Berlin

Verkannte Straßenbahn – Verkannte Marktpotenziale


Ralph Kretschmer, Protramberlin

6. Mär 2010

Die Straßenbahn fährt in Berlin durch die Boom-Bezirke. Hier reichen die bisherigen Fahrzeuggrößen und Takte schon jetzt nicht aus. Dabei sind hier durch mehr Angebot noch erhebliche zusätzliche Fahrgastpotentiale zu aktivieren. Im Bild: M2 an einem Mittwoch um 19 Uhr 30. Foto: Holger Mertens

Wir haben im Moment in Berlin bezüglich des öffentlichen Verkehrs die glückliche Situation, dass wir aufgrund von Veränderungen in der Stadt- und Bevölkerungsstruktur in Teilen der Stadt (vor allem dort, wo die Straßenbahn bereits fährt) eigentlich „nur“ ein gutes Angebot realisieren müssen – und dann kommen auch die Fahrgäste regelrecht scharenweise hinzu. Und zwar sogar so stark, dass die Fahrgastzuwächse die Mehraufwendungen erforderlicher Taktverdichtungen mehr als kompensieren. Wenn wir die Mehrnachfrage auch noch durch größere Fahrzeuge auffangen können, dann haben wir nur eine einmalige Ausgabe für etwas teurere Fahrzeuge, aber 30 Jahre lang Mehreinnahmen gegenüber dem Einsatz kurzer Bahnen. Damit lässt sich die Wirtschaftlichkeit des öffentlichen Verkehrs und dabei insbesondere der Straßenbahn langfristig sichern.

Diese neuen „Brot- und Butter-Strecken“ befinden sich in Berlin nun einmal vor allem in Mitte, Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow. Doch erstaunlicherweise muss die BVG hier quasi „zum Jagen getragen“ werden. Sie ist offensichtlich nur eingeschränkt in der Lage, diesen Markt als langfristige Einnahmequelle für sich zu erkennen und durch entsprechende Angebote zu reagieren. Warum dies so ist, bleibt ein Raum für Spekulationen.

So wurden die jüngsten Taktverdichtungen auf der M2 und 12 voll durch Fahrgastzuwächse honoriert – und der Trend hält weiter noch an. Inzwischen lassen sich gerade auf der M2 permanente Saturierungseffekte beobachten. Es sind nicht nur einzelne Bahnen, die ab und an überfüllt sind, sondern die hohe Auslastung zieht sich über viele Stunden hin. Und dabei ist das Wachstumspotenzial (das kann man anhand der Bevölkerungsentwicklung recht genau prognostizieren) noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Ähnliches lässt sich seit Jahren schon auf einigen anderen Linien (u. a. M1, M4, M6) beobachten. So ist es Standard, dass Fahrgäste mit Kinderwagen am Rosenthaler Platz nachmittags und am frühen Abend nicht mehr in die M1 Richtung Pankow einsteigen können.

Um dieses Potenzial sinnvoll für den ÖPNV auszuschöpfen, braucht es dichte Takte und ab einer bestimmten Nachfrage eben größere Fahrzeuge. Und für Linien, wie die M2 werden kurze Flexity-Bahnen eben nicht reichen, da die potenziellen Zuwächse der nächsten Jahre weit größer sein werden, als das (bescheidene) Zusatzplatzangebot der neuen 30-Meter-Züge.

Dabei wird bei dieser Betrachtung nicht einmal von einer Steigerung des Marktanteils des ÖPNV ausgegangen, denn dafür sind lange Bahnen erst recht zwingend erforderlich. Wir haben im öffentlichen Verkehr längst einen Wettbewerb, der auch über bestimmte Mindestkomfortansprüche ausgetragen wird. Und diese werden heute auf etlichen Straßenbahnlinien (und nicht nur dort) nicht mehr erreicht.

Ralph Kretschmer, Protramberlin

aus SIGNAL 1/2010 (März 2010), Seite 17