Schienenverkehrswochen 2006

Sprechtag für BVG-Straßenbahnfahrgäste: Neubaufahrzeuge sollen Tatras ersetzen

Am 4. September 2006 stellte sich BVG-Straßenbahndirektor Klaus-Dietrich Matschke – unterstützt durch seine Mitarbeiter Rainer Döge und Bernd Lohse – den Fragen seiner Fahrgäste...


IGEB Stadtverkehr

15. Dez 2006

Im Einführungsvortrag des Straßenbahndirektors ging es insbesondere um die Zukunft der Straßenbahn. Die Eröffnung auf der Bernauer Straße als zweite Straßenbahnstrecke in den Westteil der Stadt sei auch ein Bekenntnis zur Tram. Er hoffe, dass die Verlängerung bis zum Hauptbahnhof 2010 fertig werde. Betrieblich konnten unterschiedliche Erfahrungen gemacht werden. Während die Anlage von Linksabbiegespuren zwischen den Gleisen keine Probleme bereite, funktioniere die Beschleunigung in Berlin noch nicht optimal.

Neue Fahrzeuge

Ein Incentro aus Nantes (Frankreich) von Bombardier auf Probefahrt in Berlin im April 2005. Auf diesem Fahrzeugtyp basiert die Bestellung der BVG für vier Vorserienfahrzeuge. Foto: Florian Müller

Zweites Zukunftsthema der Straßenbahn sei die Beschaffung neuer Fahrzeuge. In den Jahren 2010 bis 2017 laufe die Betriebsgenehmigung für die Tatra-Fahrzeuge aus, so dass Neufahrzeuge angeschafft werden sollen. Die BVG hat verbindlich vier Vorserienfahrzeuge bei Bombardier bestellt, die auf dem in Nantes (Frankreich) eingesetzten Typ „Incentro“ basieren. Darüber hinaus besteht eine Option für über 200 Fahrzeuge.

Die vier Vorserienfahrzeuge – Herr Matschke legte Wert darauf, dass es keine Prototypen seien – repräsentieren die vier geplanten Fahrzeugarten, nämlich jeweils eine Ein- und eine Zweirichtungsversion mit 30 Metern Länge und ca. 180 Sitz- und Stehplätzen sowie 40 Metern Länge und ca. 240 Plätzen. Die Fahrzeugbreite beträgt 2,40 m, jedoch reicht dies nach Ansicht der BVG nicht für eine 2+2-Bestuhlung aus. Von Seiten der BVG ist vorgesehen, dass die T6T6 in Köpenick durch Niederflur-GT6 ersetzt werden, während die neuen Fahrzeuge die KT4D-Doppel ablösen sollen.

Sanierungsbedarf

Zur Zukunft des Bestandsnetzes sagte Herr Matschke, dass 60 % nach der Wende grundsaniert worden seien. Von den verbleibenden 40 % entfiele viel auf die Osttangente M 17, deren Sanierung in den nächsten Jahren bevorstehe. Zur sogenannten „Netzoptimierung“ verwies er auf die Entscheidung zur Erhaltung der Linie 68 bis mindestens 2011. Durch Einsparung einer Weiche werde allerdings die alte Triebwagenhalle in Alt-Schmöckwitz vom Netz abgekoppelt. Deshalb musste der Denkmalpflegeverein mit seiner historischen Fahrzeugsammlung inzwischen nach Niederschönhausen umziehen.

Aktuell laufe eine Untersuchung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur M 1 nach Rosenthal. Hier müsse die Straße erneuert werden und dabei werde überprüft, ob sich die durch den Straßenbau notwendigen Investitionen in die Tram noch lohnen. Kritischer äußerte sich Herr Matschke zur Zukunft der Strecken Friedrichshafen—Rahnsdorf und durch das Industriegebiet an der Köpenicker Chaussee (Linie 21). Nach Rahnsdorf habe man nur 500 bis 1000 Fahrgäste pro Tag, aber nach 2010 einen Investitionsbedarf von ca. 14 Millionen Euro. Bei der Linie 21 werde geprüft, diese an der Haltestelle Kosanke- Siedlung enden zu lassen und ersatzweise die Linie 37 zum Blockdammweg zu führen, damit dieser Teil von Karlshorst eine bessere Verbindung nach Lichtenberg habe.

