Brandenburg

Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn: Meilenstein bei Sanierung der Infrastruktur

Die Schöneicher-Rüdersdorfer-Straßenbahn (SRS) hatte für den 6. November zu einem besonderem Ereignis eingeladen: Zum feierlichen Spatenstich für das Sanierungsvorhaben Wendeschleife Alt-Rüdersdorf. Nun ist ja eine Gleisbaumaßnahme an sich nichts Besonders – warum also dieser Aufwand? Er scheint auf den ersten Blick etwas „abgehoben“. Wenn man sich allerdings mit der Situation dieses agilen Unternehmens vor den Toren Berlins beschäftigt, dann relativiert sich das schnell.


Berlin-Brandenburgischer Bahnkunden-Verband

15. Dez 2006

Ja, sie lebt noch

Eigentlich dürfte es diese Straßenbahn angesichts der dramatischen Realität des Öffentlichen Verkehrs in Deutschland gar nicht mehr geben. Sehr viel größere Straßenbahnbetriebe, aber auch einzelne Netzteile wurden in den vergangenen Jahrzehnten stillgelegt bzw. sind von der Stilllegung bedroht. Erinnert sei an die Straßenbahn in Wuppertal oder Kiel, an die Aufgabe des Tramverkehrs Brandenburg—Kirchmöser oder an die aktuelle Diskussion in Berlin, wo für große Teile des Pankower und Köpenicker Netzes die „Schienenwürdigkeit“ in Frage gestellt wird. Und natürlich nicht zu vergessen das unlängst durch das brandenburgische Verkehrsministerium in Auftrag gegebene Gutachten zur Zukunft der Straßenbahnen in den Städten Brandenburg an der Havel, Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam. „Schienenfreundlich“ kann man diese Aktivitäten keinesfalls nennen – zumal in der Regel nur einseitig wirtschaftliche Aspekte Grundlage der Betrachtung sind.

Beim Spatenstich in Alt-Rüdersdorf (v. l. n. r.): Andre Schaller, Bürgermeister der Gemeinde Rüdersdorf; Reinhold Schröter, SRS-Betriebsleiter; Jan Bleis, Veolia-Geschäftsführer; Henning Müller, SPD-Kreisvorsitzender Märkisch-Oderland; Dierk Homeyer, CDU-Kreisvorsitzender Märkisch Oderland. Foto: Volkmar Wagner

Völlig „gegen den Strom“ scheinen die drei kleinen Überland-Betriebe östlich von Berlin zu schwimmen: Neben der Schöneicher-Rüdersdorfer-Straßenbahn (Tram 88) existieren bekanntlich noch die Woltersdorfer Straßenbahn (87) und die Strausberger Eisenbahn (89).

Erfolgreich privatisiert

Im Jahr 2001 wurde die SRS erfolgreich privatisiert. Seitdem hält die Niederbarnimer Eisenbahn, ein Tochterunternehmen von Veolia-Verkehr, 70 % der Anteile. Mit jeweils weiteren 15 % sind die Anliegergemeinden Schöneiche und Rüdersdorf beteiligt, die – nicht gerade vereinfachend für diverse Abstimmungsprozesse – noch dazu unterschiedlichen Landkreisen angehören.

Letztendlich konnte die besonders schwierige Hürde der Finanzierung des Nahverkehrs genommen werden. Auch vom Landkreis Märkisch-Oderland kamen schließlich positive Signale und ein Verkehrsvertrag sichert die Zukunft des Unternehmens vorerst bis 2010.

Geschäftsführer Jan Bleis beschrieb beim Spatenstich die Situation mit deutlichen Worten: „In den vergangenen anderthalb Jahren hat das Unternehmen keine einfache Zeit durchlebt.“ Fünf Jahre nach der Privatisierung sei die Schöneicher-Rüdersdorfer- Straßenbahn in eine Finanzdebatte verwickelt worden, obwohl bereits Vertragssicherheit bis 2010 herrschte.

Die SRS hatte in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht: In den Jahren 2001/2002 wurde konsequent durchrationalisiert. Nunmehr sind nur noch 27 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Fahrdienst, im Werkstattbereich und in der Verwaltung tätig. Die kaufmännischen Leistungen werden innerhalb der Veolia-Gruppe mit geleistet. Aktuell 2 Tatra KT4D und 5 ehemalige Heidelberger GT6-Zweirichtungs-Fahrzeuge befördern auf der 14 Kilometer langen eingleisigen Strecke mit Ausweichen montags bis freitags täglich 3500 Fahrgäste, im Jahr eine Million.

Eine der schnellsten Straßenbahnen

Zielstrebig wurde an der Ertüchtigung des Fahrzeugparks gearbeitet. Die heimische Werkstatt leistet solide Arbeit, so dass sich der Wagenpark den Fahrgästen in einem attraktiven Zustand präsentiert. Und das in einer „preußisch-sparsamen Variante“ auch ohne Neufahrzeuge, die von einem so kleinen Unternehmen ohnehin nicht alleine zu finanzieren gewesen wären.

