International
Kommt nun endlich die Kostenwahrheit auch für den Lkw-Verkehr? Mit ihrem neuen Eurovignetten-Vorschlag will die EU-Kommission künftig die externen Kosten des Verkehrs bei Mauten einberechnen. Doch das Ergebnis ist ernüchternd: Umweltschäden und Unfallkosten werden bei der Mauthöhe weiterhin kaum berücksichtigt...
1. Sep 2008
Was kosten uns die täglichen Lkw-Massen? Angesichts des wachsenden Güterstroms auf Europas Straßen stellt sich diese Frage mit immer größerer Brisanz. Bisher tragen vor allem Steuerzahler und Umwelt die Lasten, denn Europas Spediteure zahlen über Mauten nur einen Bruchteil an die Allgemeinheit zurück. Geht es nach der EUKommission, wird sich daran auch in Zukunft wenig ändern.
Ein 40-Tonner kostet die Gesellschaft pro gefahrenen Kilometer 63 Cent. Klimafolgen und Unfälle schlagen nach Berechnungen des Schweizer Instituts Infras dabei mit 23 Cent pro Kilometer zu Buche. Die Folgekosten des Straßengüterverkehrs summieren sich
allein in Deutschland auf knapp 12 Milliarden Euro jährlich. Da verblassen die zunächst beachtlich erscheinenden deutschen Maut- Einnahmen von jährlich 3,3 Milliarden Euro.
Deshalb ist es höchste Zeit, dass die sogenannten externen Kosten des Straßengüterverkehrs, verursacht durch Unfälle, Umweltverschmutzung und Lärm, bei der Berechnung der Maut-Höhe in der EU einbezogen werden. Das Europäische Parlament hatte die EU-Kommission schon 2005 (!) verpflichtet, dafür die rechtliche Grundlage zu schaffen.
Angesichts der aktuellen Klimadebatte ist der jetzt vorgelegte Vorschlag zur Eurovignette ein Armutszeugnis. Die EUKommission sieht vor, die Folgen des Klimawandels, aber auch die Folgen von Unfällen (Arbeitsausfall, Krankheit, Invalidität) bei der Internalisierung, also der Einberechnung der externen Kosten in die Maut, nicht zu berücksichtigen. Dabei machen diese beiden Faktoren etwa 80 Prozent der externen Kosten aus!
Nicht nur die Deutsche Bahn verzweifelt angesichts dieser Milchbubenrechnung und urteilt zutreffend: „Der Eurovignetten-Vorschlag der Kommission wird zu keiner marktrelevanten Verteuerung des Lkw-Verkehrs führen.“ Europas Spediteure haben sich also abermals durchgesetzt und erreicht, dass die Folgekosten des Lkw-Verkehrs auch künftig in großen Teilen vom Steuerzahler und der Umwelt getragen werden.
Hauptproblem ist die Mutlosigkeit bei der Höhe der Maut. Anders als bei der Bahn, deren Maut auf jedem Schienenkilometer und für jede Lokomotive nahezu unbegrenzt erhoben werden kann, soll es auf der Straße weiterhin eine Maximalhöhe geben. So darf ein Staat, wenn er externe Kosten anrechnet, dies nur bis zu einer Höhe von maximal 25 bis 30 Prozent tun. Für Lärm etwa, der nach EU-Expertenrechnungen Folgekosten in Höhe von durchschnittlich 20 Cent pro Kilometer verursacht, dürfen höchstens 2 Cent aufgeschlagen werden. Von der EU beauftragte Wissenschaftler hatten in den vergangen Jahren wiederholt eine Anrechnung von mindestens 60 Prozent und bis zu 120 Prozent gefordert.
Den Maximalsatz hatten die Experten vor allem für sensible Regionen wie die Alpen empfohlen. Gerade in Österreich hatte man darauf gehofft, von Brüssel die Genehmigung für sehr viel höhere Mauten zu erhalten. Im jetzigen Vorschlag wird die besondere Lage sensibler Regionen allerdings weiterhin kaum berücksichtigt. Ohne höhere Mauten werden aber die Transitströme nicht auf die Schiene verlagert, wie es im Nachbarland Schweiz mit einer im Vergleich zu Deutschland fünfmal höheren Maut gelungen ist. Statt die Maut auf der Straße zu deckeln, bräuchten wir eine Untergrenze.
Im Gegensatz zur Bahn, wo die Maut aufgrund eines EU-Gesetzes in allen Mitgliedsstaaten zwingend erhoben werden muss, bleibt die Eurovignette freiwillig – ein schwerer Fehler! Zumindest jene Staaten müssten zur Einführung einer Maut verpflichtet werden, die von der EU Geld für den Ausbau der Infrastruktur wollen.
Eine Verkehrswende schaffen wir nur bei einem fairen Wettbewerb, wenn – wie bei der Bahn – alle Mitgliedsstaaten eine Maut erheben müssen, die – wie in der Schweiz – auf allen Straßen und für alle Lkw bereits ab 3,5 Tonnen gilt. Sonst wird sich nichts an absurden Situationen wie etwa in Spanien ändern, wo die mit EU-Geldern gebauten Autobahnen quasi leer sind, während sich auf den parallel verlaufenden mautfreien Nationalstraßen die Lkws aneinanderreihen.
Jetzt liegt die Vorlage der EU-Kommission zunächst beim Europäischen Parlament. Dort könnte es Mehrheiten für eine deutliche Verbesserung des Kommissions-Vorschlags geben. Widerstand gegen das schon jetzt schwache Papier zeichnet sich allerdings im Rat ab. Im Kreis der EU-Regierungen gibt es einige, die am liebsten ganz auf eine Beteiligung des Lkw-Verkehrs an dem von ihm verursachten Kosten verzichten würden. Denn dort sind Länder wie Polen oder die Slowakei mit am Tisch, die ihr gesamtes Straßennetz kostenlos bereitstellen, während sie die im EU-Vergleich höchsten Schienen-Mauten erheben.
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 4/2008 (September 2008), Seite 21