Vorbildlicher Nachbar

Frankreich: Mindestservice bei ÖPNV-Streiks

Während in Deutschland in der Vergangenheit meist schon eine Streikdrohung ausreichte, um Lohnverhandlungen zu erzwingen, sind Streiks in Frankreich angesichts der Vielzahl konkurrierender Gewerkschaften und deren relativ schwacher Position traditionell häufig, gerade auch im Öffentlichen Verkehr...


IGEB Stadtverkehr

17. Jul 2008

Seit Mitte der 1980er Jahre wird der ÖPNV in Frankreich massiv ausgebaut. Sichtbarstes Zeichen ist die Wiedereinführung der Straßenbahn in fast allen großen Städten. Der Ausbau des ÖPNV war ein Hauptthema der Kommunalwahlen 2008. Die wichtigsten Ziele der neuen ÖV-Politik sind die Aufwertung der Städte durch das Verdrängen des Autoverkehrs, die soziale Integration durch die Anbindung problematischer Vorstädte und der Umwelt- und Klimaschutz.

Im Öffentlichen Verkehr gibt es lokal in der Regel keine Konkurrenz. Personen, die auf den ÖPNV angewiesen sind, werden durch Streiks in ihrer Mobilität massiv eingeschränkt. Um die neue Entwicklung beim ÖPNV nicht durch häufige Ausfälle aufgrund von Streiks zu gefährden, sah sich die konservative Regierung Frankreichs veranlasst, einen Mindestservice bei Streiks durchzusetzen. Der Verband der Verkehrsunternehmen UTP hat mit den Verkehrsgewerkschaften eine

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Vereinbarung zum Mindestservice bei Streik ausgehandelt. Dadurch konnte ein Dekret abgewendet werden, mit dem der Staat andernfalls die Einrichtung eines Mindestverkehrs angeordnet hätte.

Die Vereinbarung wurde von UTP und zwei der sieben maßgeblichen Gewerkschaften unterzeichnet, zwei weitere haben ankündigt, unterschreiben zu wollen, drei weitere, darunter die kommunistische CGT, haben eine Unterzeichnung bislang abgelehnt. Die Vereinbarung muss in den meisten Unternehmen noch umgesetzt werden. Sie umfasst drei Themen:

  1. Regeln zur Vermeidung von Streiks, insbesondere eine verpflichtende achttägige Verhandlungsfrist vor Streikankündigungen.
  2. Eine abgestufte Verkehrspflicht auf vom Aufgabenträger festgelegten wichtigen Linien im Streikfall.
  3. Die Pflicht zur vorherigen Information der Kunden.

Die Stadt Nancy hat bereits im Vorfeld einen solchen Vertrag abgeschlossen. Beim Streik am 18. Oktober 2007 wurden so 30 Prozent des normalen Verkehrsangebots sichergestellt. Außerdem musste der eingeschränkte Fahrplan 24 Stunden zuvor per Aushang, Internet und Presse veröffentlicht werden.

Die staatlichen Verkehrsunternehmen RATP (Raum Paris, 60 Prozent der Beschäftigten im französischen ÖPNV) und SNCF (Bahngesellschaft) haben eigene Vereinbarungen abgeschlossen.

In der Vergangenheit wurde die Arbeitnehmerseite von (freigestellten) Funktionären in öffentlichen Unternehmen dominiert. Etwa 75 Prozent des ÖPNV außerhalb von Paris wird jedoch von privaten Unternehmen erbracht. Die zwischen UTP und Gewerkschaften ausgehandelte Vereinbarung sieht daher auch einen Fonds für die Arbeitnehmervertretung vor, mit dem eine repräsentativere Vertretung der Arbeitnehmer erreicht werden soll.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2008 (Juli 2008), Seite 19