Das Desaster als Chance

Die einbehaltenen S-Bahn-Gelder ermöglichen dauerhafte Verbesserungen im Berliner Nahverkehr

Im Chaosjahr 2009 sind viele fahrplanmäßige Fahrten der Berliner S-Bahn ausgefallen. Deshalb werden die Länder Berlin und Brandenburg ihre Zahlungen an die S-Bahn Berlin GmbH entsprechend kürzen. So ärgerlich die Zugausfälle für die Fahrgäste waren, so besteht aber nun die Chance, die einbehaltenen Gelder für kurzfristige Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur einzusetzen, die andernfalls nur langfristig oder gar nicht möglich wären.


Berliner Fahrgastverband IGEB

1. Jan 2010

S-Bf Ostkreuz, Ringbahnsteig. Der Witterungsschutz ist vollkommen unzureichend. Die einbehaltenen S-Bahn-Gelder bieten die Chance, den Bahnsteig endlich zu überdachen. Foto: Marc Heller
Beim Ausbau des Groß-Berliner Damms ist die Straßenbahntrasse bereits berücksichtigt worden, so dass hier mithilfe der einbehaltenen S-Bahn-Gelder umgehend Gleise gelegt werden können, um die Tram von der Wissenschaftsstadt Adlershof nach Schöneweide zu führen. Foto: Matthias Horth
Die einbehaltenen S-Bahn-Gelder müssen auch genutzt werden, um 40 m lange Flexity-Straßenbahnen für die BVG zu kaufen, fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB. Foto: Holger Mertens

Grundsätze zur Verwendung der S-Bahn-Gelder

Bis 2017 ist die S-Bahn Berlin GmbH mit dem Verkehr im Raum Berlin beauftragt. Grundlage ist ein Verkehrsvertrag, der allerdings den Ländern Berlin und Brandenburg bei mangelhaften Leistungen der S-Bahn GmbH keine oder nur unzureichende Sanktionsmöglichkeiten bietet. Anders ist es, wenn die vertraglich vereinbarten Verkehrsleistungen gar nicht erbracht werden. Dann können die Länder als Besteller Geld ohne Deckelung des Betrages einbehalten.

Da in diesem Jahr vor allem im Januar, Juli, September und Oktober in gravierendem Umfang Zugleistungen ausgefallen sind, rechnet man bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung damit, dass für 2009 rund 30 bis 40 der 232 Millionen Euro nicht ausgezahlt werden müssen. Da Brandenburg für 2009 nur 28 Millionen Euro zahlen müsste und hier auch weniger S-Bahn-Züge ausfielen, ist der Betrag dementsprechend sehr viel geringer.

Der Berliner Fahrgastverband IGEB hat deshalb in einem Schreiben an die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Vorschläge zur Verwendung der einbehaltenen S-Bahn- Gelder unterbreitet. Für die Verwendung der vom Land Berlin einbehaltenen Gelder sind aus IGEB-Sicht folgende Grundsätze zu berücksichtigen:

Investitionen für die Regionalbahn-Fahrgäste

Die Finanzierung des großen Umbaus des Bahnhofs Ostkreuz ist gesichert. In dem Planfeststellungsbeschluss und in allen DB-Farbprospekten enthalten ist auch eine Halle für den neuen Regionalbahnsteig auf der Ringbahn. Aber aus finanziellen Gründen ist diese Halle gestrichen worden. Doch seit Herbst 2009 bis voraussichtlich 2014 halten die S-Bahn-Ringlinien an diesem Bahnsteig. Trotz sehr hohem Fahrgastaufkommen und trotz der exponierten Hochlage des Bahnsteigs besteht der Witterungsschutz nur aus wenigen umgewandelten „Buswartehäuschen“, die jeweils nur einem kleinen Teil der wartenden Fahrgäste bei Regen und Sturm Schutz bieten können. Dies ist auch für den später hier abzuwickelnden Regionalverkehr völlig unzureichend, denn schließlich wird ab 2014 von diesem Bahnsteig beispielsweise die Regionalbahnlinie 24 zum neuen Flughafen BBI fahren. Deshalb fordert die IGEB, dass aus den zur Verfügung stehenden S-Bahn-Geldern entweder die ursprünglich geplante Halle oder zumindest ein Dach errichtet wird, das Regenschutz für den gesamten Bahnsteig und alle Zu- und Abgänge gewährleistet.

Investitionen für die U-Bahn-Fahrgäste

Während fast alle Untergrundbahnhöfe durch die aus Brandschutzgründen erfolgten Nachrüstungen der letzten Jahre inzwischen über mindestens zwei Zugänge verfügen, haben viele Bahnhöfe entlang der alten Hochbahnstrecken nur einen Zugang an einem Bahnsteigende, was gerade wegen der hier besonders großen Bahnhofsabstände für viele Fahrgäste unnötig lange Wege zum Erreichen der Bahnsteige zur Folge hat. Die IGEB schlägt deshalb den Neubau von zusätzlichen Zugängen u. a. an den U-Bahnhöfen Görlitzer Bahnhof, Prinzenstraße, Oskar-Helene-Heim und Hallesches Tor vor.

