex wollen. Laut der Studie würden aus dem Havelland deshalb sogar 300 Fahrgäste pro Tag weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Berlin fahren als mit einem attraktiven Regionalverkehrsangebot. Mit der S-Bahn-Variante verlängert sich also die Fahrzeit nach Berlin, so dass laut Studie heutige Fahrgäste zum Auto abwandern.

Protest aus Brandenburg

Nach verständlichem Protest aus dem Land Brandenburg wurde zusätzlich eine Variante untersucht, bei der die RB von Nauen in der HVZ wenigstens bis Charlottenburg verkehren. Diese Variante erbrachte den Nutzen- Kosten-Faktor von 1,31. Aber auch in dieser Variante verlieren die Havelländer ihre umsteigefreie Regionalbahnverbindung auf die Berliner Stadtbahn. Deshalb ist der günstige Faktor nur auf die sehr guten Werte auf Berliner Stadtgebiet zurückzuführen. Hier steigen durch die neuen Haltepunkte der S-Bahn auf Spandauer Gebiet (Nauener Straße und Hackbuschstraße) die Fahrgastzahlen auf diesem S-Bahn-Abschnitt erheblich.

So werden in der S-Bahn zwischen Falkensee und Seegefeld 2000 Fahrgäste pro Tag prognostiziert, zwischen Hackbuschstraße und Nauener Straße sind es aber bereits 14 900, und den Spandauer Hauptbahnhof erreichen 21 700 mit der S-Bahn von Westen aus.

Die abwandernden Fahrgäste aus Falkensee werden durch die viel höhere Zahl der neu gewonnenen Fahrgäste in Spandau um ein vielfaches ausgeglichen. Unter dem Strich steht also ein deutlicher Fahrgastzuwachs.

Aber Falkensees Bürgermeister Heiko Müller (SPD) hat sich gegen die S-Bahn ausgesprochen. Er favorisiert einen Ausbau der Regionalbahn, möglichst mit einem dritten Gleis zwischen Bahnhof Spandau und Falkensee. Unzufrieden zeigten sich auch die Havelländer und die Landesregierung.

Doch dem Bund kam diese Situation sehr gelegen: Wenn von einer Variante nicht die Fahrgäste beide Bundesländer profitieren, werde die Maßnahme vom Bund nicht finanziert. Mit dieser Argumentation hat sich der Bund aus dem S-Bahn-Vorhaben Berlin-Spandau—Falkensee praktisch verabschiedet.

Dabei wäre es angesichts wachsender Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr sinnvoll, eine fahrgastfreundliche Variante zu untersuchen, bei der sowohl die S-Bahn als auch Regionalzüge nach Falkensee verkehren. Doch weil das in die Schublade „unwirtschaftlicher Parallelverkehr“ gepackt wird, wurde eine solche Variante gar nicht erst untersucht.

Fragen bleiben offen

Auch nach Lektüre der Nutzen-Kosten- Untersuchungen bleiben allzu viele Fragen offen. So ist unklar, von welcher S-Bahn- Infrastruktur genau ausgegangen wird. Die Studie stützt sich auf eine Grobplanung von DB Netz, die einen eingleisigen Ausbau mit Begegnungsstellen vorsieht. Bis Hackbuschstraße soll in der Hauptverkehrszeit ein 10-Minuten-Takt angeboten werden, ansonsten ist eine Bedienung alle 20 Minuten bis Bf Falkensee geplant.

Es wurde in der Untersuchung davon ausgegangen, dass die RE4 und RE2 über Jungfernheide in den Hauptbahnhoftunnel geführt werden, obwohl das gemäß Landesnahverkehrsplan für den RE2 Rathenow— Cottbus nicht geplant ist. Das begründet der Gutachter mit einem alten Planungsstand.

Somit wird die S-Bahn in der Untersuchung sogar bevorteilt, da eine „schnelle Konkurrenz“ auf die Stadtbahn vermieden wird.

