Eine Chance wurde vertan
Mit dem Ziel einer möglichst raschen Überwindung der Konjunkturschwäche legte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee am 4. Dezember 2008 das Konjunkturpaket I vor, am 20. Februar 2009 folgte die Projektliste des Konjunkturpakets II. Damit erreichen die Investitionen u. a. auch für die Schieneninfrastruktur zwar einen neuen Rekord, es wurde jedoch die Chance vertan, angesichts der Klimaschutzziele dringend gebotene Akzente zugunsten nachhaltiger Mobilität zu setzen. Autoverkehr und Autoindustrie werden überdurchschnittlich gefördert, der ressourcenschonende Schienenverkehr zu wenig und der ÖPNV gar nicht.
25. Jun 2009
Das Konjunkturprogramm I (KP I) hat für den Ausbau des Schienenverkehrs ein Volumen von 620 Mio. Euro, das Konjunkturprogramm II (KP II) sogar von 700 Mio. Euro. Zum Vergleich: Für Investitionen in die Bundesfernstraßen stehen mit dem KP I insgesamt 950 Mio. Euro zur Verfügung, mit dem KP II noch einmal 850 Mio. Euro. Nicht berücksichtigt sind hierbei jeweils die zusätzlichen Mittel der Bundesländer.
Überhaupt keine Unterstützung gibt es für den öffentlichen Nahverkehr. Zwar gewährt die Bundesregierung den Ländern und Kommunen „Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen“, aber bei den Förderbereichen wird im Investitionsschwerpunkt Infrastruktur die Förderung des ÖPNV ausdrücklich ausgeschlossen (Bundesgesetzblatt 2009, Teil I, S. 428).
Die Investitionsschwerpunkte bei den Bundesschienenwegen sind
Im Konjunkturprogramm II kommen zur
Förderung des Kombinierten Verkehrs 100 Mio. Euro hinzu, die sich folgendermaßen aufteilen:
Ein wesentlicher Schwerpunkt der beiden Konjunkturprogramme ist erfreulicherweise die Modernisierung von Bahnhöfen. Der Nachholbedarf ist vielfach gerade bei kleineren Bahnhöfen bzw. Haltepunkten immens. Im Gegensatz zu den extrem teuren und erst langfristig nutzbaren Neubaustrecken ermöglichen die hier zur Verfügung gestellten Mittel auch einen vergleichsweise zeitnahen Nutzen für die Fahrgäste. Das Programm „Personenbahnhöfe“ ist in insgesamt sechs Arbeitspakete (AP) unterteilt:
AP 1: Gebäudesanierung mit energetischen Maßnahmen von 30 Bahnhöfen (ausschließlich aus KP I 31,8 Mio. Euro): Hierzu zählen beispielsweise Maßnahmen wie die energetische Gesamtertüchtigung der Gebäudehülle, Austausch alter Fenster durch Fenster mit Wärmeschutzverglasung oder die Erneuerung veralteter Heizungsund Lüftungsanlagen.
AP 2: Verbesserung der Informationsqualität bei 1747 Bahnhöfen (aus KP I und KP II insgesamt 33,5 Mio. Euro): Geplant sind der Neubau oder der Austausch der Fahrgastinformationsanlagen, der Neubau von Anlagen zur Reisendenwarnung, der Neubau dynamischer Schriftanzeiger (DSA) und die Nachrüstung bzw. der Austausch von Infotafeln.
AP 3: Ertüchtigung kleiner Stationen/Verbesserung des Erscheinungsbildes von 575 Bahnhöfen (aus KP I und KP II insgesamt 68,3 Mio. Euro): Hierzu zählen z. B. die Sanierung von Bahnsteigbelägen und Bahnsteigkanten, der Neubau von Bahnsteigen und Bahnsteigerhöhungen einschließlich der technischen Ausstattung und die Sanierung oder der Neubau von Bahnsteigunterführungen.
AP 4: Verbesserung des Zuganges bei 83 Bahnhöfen mit mehr als 1000 Reisenden pro Tag (aus KP I und KP II insgesamt 55,7 Mio. Euro): Zu diesem Paket gehören z. B. der Neubau bzw. die Sanierung von Aufzügen, der Austausch von Fahrtreppen und der Neubau von Rampen/Gehwegen.
AP 5: Verbesserung des Wetterschutzes von 217 Bahnhöfen (aus KP I und KP II insgesamt 67,8 Mio. Euro): In diese Kategorie gehören die Sanierung von Bahnsteigdächern und Bahnsteighallen, der Neubau von Bahnsteigdächern bzw. der Neubau von Wetterschutzhäuschen.
AP 6: Verbesserung der Sicherheit an 312 Bahnhöfen (aus KP I und KP II insgesamt 42,9 Mio. Euro): Die Sicherheit der Bahnkunden soll bei den betroffenen Bahnhöfen u. a. durch die Erneuerung von Beleuchtungsanlagen auf Bahnsteigen bzw. ihren Zugängen (u. a. auch bei Personenunterführungen) verbessert werden.
Mit den beiden Konjunkturprogrammen wurde leider die Chance nur unzureichend genutzt, einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz und zur notwendigen Verringerung der Abhängigkeit von (endlichen!) Erdölvorräten zu leisten. Die Höhe der Investitionsmittel für die Verbesserung des Schienenverkehrs steht in einem krassen Missverhältnis zu den Ausgaben für Straßenaus- und -neubauten und der als „Umweltprämie“ deklarierten Abwrackprämie für Altautos. Letztere wurde zur Subventionierung der Automobilindustrie durch Beschluss des Bundeskabinetts vom 8. April 2009 sogar von 1,5 auf 5 Milliarden (!) Euro großzügig aufgestockt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Weshalb gibt es eine Abwrackprämie eigentlich nicht auch für alte Busse oder Straßenbahnen? Mit dem Ersatz alter Fahrzeuge hätte ein Beitrag zur Energieeinsparung und zur Verringerung von Instandhaltungs- und Betriebskosten im Bereich des ÖPNV geleistet werden können.
Unverständlich bleibt auch, weshalb die Chance zur Realisierung bereits seit langem diskutierter Projekte, z. B. die Elektrifizierung der Strecken Nürnberg/Regensburg— Marktredwitz—Cheb (Eger)/—Hof—Reichenbach (Vogtland), im Rahmen der Konjunkturprogramme nicht bzw. nur unzureichend genutzt wird. Die nunmehr geplante Elektrifizierung zwischen Hof und Reichenbach (Vogtland) ist z. B. für den internationalen Güterverkehr mit langen Lokdurchläufen nur von sehr eingeschränktem Nutzen und bleibt damit Stückwerk.
Fraglich bleibt die Umsetzung vieler Projekte angesichts der Rekordverschuldung des Bundeshaushalts nach dem Auslaufen der Konjunkturprogramme. Ab 2011 droht das Risiko eines wiederum deutlich unterfinanzierten Verkehrshaushalts. Wird dann ein Vorhaben wie das beispielhaft benannte Elektrifizierungsprojekt tatsächlich noch in einem überschaubaren Zeitraum abgeschlossen werden können?
Deutscher Bahnkunden-Verband, Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 3/2009 (Juli 2009), Seite 4-5