Investitionen für die Straßenbahn-Fahrgäste

Äußerst sinnvoll – und auch im Sinne des Bundes sachgerecht – ist die Verwendung der Regionalisierungsmittel für den Ausbau der Straßenbahn. Aber Straßenbahn-Neubaustrecken setzen einen erheblichen planerischen Vorlauf und auch den entschiedenen (nicht nur verbal geäußerten) politischen Willen zum Ausbau der Straßenbahn voraus. An beidem fehlt es zurzeit in Berlin, so dass die IGEB wegen der oben beschriebenen zeitlichen Zwänge den Mitteleinsatz auf zwei eher unproblematische Maßnahmen konzentriert sehen möchte:

Verbesserungen von Straßenbahn- und Bushaltestellen

Noch immer ist die Liste der ÖPNV-Knotenpunkte, an denen umsteigende Fahrgäste unnötig lange Fußwege zurücklegen müssen, sehr lang. Die einzubehaltenden S-Bahn-Gelder sollen daher auch eingesetzt werden, um die Umsteigebedingungen baldmöglichst zu verbessern.

Ein wichtiger Umsteigepunkt, an dem die zwischen S-Bahn und Straßenbahn umsteigenden Fahrgäste noch viele unnötige Ebenen zu überwinden und dunkle Tunnel zu durchqueren haben, ist der S-Bahnhof Greifswalder Straße. Durch den Bau von zusätzlichen Treppenanlagen wäre hier ein direkter Umsteigeweg zwischen S-Bahnsteig und Straßenbahnhaltestellen möglich.

Am S-Bahnhof Landsberger Allee können vor allem die Umsteigewege für Fahrgäste, die auf die Aufzüge angewiesen sind, verkürzt werden: Anstelle des zu kleinen, nicht einsehbaren und häufig defekten Aufzuges zum Bürgersteig sollten aus der Zwischenebene zwei Aufzüge direkt auf die Haltestelleninseln der Straßenbahn gebaut werden. Und für alle übrigen Fahrgäste sollte eine deutliche gestalterische Aufwertung des finsteren Verbindungsganges und der Wellblechdächer der Straßenbahnhaltestellen erfolgen.

Deutlich weniger aufwendig, aber eben auch mit Kosten verbunden sind die folgenden Vorschläge zur Verbesserung der Umsteigewege: An der Wilhelminenhof-/ Edisonstraße („Königsplatz“) sollten durch eine zusätzliche Haltestelle in der Wilhelminenhofstraße in Fahrtrichtung Köpenick und durch Verlegung aller Haltestellen in den unmittelbaren Kreuzungsbereich die Umsteigesituation verbessert und Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass alle Fahrgäste die nächste Fahrtmöglichkeit in die jeweilige Richtung nutzen können.

Am U-Bahnhof Friedrichsfelde sollte der Haltestellenstandort der Buslinie 194 in der Rummelsburger Straße in Fahrtrichtung Marzahn direkt an die Ampel verlegt werden. In Rosenthal sollte eine Neugestaltung der Umsteigesituation zwischen Straßenbahnlinie M 1 und der Buslinie M 21 erfolgen, damit Umsteigewege verkürzt und gleichzeitig aufwendige Umweg- und Leerfahrten vermieden werden können.

Am S-Bahnhof Hohenschönhausen sollte die dauerhafte Nutzung (und ggf. Erweiterung) der kombinierten Bus- und Straßenbahntrasse gewährleistet werden, da eine dauerhafte Mitnutzung der kombinierten Trasse durch Busse noch immer nicht gesichert ist.

Und am S-Bahnhof Tegel könnte durch Verlegung der Haltestelle „Gorki-/Ziekowstraße“ der Buslinien 124, 125 und 222 in Fahrtrichtung Osten der Umsteigeweg von und zum S-Bahnhof Tegel deutlich verkürzt werden. Die Haltestelle sollte hier unmittelbar hinter dem Bahnübergang neu angelegt werden.

Schließlich gibt es auch noch eine Vielzahl von kleineren Maßnahmen, durch die die Nutzungsbedingungen für die Fahrgäste verbessert werden können und bei denen die S Bahn-Gelder sinnvoll investiert werden können. Dazu gehören z. B. die Anlage von Kap-Haltestellen sowohl bei einer Vielzahl von Straßenbahn- wie auch bei Bushaltestellen. Und wünschenswert ist auch eine deutliche Erhöhung der Zahl der funkgesteuerten dynamischen Anzeigen an wichtigen Straßenbahn- und Bushaltestellen.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 5/2009 (Dezember 2009), Seite 9-10