Grüne fordern:

Berlin muss EU-Gelder in den ÖPNV stecken, nicht in die Straße

Im europäischen Vergleich hat Berlin ein viel gelobtes ÖPNV-Netz. Es könnte noch viel effizienter sein, wenn EU-Fördergelder nicht nur in Straßenprojekte gesteckt würden. Denn obwohl noch immer zahlreiche Straßenbahnlinien wie zu Mauerzeiten vor dem Westteil enden, verpasst der Senat von Berlin die Chance, mit EU-Hilfen die Lückenschlüsse zu finanzieren und das umweltfreundliche Zusammenwachsen der Stadthälften voranzubringen.


Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

18. Jul 2008

Bauschild am Berliner S-Bahnhof Adlershof. Die Grunderneuerung (GE) der S-Bahn-Strecke auf der Görlitzer Bahn wird aus EU-Mitteln des EFRE-Programms unterstützt. Dies ist allerdings eine Ausnahme, denn Berlins Wirtschaftsenator Harald Wolf meint, EFRE-Mittel nicht für den öffentlichen Verkehr einsetzen zu dürfen. Foto: Marc Heller

Das Land Berlin hat wenig Geld. Doch weigert sich der rot-rote Senat, die zugeteilten EU-Gelder für den öffentlichen Nahverkehr einzusetzen, weil das – so die Begründung – aufgrund der EU-Regularien nicht möglich sei. Zwar musste der zuständige Senator Harald Wolf (Die Linke) bei der Vorstellung des Operationellen Programms des Landes Berlin für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE-Mittel) der neuen Förderperiode 2007-2013 einräumen, dass in den 90er Jahren die Wiederherstellung der U-Bahn-Verbindung zwischen Potsdamer Platz und Wittenbergplatz aus EFRE-Mitteln finanziert wurde. Dennoch behaupten er und seine Mitarbeiter, dass der Einsatz von EFREMitteln für den öffentlichen Personennahverkehr in Berlin nicht (mehr) möglich sei. Aus diesem Fonds solle stattdessen die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Stadt gestärkt und Berlin als Innovationsstandort gefördert werden. Grundlage des Operationellen Programms sei die Lissabon- Strategie der EU.

Ökonomie, Ökologie, Soziales

Unabhängig davon, dass sich die Wettbewerbssituation der Städte wegen des Klimawandels und der dramatisch steigenden Ölpreise auch darin zeigt, ob zukünftige Mobilität auch jenseits des Automobils gewährleistet wird, ist der Verweis auf die Lissabon-Strategie der EU doch sehr erstaunlich. Denn dieses aus dem Jahr 2000 stammende Aktionsprogramm besteht, wie z. B. der konservative Ministerpräsident von Luxemburg, Claude Juncker, immer wieder betont, aus dem Dreiklang von „Ökonomie, Ökologie, Soziales“. Nur die unverbesserlichen neoliberalen Wirtschaftsfetischisten – allen voran der ebenfalls konservative portugiesische EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso – wollen von Ökologie und Soziales nichts wissen und definieren den Dreiklang von Lissabon mit „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“.

Dem Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf sollte die Entscheidung zwischen diesen beiden Ansätzen als Politiker der Linken eigentlich nicht schwer fallen. Gerade auch aufgrund der Debatte der letzten Jahre müsste doch jedem klar sein, dass der Kampf gegen den Klimawandel für die Zukunft eine zentrale Rolle spielt. Angesichts der Tatsache, dass der Verkehr in Ballungsräumen für 40 Prozent der CO2-Emissionen und für 70 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich ist, muss ein nachhaltiger und umweltverträglicher Stadtverkehr oberstes Ziel des Senats sein.

Die Bedingungen dafür sind in Berlin optimal: 90 Prozent aller Haushalte sind nur fünf Fahrradminuten vom nächsten S- oder U-Bahnhof entfernt und knapp 50 Prozent

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besitzen gar kein Auto. Eine autofixierte Verkehrspolitik verschärft dabei nicht nur die Umweltprobleme, sie ist auch der Garant dafür, dass für die Verbesserung des Umweltverbundes von Bahn, Bus, und Rad das notwendige Geld fehlt.