Auch in Spandau wurden heftige Anpassungsmaßnahmen angenommen: So wurde die Hälfte der M37er-Fahrten aus dem Falkenhagener Feld vom Rathaus Spandau abgekoppelt. Stattdessen sollen die Fahrgäste am neuen S-Bahnhof Nauener Straße in die S-Bahn umsteigen. Das ist wenig attraktiv, denn die S-Bahn fährt nur in der HVZ alle 10 Minuten, sonst alle 20. Viele Fahrgäste haben den Verkehrsknoten Rathaus als Ziel, um sich dort für U-Bahn, Regionalbahn oder weitere Buslinien zu entscheiden oder in der Altstadt einzukaufen, zu Behörden oder zum Arzt zu gehen. Ein zusätzlicher Umstieg an der Nauener Straße für einen guten Kilometer S-Bahnfahrt ist schwerlich als attraktiv zu bezeichnen.

Begrenzte Aussagekraft für die Praxis

Die hier untersuchten Varianten sind im Detail nicht immer fahrgastfreundlich. Das mag an der grundsätzlichen Charakteristik einer „Standardisierten Bewertung“ liegen, deren Aufgabe es ist, eine Infrastrukturinvestition volkswirtschaftlich zu bewerten. Bestellerkosten werden dort zum Beispiel überhaupt nicht betrachtet. Der Ergebnis- Indikator größer 1,0 gibt nur an, ob eine Infrastrukturfinanzierung durch Bundesmittel möglich ist. Eine Aussage über die Finanzierung des Betriebes wird nicht getroffen und ist auch nicht Fragestellung der „Standardisierten Bewertung“. Hierfür sind weitere Untersuchungen notwendig.

Es wäre sinnvoll gewesen, im Gutachten weitere Varianten zu untersuchen.

Für die Praxis sinnvoll wäre die Betrachtung der Führung der S-Bahn bis Finkenkrug, um die flächig besiedelte Gemeinde Falkensee besser zu erschließen. Ferner dürfen S-Bahn und Regionalverkehr nicht als Konkurrenz, sondern müssen als Ergänzung betrachtet werden. So verkehren z. B. nach Erkner, Potsdam, Bernau, Ahrensfelde und Strausberg auch S-Bahn UND schnelle Regionalzüge, gewissermaßen als Express- S-Bahn.

Bahnhofsstandorte optimieren

Ferner sind die Bahnhofsstandorte auf Spandauer Gebiet zu optimieren. Sinnvoller als der Standort Hackbuschstraße wäre zum Beispiel ein Haltepunkt am Klosterbuschweg. Der Bahnhof Albrechtshof wäre am Finkenkruger Weg deutlich besser aufgehoben als am bisherigen Standort in direkter Nähe zum Bahnhof Seegefeld. So können die Fahrgastzahlen für die S-Bahn zusätzlich gesteigert werden, ohne dass die Passagiere von der Regionalbahn auf die S-Bahn zwangsumgeleitet werden.

Beste Lösung für Spandau und für Falkensee gesucht

Untersuchenswert wäre ebenso eine Führung der S-Bahn auf dem Gleis der Havelländischen Eisenbahn (Bötzowbahn) bis zum Bahnübergang der Falkenseer Chaussee. Hier könnten wirkliche Fahrzeitvorteile für die Bewohner des drittgrößten Neubaugebietes in West-Berlin erzielt werden.

Ziel muss es sein, sowohl für die Spandauer als auch für die Falkenseer und Brieselanger Interessen eine Lösung anzubieten, von der alle profitieren. Dem käme eine Gleichstrom- S-Bahn bis Finkenkrug und die weitgehende Beibehaltung des Regionalverkehrsangebotes am nächsten.

Das brandenburgische Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung (MIR) als Besteller des Regionalverkehrs hat allerdings schon angekündigt, dass – unabhängig vom Bau der S-Bahn – die RB10/14 grundsätzlich bis Charlottenburg zurückgezogen wird, da die Verbindung zum Flughafen BBI künftig durch den Tunnel geführt werden soll. Der RE6 entfällt perspektivisch in Falkensee ebenfalls. Im Mai 2006 war schon der RE5 auf die Stettiner Bahn umgelegt worden. Bisher profitierte Falkensee vom Umleitungsverkehr. Diese Zeit neigt sich dem Ende. Eine langfristige, leistungsfähige und attraktive Lösung muss also her.

Die Studie ist im Internet auf der Seite des Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung (MIR) herunterzuladen (www.mir. brandenburg.de). Diese Veröffentlichung und die neue Transparenz des Ministeriums sind ausdrücklich zu begrüßen. (fm)

IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

aus SIGNAL 3/2008 (Juli 2008), Seite 11-12