Berliner Tempo
Bei der Berliner S-Bahn ist immer häufiger „schleichen” angesagt, denn nötige Reperaturen werden nicht ausgeführt...
15. Aug 2007
Seit Jahren ärgern sich Fahrgäste und Fahrpersonale über die große Zahl von Langsamfahrstellen (La) im Netz der Berliner S?Bahn. Etliche davon nimmt der unaufmerksame Fahrgast gar nicht wahr, wenn z. B. statt 100 km/h nur 80 km/h gefahren werden dürfen. Dafür sind andere „Schleichstellen“ mit 10 km/h deutlich bemerkbar.
Dabei ist zu beachten, dass eine La von 20 m Länge eine reduzierte Geschwindigkeit auf einer Fahrtstrecke von über 170 m Länge (20 m Schadstelle + 150 m Zuglänge, bis die letzte Achse die La-Stelle verlassen hat) zuzüglich Strecken zum Abbremsen und Beschleunigen erfordert. Folgen mehrere La- Stellen in dichtem Abstand, dann lohnt kein zwischenzeitliches Beschleunigen.
Oft handelt es sich um bauliche Mängel im Gleis (Oberbau), die eine Geschwindigkeitsreduzierung erforderlich machen. Ebenso häufig bremsen marode Brücken die Züge aus.
Diese Baumängel rühren von unzureichender Bauwerksunterhaltung durch die DB Netz AG, die für die Gleisanlagen verantwortlich ist. Anstatt Mängel schnell zu beheben und für flüssigen Verkehr zu sorgen, wird die Geschwindigkeit herabgesetzt, um das beschädigte Bauwerk zu schonen und es nicht sofort ersetzen zu müssen sowie um Entgleisungen zu vermeiden.
Einige Beispiele
Es dauert zum Teil Jahre, bis ein
Schaden behoben wird. So ist
die Wannseebahn (S 1) im Bereich
Lichterfelde West seit langer Zeit
beeinträchtigt, weil die Brücke über die
Drakestraße abgängig ist. Vor Einbau des
Hilfsgerüstes war die Brücke lange Zeit nur
mit 10 km/h befahrbar, nun sind es mit
der Hilfskonstruktion immerhin 80 statt
100 km/h.
Ein besonderes Ärgernis, die Langsamfahrstelle zwischen Stresow und Pichelsberg, bremste die S?Bahn-Züge über mehrere Jahre, obwohl die Strecke erst 1998 eröffnet wurde.
Noch gravierender ist der Abschnitt Teltow Stadt—Lichterfelde Süd. Dieser Neubau von 2005 ist wegen Oberbaumängeln bereits von der Entwurfsgeschwindigkeit 100 km/h auf 60 km/h zulässige Geschwindigkeit reduziert worden.
Doch nicht nur ausgefahrene Gleise und alte Brücken verlängern die Fahrzeit. Auch signaltechnische Belange spielen eine Rolle. So ist im Nord-Süd-Tunnel am Potsdamer Platz eine nicht ausreichende Voraussicht auf ein Signal gegeben, so dass hier vorsichtshalber langsam gefahren werden muss, um in jedem Fall noch vor dem Signal anhalten zu können, wenn es Halt zeigen sollte.
Ein besonderer Fall ist der Abschnitt Priesterweg— Lichterfelde Süd (S 25). Hier ist die Geschwindigkeit wegen Lärmschutz von 100 auf 80 km/h herabgesetzt – und das auf über 6,5 km Länge! Wer die Strecke entlang fährt, wundert sich noch mehr, denn die parallel verlaufende, erst vor einem Jahr eröffnete Fernbahn hat diverse Schallschutzwände an der Trasse nötig gemacht. Der S?Bahn nützen sie aber offenbar nicht.
Taschenspielertricks
Ein Trick, wie DB Netz die Langsamfahrstellen
aus der Statistik tilgen kann, ist genauso
genial wie verwerflich: Die reduzierte Geschwindigkeit
wird ins Geschwindigkeitsheft
(GeH) eingetragen. Damit handelt es
sich um eine regulär verminderte Streckengeschwindigkeit,
die formell keine La ist. In
der Übersichtskarte sind solche Fälle mit
einem Stern (*) gekennzeichnet. Schneller
kommen die Züge bei Langsamfahrstellen,
die durch „Umbennung“ beseitigt werden,
natürlich auch nicht voran.
Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) und weitere Organisationen haben in der jüngsten Vergangenheit darauf hingewiesen, dass auch im Regionalverkehrsnetz viele Langsamfahrstellen zu langsam von DB Netz repariert werden.
Gefährdete Fahrpläne
Folge der Langsamfahrstellen sind verlängerte
Fahrzeiten, die im günstigen Fall
durch Pufferzeiten aufgefangen werden
können, im ungünstigen Fall aber einen
Fahrplan nicht mehr fahrbar machen, so
wie im ersten Halbjahr 2007 auf der RB 33
zwischen Wannsee und Beelitz geschehen.
Bei der S?Bahn kommt erschwerend hinzu,
dass seit Anfang Juli 2007 generell die
Höchstgeschwindigkeit für alle Züge der
Baureihe 481/482 von 100 auf 90 km/h reduziert
wurde. Offiziell begründet wurde
diese Anweisung nicht, jedoch liegt eine
Reaktion auf den Auffahrunfall am Bahnhof
Südkreuz im November 2006 nahe. Dabei
spielte eine unzureichende Wirkung des
Bremssystems dieser Baureihe eine entscheidende
Rolle.
Die Auswirkungen auf den Fahrplan sind für jede dieser einzelnen Einschränkungen gering, jedoch droht dem System eine größere Verspätungsanfälligkeit, da Pufferzeiten aufgezehrt sind. Besonders hohes Fahrgastaufkommen, kurze Anschlussgewährung, kleine Störungen oder sonstige Verzögerungen konnten bisher gut abgefedert werden. Daraus resultierte eine sehr hohe Fahrplantreue von etwa 96% bei der S?Bahn Berlin. Mit den heutigen Randbedingungen wird es schwer sein, diesen guten Wert zu halten.
IGEB S- und Regionalverkehr
aus SIGNAL 4/2007 (August/September 2007), Seite 9