Berlin

Boulevard der Stars blockiert Straßenbahn

Walk of Shame statt Walk of Fame


IGEB Stadtverkehr

10. Okt 2009

Leipziger Straße. Hier liegen bereits Straßenbahngleise für die Tram vom Alex zum Kulturforum. Aber wenn auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße der Boulevard der Stars gebaut wird, dann kann hier keine Straßenbahn fahren. Foto: Marc Heller

Ab 2010 soll in Berlin auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße der „Boulevard der Stars“ entstehen, genau dort, wo künftig die Straßenbahn vom Alexanderplatz zum Kulturforum verkehren soll. Der vom Preisgericht eines Realisierungswettbewerbs ausgewählte Entwurf ist mit der Straßenbahnplanung nicht vereinbar. Doch das scheint niemand zu interessieren, schon gar nicht die für Boulevard und Straßenbahn verantwortliche Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Gegner des Straßenbahnausbaus können also wieder einmal triumphieren: SPD und Linke reden stets von der Straßenbahn und bauen doch selbst die größten Hindernisse. So wird aus dem Walk of Fame (Straße des Ruhms) ein Walk of Shame (Straße der Schande). Dabei gäbe es Alternativen.

Das Kino wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch von zwei Berlinern, den Brüdern Skladanowsky, entwickelt. Dennoch gibt es in Berlin bis heute keine Erinnerungsstätte, die diese Leistung und das Kino als solches angemessen würdigen. Aber nun soll ein Boulevard der Stars im Mittelstreifen der Potsdamer Straße zwischen Potsdamer Platz und Kulturforum realisiert werden. Die Grundsteinlegung ist im Februar 2010 anlässlich der 60. Berliner Filmfestspiele geplant.

Preisgekrönter Entwurf vom Büro GRAFT mit ART+COM AG für den Boulevard der Stars. Wird er so realisiert, kann die auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße geplante Straßenbahn nicht mehr gebaut werden. Abbildung aus: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ergebnisprotokoll, Juni 2009.

Straßenbahn soll „berücksichtigt“ werden

Mittelstreifen der Potsdamer Straße? Sollte da nicht eigentlich eine Straßenbahntrasse gebaut werden? Richtig – und jetzt wird es skurril: Ungeachtet dieser Planungen schrieb die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Februar 2009 einen Wettbewerb zur Realisierung eines „Boulevard der Stars“ auf dem Mittelstreifen aus, wenn auch mit der Vorgabe: „Bei der Konzeptfindung ist zu berücksichtigen, dass später einmal (sic!) eine Straßenbahn auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße fahren wird.

Zitat aus der Ausschreibung: „Das von den Wettbewerbsteilnehmern zu entwickelnde Konzept muss gewährleisten, dass die Straßenbahnplanung in der vorliegenden Form zu gegebener Zeit realisiert werden kann. Hierzu ist es jedoch nicht erforderlich, dass der Entwurf bereits von vornherein in vollem Umfang die Straßenbahnplanung berücksichtigt. Vielmehr können in einer zeitlichen Stufung die Vorbehaltsflächen der Straßenbahn für den Boulevard der Stars zunächst mit in Anspruch genommen werden. Sobald die Straßenbahntrasse und die Haltestelle im Mittelstreifen realisiert werden, müssen die hier eingebauten Elemente ohne großen technischen und finanziellen Aufwand in andere Flächen des Wettbewerbsgebietes verlagert werden können.“

Da in dieser Stadt entgegen aller öffentlichen Bekundungen die Straßenbahn und die sie betreffenden Planungen immer an letzter Stelle kommen, sind die Entwürfe entsprechend ausgefallen. Drei der sieben Wettbewerbsbeiträge ignorieren die Straßenbahn komplett, die Trasse kommt nicht einmal pro forma als Skizze in den Entwürfen vor. Hier vertraut man wohl auf das „Stufenkonzept“ der Straßenbahnplanung bzw. darauf, dass die Trasse nie realisiert wird.

Wettbewerbsteilnehmer ignorieren Straßenbahnplanung

Ein Entwurf (Nr. 1323) zeigt zwar Straßenbahngleise und sogar eine Straßenbahn, platziert aber mitten auf der eingezeichneten Trasse einen riesigen, mit goldener Farbe bemalten Steinbrocken. In den Plänen eingezeichnet ist eine Straßenbahn, die vor diesem Stein steht und offensichtlich darauf wartet, dass dieser sich auflöst – ein Sinnbild für die Zustände in Berlin.

Ein Entwurf (Nr. 1321) versucht, die Straßenbahn irgendwie unterzubringen, positioniert die Ausstellungselemente (begehbare ca. 3 m hohe schwarze Metallkästen) aber bis zu 37 cm an das Gleis heran, was sogar von der Jury als zu dicht und als Gefährdung eingeschätzt wurde. In der Tat würden die übermannshohen schwarzen Metallbügel den Passanten die Sicht auf die Züge und umgekehrt versperren, was ein massives Sicherheitsproblem darstellte.

Potsdamer Straße zwischen Potsdamer Platz (unten) und Kulturforum (oben). Auf dem Mittelstreifen und den beiden Gehwegen will der Berliner Senat den Boulevard der Stars realisieren. Abb. aus: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ausschreibung, Februar 2009.

Der einzige Entwurf, der die Straßenbahn ernst nimmt, ist Nr. 1322. Bei diesem wird die Bahn in der Mitte des Mittelstreifens angeordnet, rechts und links finden sich Leuchten, die an Design-Gartenleuchten erinnern und den Boulevard der Stars darstellen sollen. Immerhin wurde hier sogar ein Platz für eine Haltestelle planerisch ausgearbeitet. Leider wurde der Entwurf nur mit einem 2. Preis bedacht.

