Weichenstellungen für die Zukunft

Senat und BVG müssen umgehend die Flexity-Trams bestellen

Im Frühjahr wollte die BVG die Serienbestellung der neuen Straßenbahngeneration Flexity Berlin vornehmen. Doch noch ist nichts geschehen. Dabei werden die neuen Fahrzeuge dringend gebraucht. Ebenso wichtig ist, dass die erste Serienbestellung vollständig 40 Meter lange Fahrzeuge umfasst.


IGEB Stadtverkehr

25. Jun 2009

Während der BVG-Busbetrieb jedes Jahr im Durchschnitt über hundert neue Fahrzeuge bekommt, muss der Straßenbahnbetrieb noch immer mit den alten Tatrawagen auskommen, die andernorts, z. B. in Dresden, Rostock und Erfurt, bald ausgemustert sein werden. Dadurch ist bei der Tram noch immer kein vollständig barrierefreies Angebot möglich und es müssen vielfach zu kleine Züge eingesetzt werden.

GT6: behindertenfreundlich, aber Platzmangel

Bei der Bestellung der neuen Tramgeneration für Berlin dürfen die Fehler der 1990er Jahre nicht wiederholt werden. Damals hatten Senat und BVG den Spagat zwischen großen Zielen und knapper Kasse nicht geschafft und sich für 100-Prozent-Niederflurfahrzeuge statt preiswertem Umbau der Tatras entschieden. Die Folge war der Verzicht auf die lange Version der neuen behindertenfreundlichen Niederflurbahnen. Stattdessen wurde nur die 27 m kurze Ausführung als GT6 beschafft. Dadurch hat die BVG auf wichtigen Linien noch immer nur die Wahl zwischen zu wenigen behindertenfreundlichen Fahrten oder zu wenig Platz für alle Fahrgäste.

Flexity-Prototyp der BVG in der langen 40-Meter-Version. Diese Fahrzeuge werden dringend gebraucht und müssen endlich bestellt werden. Foto: leitstreifen.de Bildarchiv

Mit der Beschaffung der Flexity-Fahrzeuge kann die BVG diese Probleme auf einen Schlag lösen. Vorausschauend wurden die Prototypen in allen vier möglichen Varianten beschafft, so dass sie auf sämtlichen in Frage kommenden Strecken erprobt werden konnten. Offensichtlich sind gravierende Mängel ausgeblieben, so dass die Straßenbahnfahrgäste für die Zukunft hoffen dürfen.

Zur Auswahl stehen:

KT4D: viel Platz, aber nicht barrierefrei

Auch für die IGEB hat das Ziel der BVG, die Tatrawagen (KT4D) abzulösen, eine hohe Priorität. Der Mangel an barrierefreien Angeboten auf den Straßenbahnlinien muss ein Ende haben. Auf einem Teil der Strecken kann die neue Tram allerdings wegen ihrer größeren Fahrzeugbreite nicht fahren, dort ist der Einsatz der GT6 nötig, die durch Flexity Berlin auf den dafür ertüchtigten Linien abgelöst werden müssen.

Auf vielen der heute mit den GT6-Fahrzeugen befahrenen Linien reicht – wie oben erwähnt – die Kapazität nicht aus, so dass die geplanten langen Ausführungen des Flexity eine Entlastung bringen werden. Wenn Senat und BVG argumentieren, dass auch auf diesen Linien kaum jemand an den Haltestellen zurückbleibt, so ist das aus Fahrgastsicht natürlich ärmlich – wie sollen mit einem erschöpften Angebot neue Kunden gewonnen werden? Kein Berliner wird seinen garantierten Sitzplatz im Auto aufgeben, wenn ihm eine rollende Sardinendose als Alternative geboten wird. Neben Kunden mit Kinderwagen stellt auch die immer größer werdende Gruppe der Rollstuhl- und Rollatornutzer erweiterte Platzansprüche.

Für die Linien M 2 und M 10, bei denen es keine Wendeschleifen gibt, sind die langen Neubauwagen sogar „lebenswichtig“, denn hier können bei Wagenmangel keine anderen Wagentypen eingesetzt werden. Aber auch die Metrolinien mit Einrichtungsbetrieb benötigen bei Baustellen oft große Zweirichtungszüge – zusätzlich zum Grundbedarf dieser Bauart. Die Absicht der BVG, etwa ein Drittel der Niederflurflotte als Zweirichtungswagen zu beschaffen, ist daher zu begrüßen.

Flexity-Erstbestellung: nur 40-Meter-Fahrzeuge!

Bei der ersten Serienbestellung sollten ausschließlich die langen Flexity-Fahrzeuge geordert werden. Nur mit diesen Wagen lassen sich auf den hergerichteten Strecken die Tatras ohne Probleme ablösen und die fehlenden Kapazitäten auf den GT6-Metrolinien schaffen. Immerhin kann die BVG durch einen langen Flexity gleich zwei Tatrawagen ersetzen.

Bei späteren Flottenerweiterungen sollten dann die Einrichtungswagen auch in der kurzen Version beschafft werden, die mit ihren 31 Metern Länge und 10 cm mehr Breite gegenüber den GT6 ebenfalls eine Verbesserung darstellen. Der Flächenzuwachs beträgt immerhin etwa 11 m² je Fahrzeug. Die Zweirichtungszüge sollten demgegenüber ausschließlich in der langen Version bestellt werden, da es in diesen Fahrzeugen wegen der zusätzlichen Türen weniger Platz für die Fahrgäste gibt als in den Einrichtungsversionen.

In den Medien wurde von einer Erstbestellung von 140 Flexity-Fahrzeugen gesprochen. Das wäre ein klares verkehrs- und umweltpolitisches Signal. Nunmehr bahnt sich jedoch an, dass die erste Liefertranche nur 99 Fahrzeuge umfassen soll. Laut vertraglicher Regelung mit Bombardier können davon pro Jahr ca. 20 bis 25 Fahrzeuge geliefert werden. Die Lieferung muss binnen 21 Monaten nach der Bestellung erfolgen. Wichtig ist dabei vor allem, dass das Schwergewicht auf die Bestellung von 40-m-Fahrzeugen gelegt wird. Denn durch die regelmäßig überfüllten GT6-Züge auf den Linien M 2, M 5, M 6, M 8 und M 10 besteht dort großer Bedarf zur Ausweitung der Kapazitäten. Auf keinen Fall dürfen die Fehler der Nachwendezeit wiederholt und wegen Geldknappheit (zunächst) kurze Versionen bestellt werden.

In der geplanten Gesamtflotte sind mit 150 GT6-Wagen genügend kurze Züge vorhanden, so dass die IGEB für die 210 Flexity-Fahrzeuge folgende Mengenverteilung vorschlägt: Zur Hälfte lange Einrichtungswagen (105), ein Drittel lange Zweirichtungswagen (70) und der Rest kurze Einrichtungswagen (35).

Mit den langen Zügen kann die Straßenbahn ihre Stärke nutzen, hohe Leistungen mit wenig Aufwand zu erbringen – so wird auch der Straßenbahnbetrieb wirtschaftlicher. Deshalb sind nun der Berliner Senat und der BVG-Aufsichtsrat gefordert, die Weichen für die Zukunft der Berliner Straßenbahn zu stellen. Das muss schnell geschehen wegen der absehbar notwendigen Ausmusterung der Tatrawagen. Und es kann schnell geschehen, denn durch eine Sonderfinanzierung im Rahmen des BVG-Verkehrsvertrages ist die Finanzierung gesichert.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2009 (Juli 2009), Seite 14-15