International
15. Dez 2008
Europas Städte bleiben auf sich allein gestellt, wenn sie ihre Verkehrspolitik umweltfreundlich umbauen wollen. Das ist die schlechte Nachricht, die die EU vergangene Woche ausgesendet hat. Statt einen konkreten und hilfreichen Rahmen für die Ballungsräume in den 27 Mitgliedsstaaten zu schaffen, hat sich die Mehrheit der Abgeordneten für ein seichtes Papier entschieden. Grüner soll‘s werden, weniger Lärm geben und mehr Lebensqualität. Wie das geschehen soll, dazu halten sich die Verkehrspolitiker ebenso bedeckt wie zuvor die EU-Kommission, die den ganzen Prozess mit ihrem Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ angestoßen hat. Ein „Sushi-Menu“ zur freien Auswahl an Maßnahmen gegen Verkehrsprobleme wollte der österreichische Berichterstatter, der Konservative Reinhard Rack, den Städten anbieten. Die kriegen mit dem Beschluss aber bestenfalls eine Liste von Zutaten – ohne Rezept.
Nun könnte man fragen, was sich die EU überhaupt darum schert, wie die Städte in Europa ihre Verkehrsprobleme lösen? Will hier das „ferne Brüssel“ mal wieder regulieren, wo man doch vor Ort am besten entscheiden kann? Gerade deutsche Länder und Städte – allen voran die Bayern – haben diese Frage kritisch gestellt. Für sie ist es ein klarer Eingriff in die
Subsidiarität, nach der die europäische Ebene nur dann aktiv wird, wenn lokale oder nationale Politik der Sache allein nicht Herr werden kann. Die Kritiker der EU-Initiative können sich nun beruhigt zurücklehnen. Sie bleibt so beliebig, dass sie nichts ändern wird.
Dabei wäre europäisches Handeln dringend geboten. Acht von zehn EU-Bürgern leben in Städten – und sie leiden fast überall unter denselben Problemen: Staus, Unfälle, Lärm und Luftverschmutzung. Auch im Kontext des Klimawandels spielen die Städte eine zentrale Rolle. Der Verkehr ist hier für rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen und 70 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich. Es wird der EU nicht gelingen, die eigenen Klimaschutzziele zu erreichen, wenn der Verkehr nicht verringert und vom Auto auf Bahn, Bus, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen umgestiegen wird. Allein mit diesen Zahlen auf den engen Zusammenhang im Parlamentsbericht hinzuweisen, ging der Mehrheit der Abgeordneten aber schon zu weit.
Auch konkrete Maßnahmen bleiben Fehlanzeige, so etwa der Vorschlag, die Verkehrssicherheit durch ein generelles Tempo-Limit von 30 km/h zu erhöhen (mit der Möglichkeit, dass die Städte eigenständig für bestimmte Straßen höhere Geschwindigkeiten ausweisen). Sinnvoll wäre auch, die EU-Gelder nur dann zu gewähren, wenn Städte einen nachhaltigen Mobilitätsplan vorlegen können. Derzeit werden 60 Prozent der EU-Gelder im Verkehrsbereich für Straßenprojekte eingesetzt, nur 20 Prozent gehen in den Öffentlichen Nahverkehr und die Schiene. Unwissenheit und Unwillen kommen da oft zusammen: So hat der rot-rote Senat in Berlin immer wieder erklärt, die EU gebe kein Geld für Busse und Bahnen. Das ist schon jetzt nicht richtig. Das EU-Parlament hat sich auf Initiative der Grünen bereits 2007 dafür ausgesprochen, dass künftig mehr Geld in die Schiene fließen soll, mindestens 40 Prozent der EUKofinanzierung. Doch auch diese konkrete Maßgabe wird im Grünbuch „Stadtverkehr“ nicht auftauchen.
Die Städte müssen ohne Unterstützung der EU für ein Mehr an Umwelt- und Klimaschutz sowie Verkehrssicherheit sorgen. Viele sind dabei schon auf gutem Wege. Die EU hat leider die Chance verpasst, ihnen dabei zu helfen und jenen, die ihre Hausaufgaben noch immer nicht gemacht haben, deutliche Zielvorgaben zu setzen.
„Grün hinter den Ohren“ ist die Europäische Kommission eher selten. Wenn sie sich entscheidet,
ein Grünbuch zu einem Thema zu schreiben, liegt dieser Gedanke aber nicht
so fern. Denn mit einem solchen Papier soll erst einmal grundsätzlich abgesteckt werden,
was die EU an Gesetzesmaßnahmen vornehmen könnte. Beim Grünbuch „Hin zu
einer neuen Kultur städtischer Mobilität“, kurz Grünbuch Stadtverkehr, sollte es genau
darum gehen: abzustecken, welche legislativen Maßnahmen die EU ergreifen kann,
um die Mobilität in Ballungsräumen effizienter und umweltfreundlicher zu machen. In
einem zweiten Schritt – nach Konsultation des EU-Parlamentes – präsentiert die EUKommission
dann entweder ein sogenanntes Weißbuch, das klare Ziele benennt. Oder
sie macht direkt Vorschläge für Verordnungen und Richtlinien. So war zum Beispiel
für den Stadtverkehr ein Aktionsplan bereits für diesen Herbst angekündigt. Doch die
EU-Kommission schweigt sich noch immer aus. Vielleicht suchen sie noch nach einem
überzeugenderen Konzept.
Grünbuch Stadtverkehr der EU-Kommission im Internet:
Download: http://eur-lex.europa.eu...[..]...PDF
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 6/2008 (Dezember 2008/Januar 2009), Seite 24