Der Siegerentwurf (Nr. 1325) vom Büro GRAFT mit ART+COM AG dilettiert mit einer shared-space-Variante zu Lasten der Straßenbahn. Hier wird ein roter Asphaltbelag („Roter Teppich“) abwechselnd auf die Gleise Richtung Steglitz und Richtung Weißensee gelegt, alle 40 m sind beide Gleise Ausstellungszone. In den Asphalt der Seitenbereiche sollen dann fünfzackige Sterne mit den Namen der Geehrten eingelassen werden, was eine einfallslose Kopie des Vorbildes aus Hollywood darstellt.

Zusätzlich ist geplant, Metallstelen aufzustellen, in denen die Bilder von verstorbenen Schauspielern und Regisseuren so projiziert werden, dass sich Passanten „neben“ diese auf den Boulevard stellen und gemeinsam fotografiert werden können. Man stelle sich das mal im realen Leben vor: Vom Alex und von der Bülowstraße kommen im 3-Minuten-Takt Züge der M 4 und müssen sich dann durch die Gruppen von Filmfans klingeln, die ein Erinnerungsfoto mit der virtuellen Hildegard Knef machen wollen und dafür auf den Gleisen posieren – absurd. Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen BVG-Kampagne „Achte auf Deine Linie“, in der die Menschen mühsam dazu angehalten werden, den Straßenbahngleisen fernzubleiben, erscheint dieser Entwurf wie ein Stück aus dem Tollhaus.

Jury verkennt Sicherheitsprobleme

Nun kann die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zwar darauf verweisen, dass sie in der Ausschreibung korrekt darauf verwiesen hat, dass „ein Fußgängerverkehr auf den lediglich 3 m breiten Streifen zwischen Straßenbahntrasse und Fahrbahnen aus Sicherheitsgründen nicht zu vertreten ist.“ Doch die Jury hat sich bei der Vergabe des 1. Preises darüber hinweggesetzt, behauptete aber laut Ergebnisprotokoll der Preisgerichtssitzung vom 28. Mai 2009: „Die Umsetzung der projektierten Straßenbahnplanung hält die Jury mit der offenen Konzeption des Entwurfs erfüllbar.“ Welch ein Irrtum!

Doch das hinderte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die diesen Irrtum als erste erkennen müsste, nicht daran, die Realisierung des 1. Preises zu verkünden und damit Berlins wichtigste Straßenbahnneubaustrecke für lange Zeit zu blockieren. Dabei würde die Straßenbahnlinie M 4 bei einer Führung von Hohenschönhausen über Potsdamer Platz bis Rathaus Steglitz mit täglich 145 000 Fahrgästen äußerst attraktiv und auch wirtschaftlich (siehe Studie „Busersatzverkehr“, vorgestellt im SIGNAL 5/2008, Artikellink am Ende dieses Artikels).

Warum schweigt der Finanzsenator?

Eine profitable Straßenbahn als gelungenes Vorbild für weitere Ausbaumaßnahmen ist aber trotz Haushaltsnotlage offensichtlich kein erstrebenswertes Ziel. Während es beim Straßenneubau in Berlin mittlerweile ungebremst zurück in die 1960er Jahre geht und der Senat den Autobahnbau durch Wohngebiete der Innenstadt mit äußerstem Engagement vorantreibt, hat die Straßenbahn offensichtlich nichts zu erwarten. Der Boulevard der Stars ist – wenn er in der beabsichtigten Version realisiert wird – eine große Geldverschwendung, denn der Siegerentwurf verträgt sich nicht mit der Bahn und müsste dementsprechend eines Tages entfernt werden. Das wäre eine sogenannte „verlorene Investition“. Was sagen eigentlich Finanzsenator und Landesrechnungshof dazu?

Um es klar zu sagen: Der Berliner Fahrgastverband IGEB ist nicht gegen eine Ehrung von Künstlern der Filmbranche, von denen viele unter großen persönlichen Opfern sowie mit viel Engagement das Kino bereichert haben und von denen viele ab 1933 von den Nazis aus der Stadt vertrieben oder umgebracht wurden. Eine Würdigung ist überfällig. Aber warum muss diese Ehrung ausgerechnet auf einer der wichtigsten Straßenbahntrassen Berlins stattfinden?

Es gibt bessere Lösungen – für alle

Dabei gibt es Möglichkeiten, den Boulevard der Stars zu realisieren, ohne die Straßenbahn zu verhindern. Wenn diese Strecke endlich gebaut würde, könnte die bestehende Busspur in der Potsdamer Straße aufgehoben und den Gehwegen zugeschlagen werden. Auf diesen jeweils 3,50 m breiten Streifen ließe sich dann beiderseits der Potsdamer Straße ein dauerhafter Boulevard der Stars anlegen.

Der Berliner Fahrgastverband IGEB schlägt deshalb vor, den existierenden Mittelstreifen sofort mit eingepflasterten Gleisen und Haltestellebereichen zu realisieren und bis zum Anschluss an das Straßenbahnnetz als Busfahrstreifen für die Linien M 48, M 85 und 200 zu betreiben. Dadurch würde allen künftigen Nutzungskonflikten vorgebeugt. Die gegenwärtigen Busspuren können dann sofort aufgehoben und für einen permanenten Boulevard der Stars genutzt werden. (mg)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 4/2009 (September 2009), Seite 10-11