Alte Schönhauser wird Betriebsstrecke

Die Strecke durch die Alte und Neue Schönhauser Straße soll, obwohl mit der Eröffnung der M 2 zum Alexanderplatz ab Mai 2007 der planmäßige Linienverkehr wegfällt, erhalten bleiben, so lange kein Sanierungsbedarf ansteht. Angesichts der vielen Demonstrationen auf dem Alex sei dies eine wichtige Umfahrung, zumal unverständlicherweise zum Teil wegen nur 50 Demonstranten auf dem Alex der Straßenbahnverkehr mit zehntausenden Fahrgästen zum Erliegen gebracht wird, während in anderen Städten auch bei Demonstrationen die Straßenbahntrassen freigehalten werden.

Neben den Demonstrationen behindern vor allem Falschparker den planmäßigen Straßenbahnverkehr. Mit 250 Vorfällen im Jahr hat die Strecke zum Kupfergraben die meisten Behinderungen, gefolgt von der Alten und Neuen Schönhauser Straße.

Positiv sind für die BVG die wirtschaftlichen Ergebnisse der Straßenbahnbeschleunigung mit 2,3 Millionen Euro Einsparung im Jahr. Vom Publikum kam jedoch Kritik an vielen nicht funktionierenden Ampelschaltungen wie beispielsweise am Schloßplatz Köpenick und an nicht ausreichend abmarkierten Gleisanlagen wie beispielsweise vor dem Knoten Eberswalder/ Danziger Straße.

Köpenicker Perspektiven

Intensiv diskutierten die etwa 50 Besucher mit der BVG über Perspektiven des Köpenicker Straßenbahnnetzes: Auf Nachfrage eines Fahrgastes musste Herr Matschke zugeben, dass auf der Linie 62 zwischen Köpenick und Mahlsdorf im Schülerverkehr teilweise Fahrgäste zurückbleiben müssen, weil die Bahnen zu voll seien. Für den Berliner Fahrgastverband IGEB ist es vollkommen unverständlich, dass angesichts solcher Zustände von Seiten des BVG-Vorstands Stilllegungspläne forciert werden. Angebotsausbau statt Netzrückbau ist hier die richtige Devise!

Angesprochen auf Verstärkerfahrten zu den Freibädern in Köpenick bei Badewetter am Wochenende sagte Herr Matschke, dass sich niemand Wagen für E-Verkehr leisten könne. Hier zeigte sich wieder einmal, dass die BVG kein Konzept für den Freizeitverkehr hat; denn an Wagen mangelt es nicht, stehen diese doch am Wochenende ungenutzt auf dem Köpenicker Hof. Auch kam aus dem Publikum die berechtigte Kritik, dass die BVG sich am Wochenende den 10-Minuten-Takt auf der Strecke nach Adlershof leiste, nicht jedoch auf der touristisch viel bedeutenderen Linie 68. Hier verwies Herr Matschke darauf, dass dies vom Aufgabenträger so genehmigt sei. Aus IGEB-Sicht muss dieses „Schwarzer-Peter-Spiel“ ein Ende haben: Es kann nicht sein, dass die BVG ihre eigenen Planungen mit der Genehmigung des Senats rechtfertigt und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das ihrerseits erfolgte kritiklose Abnicken damit begründet, dass es sich um Planungen der BVG handele.

Insgesamt zeigte sich, dass die Straßenbahn in Berlin vor einer entscheidenden Weichenstellung steht. Wird sich die von BVG-Vorstand Thomas Necker favorisierte Rückbaupolitik der 1960er Jahre durchsetzen oder gelingt es, dass Netz zu sichern und – entsprechend dem sehr erfolgreichen Pilotprojekt Osloer Straße/ Seestraße – auf fahrgaststarken Korridoren in den Westteil auszubauen? Die IGEB wird sich wegen der verkehrs- und umweltpolitischen Vorteile aktiv für eine Renaissance der Straßenbahn einsetzen und dabei auch die vielen wohlwollenden Kräfte bei der BVG und in der Politik unterstützen.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 6/2006 (Dezember 2006/Januar 2007), Seite 14