Auch bei der Ertüchtigung der Infrastruktur konnten passable Erfolge verzeichnet werden: Der allergrößte Teil der Strecke zwischen dem westlichen Endpunkt am Berliner S-Bahnhof Friedrichshagen und Rüdersdorf wurde zwischenzeitlich rekonstruiert. Und im Betriebshof entstand eine kleine, feine Werkstatt nebst Abstellanlagen.

Der Erfolg der Bemühungen spricht für sich: Die Züge der als Tram-Linie 88 voll in das Angebot des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) integrierten Überland-Straßenbahn erreichen bei 18 Zwischenhalten eine beachtliche Reisegeschwindigkeit von 28 km/h und zählen damit deutschlandweit zu den Spitzenreitern.

Die Bahnen sind für den Berufsund Schülerverkehr innerorts, in der Verbindung der Anliegergemeinden, aber besonders auch in Verbindung mit den anderen Verkehrsangeboten im Verkehr von und nach Berlin nicht mehr wegzudenken. Und sie besitzen große Bedeutung für den Ausflugsverkehr in die landschaftlich reizvolle Region.

Verlässliche Perspektive

Jan Bleis nannte folgerichtig selbstbewusst die Tram „volkswirtschaftlich und strukturpolitisch unverzichtbar“. Damit müsse die Diskussion zur Finanzierung des Betriebes nach Ablauf des Verkehrsvertrages zwingend fortgeführt werden. Nun sei aber erst einmal „eine verlässliche Perspektive über alle Ebenen erreicht worden“. Dazu hat auch das große Engagement der Schöneicher und Rüdersdorfer Fahrgäste beigetragen, die für „ihre“ Straßenbahn mit Unterschriftenaktionen und Anwesenheit in allen Entscheidungsgremien gekämpft hatten. Auch Vertreter der „hohen Politik“ waren sich nicht zu fein, in einer autoorientierten Gesellschaft für die Straßenbahn einzutreten. So leisteten die Bundestagsabgeordneten Jörg Vogelsänger (SPD) und der Landtagsabgeordnete Dierk Homeyer (CDU) mannigfaltige Unterstützung!

Was lange währt, wird nun hoffentlich auch hier gut: Seit mehr als zwei Jahren waren die Investitionen in diesem Abschnitt mit einem Gesamtumfang von 2,3 Millionen Euro geplant. Der erste Bauabschnitt, der die Erneuerung der Schienen in der Wendeschleife Alt-Rüdersdorf, die komplette Rekonstruktion des Bahnsteig- und des Umfahrungsgleises und den Neubau des Ankunft-/Abfahrtsbahnsteigs in behindertenfreundlicher Ausführung umfasst, soll bereits am 15. Dezember abgeschlossen sein. Der Betrieb wird mit den Zweirichtungs- Fahrzeugen unter Nutzung eines Behelfsbahnsteiges unmittelbar vor der Baugrenze aufrechterhalten. 430 000 Euro kostet der erste Abschnitt.

In den Folgejahren wird in Abhängigkeit von den bereitgestellten finanziellen Mitteln zügig weitergebaut: Im 2. Bauabschnitt bis einschließlich Haltestelle Brückenstraße entsteht eine kombinierte Tram-/Bushaltestelle, die eine optimale Verknüpfung der Tram 88 mit dem Bus nach Strausberg ermöglichen wird. Als 3. Bauabschnitt folgt die Rekonstruktion der Strecke zur Haltestelle Breitscheidstraße, die erhebliche Frequenz im Schülerverkehr aus dem benachbarten Gymnasium aufweist.

Mit Abschluss der Sanierungen im Bereich Brückenstraße (4. Bauabschnitt) gehören die dort derzeit noch vorhandenen erheblichen Mängel im Gleiszustand der Vergangenheit an. Dann ist nicht nur der jüngste, erst 1975 gebaute Abschnitt der Schöneicher-Rüdersdorfer- Straßenbahn saniert, sondern die Gesamtstrecke präsentiert sich dann in einem zeitgemäßen Zustand.

Politische Weichenstellung

Fahrzeug- und infrastrukturseitig scheint dann das sympathische Unternehmen vor den Toren Berlins gerettet. Jetzt muss nur noch die Politik in naher Zukunft die richtigen Weichen hinsichtlich der langfristigen Finanzierung des Verkehrsangebotes stellen!

Dem überaus engagierten Management der SRS und seinen Beschäftigten sowie dem Förderverein Tram 88 e. V. sei von ganzem Herzen der Erfolg gegönnt. Und die Fahrgäste stimmen ohnehin bereits seit Jahren mit den Füßen pro Tram ab!

Mittlerweile hat sich so die SRS zu einer Art Vorzeigeunternehmen für „zeitgemäßen ÖPNV unter schwierigsten Randbedingungen“ entwickelt. Ein bundesweiter Erfahrungsaustausch im Sinne „best practices“ soll hiermit ausdrücklich angeregt werden!

Berlin-Brandenburgischer Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 6/2006 (Dezember 2006/Januar 2007), Seite 21-22