Berlin vergibt Chancen

Zwar will das Land Berlin in der laufenden Förderperiode Verkehrssystemtechnik und Mobilität fördern, auch erkennt man, dass die Infrastruktur als Basis für die wirtschaftliche Entwicklung notwendig ist, beschränkt sich dabei aber fast ausschließlich auf die Neuerschließung von Brachen durch neue Straßen. Weder die Defizite der Teilung Berlins noch die Fehlplanungen der 1960er Jahre, als die „autogerechte Stadt“ noch das Leitbild der Stadtentwicklung war, werden behoben. Es ist doch ein Skandal, dass das Märkische Viertel auch 40 Jahre nach seiner Entstehung noch immer keine Bahnerschließung hat. Dabei bietet sich hierfür seit dem Fall der Mauer eine schnell und im Vergleich zur einstigen U-Bahn-Planung sehr preiswert zu realisierende Möglichkeit durch die Verlängerung der Straßenbahn von Rosenthal zum S- und U- Bahnhof Wittenau. Doch ein Gutachten, das die Wirtschaftlichkeit dieses Straßenbahnprojektes bestätigte, ließ der Senat nach Erstellung gleich wieder in der Schublade verschwinden. Oder die S-Bahn zwischen Spandau und Falkensee: Obwohl der Bund diese Strecke als „teilungsbedingt“ finanziert und der westliche Teil von Spandau mit der S-Bahn attraktiv erschlossen würde, liegt dieses Projekt auf Eis.

Stattdessen bewegt sich der Senat mit Vollgas „back to the sixties“. Denn die Verlängerung der Stadtautobahn A 100 – ein Kilometer dieser Autobahn kostet mehr, als ein Transrapid- Kilometer in München gekostet hätte – ist eine Planung aus dieser Zeit. Die für die Stadtautobahn notwendigen Bundesmittel fehlen z. B. für die Ertüchtigung der Bahnstrecke Berlin—Cottbus, und die Landesmittel mit einem Anteil von etwa 20 Prozent fehlen z. B. für die Nord-Süd-Anbindung des Hauptbahnhofs. Auch mit EU-Mitteln könnte man einen sauberen städtischen Verkehr oder den kombinierten Verkehr oder die Verringerung der Umweltauswirkungen des Verkehrs z. B. durch Lärmschutzmaßnahmen fördern.

Madrid macht es besser

Diese Möglichkeiten werden jedoch vom Senat und den ihn tragenden Parteien verneint. Stattdessen flossen viele Millionen der EUGelder in Straßenprojekte wie die Tangentialverbindung Ost (TVO) zwischen Spindlersfeld und Glienicker Weg, die A 113 zum Flughafen Schönefeld oder die Straßenbrücke am Spandauer Damm. Diese Position wird wider besseres Wissen auch dann noch vertreten, wenn Beispiele aus anderen europäischen Städten angeführt werden. So werden in Madrid - im Gegensatz zur Berliner Politik – aus EFRE-Mitteln der Ausbau von Linien des Nahverkehrs und des Stadtverkehrs, der Bau einer Taxistation und einer U-Bahn-Linie finanziert. Madrid ist genau wie Berlin ein sogenanntes „Ziel-2-Gebiet“. Die Hinweise der Berliner Verwaltung, Madrid könne dies nur aufgrund höherer Fördersätze tun, ist folglich falsch. Auch in der vergangenen Förderperiode hatte die spanische Hauptstadt den ÖPNV mit EU-Geld gefördert.

Das ist auch in Berlin möglich und in anderen Bundesländern längst eine Selbstverständlichkeit. Der Freistaat Sachsen will beispielsweise in den kommenden Jahren „weiterhin teilungsbedingte Defizite im Verkehrsnetz abbauen, eine integrierte Verkehrspolitik durch Zusammenwirken der Verkehrsträger erreichen und den Öffentlichen Personennahverkehr weiter bedarfsgerecht entwickeln“. Im Operationellen Programm 2007-2013 des Freistaats steht: „Aufgrund ihrer Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung (…) sollen Investitionen in umweltfreundliche Verkehrsträger besonders zur wirtschaftlichen und sozialen Aufwertung der Regionen unterstützt werden. Nach dem Leitbild des Fachlichen Entwicklungsplans Verkehr (FEV) sollen die integrierte Verkehrsund Raumentwicklung die Verkehrsarten Eisenbahnverkehr, ÖPNV, Binnenschifffahrt sowie Fahrrad- und Fußgängerverkehr stärken“. Dabei sind im Rahmen des Vorhabens „die Installation neuer verkehrstelematischer Anlagen im ÖPNV, der Bau von Radwegen (inkl. Radwegebeschilderung) sowie Untersuchungen zur Aktivierung von Gleisanschlüssen mit dem Ziel der Stärkung des Schienengüterverkehrs vorgesehen“.

