International

Die Rückkehr der Elektrischen

Billiger als die U-Bahn, schneller als der Bus: Die Straßenbahn ist die kluge Antwort auf die Mobilitätsprobleme unserer Metropolen. Aber in Deutschland hat man das noch nicht erkannt.


Michael Cramer, MdEP, Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

1. Jan 2010

Moderne Straßenbahn in Nice (Nizza), hier wegen des historisch wertvollen Stadtbildes ohne Oberleitung. In vielen europäischen Ländern gibt es eine Tram-Renaissance. Führend ist hierbei Frankreich. Foto: Carolin Behrens

Die Tram kehrt zurück. Vor allem in Frankreich hat das Verkehrsmittel eine Renaissance erlebt: Paris hat in den 1990er Jahren begonnen, die Vorstädte dank Tram besser mit der Stadt zu verbinden. Marseille, Straßburg, Nantes oder Grenoble haben ihre unter Staus und Abgasen leidenden Innenstädte mithilfe der umweltfreundlichen „Elektrischen“ zurückerobert – Stadterneuerung und Aufwertung der Innenstadt-Quartiere inklusive. Jenseits des Rheins soll das Tram-Netz bis zum Jahr 2015 um weitere 576 Kilometer wachsen. Auch in Spanien, Großbritannien und Italien setzen immer mehr Städte auf die Straßenbahn.

In Florenz etwa werden derzeit drei Linien gebaut – eine davon wird mit moderner Technik ohne Oberleitung am Dom vorbeirauschen. Überall, wo Städte und Regionen den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs im größeren Stil neu denken, setzen sie heute auf die Straßenbahn – zumindest jenseits der deutschen Grenzen. Bei uns steht die große Tram-Renaissance noch immer aus.

Vorreiter war die Bundesrepublik allerdings beim Abbau der Straßenbahn gewesen. Ab den 1950er Jahren haben zahlreiche Kommunen ihr Netz komplett beseitigt – so zum Beispiel Wiesbaden, Lübeck, Hagen und Hamburg. In West-Berlin fuhr die letzte Straßenbahn 1967. Zuvor waren dort seit Kriegsende 250 Kilometer Gleise stillgelegt und aus den Straßen herausgerissen worden. Das Ziel war dabei klar: Platz schaffen für die autogerechte Stadt. Die Straßenbahnfahrgäste wurden auf die U-Bahn und vor allem Busse verwiesen, die sich den Straßenraum mit den Pkw teilen sollten. Auch Städte, die auf ihre Straßenbahnen nicht ganz verzichten wollten, folgten dieser Philosophie, indem sie die Strecken in der Innenstadt unter die Erde legten, damit die Autos oben mehr Platz haben. So haben Hannover und viele Städte im Rhein-Ruhr-Gebiet in den Nachkriegsjahrzehnten Milliarden aus Mitteln für den Öffentlichen Nahverkehr dafür ausgegeben, die Tram im Tunnel zu „versenken“.

Profitiert hat davon vor allem das Auto – mit all den verheerenden Folgen für unsere Städte. Die autogerechte Stadt hat ein Problem nach dem anderen mit sich gebracht: Staus, Smog, Unfälle, Entwertung der Innenstädte als Wohnraum – von der grauen Ästhetik mehrspuriger Schneisen durch die urbanen Zentren ganz zu schweigen. Inzwischen hat die Erkenntnis „das Auto mordet unsere Städte“ – so der damalige Oberbürgermeister von München Hans Jochen Vogel schon 1972 (!) – vielerorts zu einem Paradigmenwechsel geführt. Selbst die EU hat sich den vermeintlich kommunalen Problemen des Verkehrsmanagements angenommen und zielt auf mehr öffentlichen Verkehr. Seit 20 Jahren setzen deshalb weltweit Städte auf die Rückkehr der Tram.

Sie ist erstens sehr viel billiger als der U-Bahn-Bau – für den Preis von 10 Kilometern Tunnelbau kann man rund 100 Kilometer Tramschienen verlegen. Sie ist zweitens näher an den Fahrgästen, weil die oberirdischen Haltestellen viel besser erreichbar sind als die unterirdischen U-Bahnhöfe. Sie ist drittens dank moderner Verkehrsleittechnik lange nicht mehr das „Schneckenverkehrsmittel“, das ständig im Stau und an roten Ampeln stecken bleibt. Zürich hat vorgemacht, wie mit Hilfe von Vorrangschaltungen und eigenen Trassen die Fahrzeiten verkürzt werden können. Sie ist viertens konsequent, wenn man die Zurückdrängung des Autos und die Revitalisierung der Innenstädte ernst meint.

In Berlin kann man exemplarisch sehen, dass in Deutschland vielerorts noch immer der Tunnelblick vorherrscht. In den letzten 10 Jahren hat die Stadt gerade einmal eine Stummel-U-Bahn-Strecke von 1,5 km Länge vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor realisieren können. Mit den 320 Millionen Euro Baukosten hätten 20 Kilometer Straßenbahn realisiert werden können, von denen sehr viel mehr Fahrgäste profitiert hätten. Denn die teuren und langwierigen U-Bahn- Ausbauten haben letztlich nur eine Konsequenz: Aus Mangel an Alternativen ist erneut das Auto der Gewinner.

Wie viel schneller Straßenbahnen zu realisieren sind, kann man in Straßburg beobachten. Dort gewann die sozialistische Bürgermeisterkandidatin 1989 die Wahl mit dem Versprechen, die 1960 abgeschaffte Tram wiedereinzuführen. Fünf Jahre später konnten die Bürger in die ersten beiden Linien einsteigen. Heute verfügt Straßburg über ein dichtes Straßenbahnnetz und der öffentliche Verkehr gewinnt kontinuierlich Fahrgäste hinzu. In Berlin hingegen ist mit der Festlegung auf den Weiterbau der Kanzlerlinie vom Brandenburger Tor zum Alex klar, dass es auch in den nächsten 10 Jahren keine signifikanten Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr geben wird, weil fast alle Investitionsmittel durch das eine U-Bahn-Projekt gebunden sind. Die Verlierer werden die Fahrgäste und die Innenstädte sein, wenn es keine Umkehr vom nicht mehr finanzierbaren „Tunneldenken“ gibt.

Michael Cramer, MdEP, Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

aus SIGNAL 5/2009 (Dezember 2009), Seite 21