Auch Brandenburg nutzt EFRE für ÖV

Auch das Nachbarland Brandenburg benutzt die EFRE-Mittel für den ÖPNV. In dessen Operationellem Programm steht: „Die Entwicklung der Schieneninfrastruktur in Brandenburg wird in den nächsten Jahren gekennzeichnet sein durch Maßnahmen auf der Grundlage des Bundesverkehrswegeplans, die nachhaltige Wirkungen auf den SPNV haben werden. Dabei sollen die Realisierungen der Lückenschlüsse auf den Hauptstrecken und Radialen und eine leistungsfähige Angebotsgestaltung auf den regionalen SPNVStrecken im Mittelpunkt stehen.“

Und wenn es noch eines Beweises bedürfte: Die Modernisierung der S-Bahn-Strecke zwischen Baumschulenweg und Adlershof wird inklusive der Bahnhöfe mit EU-Mitteln unterstützt. Die Öffentlichkeit erfährt es durch das Bauschild, aber der zuständige Senator will davon nichts wissen und beharrt darauf, EFRE-Mittel nicht für die Förderung des ÖPNV einsetzen zu dürfen. Angeblich würde die Europäische Kommission bei der Abnahme des Programms dies nicht zulassen.

Doch seit 2007 ist die Definition der Fördergebiete fast ausschließlich eine nationale Entscheidung. Gerade der „Nationale strategische Rahmenplan“ als Dachstrategie für die Operationalisierung auf Länderebene sieht die Schwerpunktthemen Globalisierung, Wachstum, Klimawandel, Innovation und Demografischer Wandel vor. Folgt man dieser Schwerpunktsetzung, müssten vor allem angesichts der Herausforderungen des demografischen und des Klimawandels mehr Mittel in den öffentlichen Nahverkehr fließen. Der demografische Wandel macht es zudem vordringlich, die behindertengerechte Ausstattung aller Bahnhöfe zu realisieren. Das gilt zurzeit nur für 40 Prozent der Berliner U-Bahnhöfe, bei der S-Bahn sind es immerhin schon 80 Prozent der Stationen. Aber selbst an so wichtigen Bahnhöfen wie Lichtenberg und Frankfurter Allee können die 30 Prozent mobilitätsbehinderten Fahrgäste nicht oder nur schwer zwischen S- und U-Bahn umsteigen. Es würde dem Senat gut anstehen, wenn die Zukunftsfähigkeit der Stadt auch dadurch gewährleistet wird, dass EU-Gelder nicht nur für Rendite orientierte Forschungsprojekte, sondern auch für soziale und umweltverträgliche Wachstumssektoren eingesetzt würden.

EU-Gelder sinnvoller nutzen!

„Arm aber sexy“ – so lautet die allseits bekannte Stärken-Schwächen-Analyse, auf der die Berliner Gesamtstrategie basiert. Deshalb sollte der Senat erst recht die zur Verfügung stehenden EU-Gelder für den Ausbau und den Erhalt der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur einsetzen. Für die EU-Förderperiode 2007-2013 stehen Berlin 875 Mio. Euro zur Verfügung. Davon sollen ca. 9 Prozent für die Förderung der Umwelt-, Verkehrs- und Mobilitätsmanagementsysteme verwendet werden. Wenn dieses Geld klug und zukunftsfähig eingesetzt wird, macht es Berlin weniger arm. Voraussetzung ist aber, dass der Senat seinen Kurs grundlegend korrigiert. Denn eine neue Autobahn in der Stadtmitte, die man doch gerade durch die Einführung der Umweltzone zu entlasten versucht, ist alles andere als sexy.

Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

aus SIGNAL 3/2008 (Juli 2008), Seite 17-18