Berlin • Brandenburg
Am 27. September 2009 wird im Land Brandenburg zusammen mit der Bundestagswahl auch ein neuer Landtag gewählt. Sowohl in den Koalitionsverhandlungen als auch im neuen Regierungsprogramm wird die Verkehrspolitik sicher eine wichtige Rolle spielen. Der DBV-Landesverband Berlin-Brandenburg hat deshalb ein Eckpunktepapier für die künftige brandenburgische Verkehrspolitik erarbeitet.
15. Sep 2009
Die neue Landesregierung muss nachvollziehbare Ziele für ihre Verkehrspolitik festlegen. Dazu gehört das Verhältnis der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zum Individualverkehr (modal split). Das Umweltbundesamt hat 2002 in seiner Veröffentlichung „Kommunale Agenda 21 – Ziele und Indikatoren einer nachhaltigen Mobilität“ Qualitätsziele für den Umweltverbund festgelegt. Demnach soll ein modal split von 50 Prozent im ländlichen Raum und 70 Prozent für Ballungsräume angestrebt werden. Die Ziele müssen in einem neuen Brandenburger ÖPNV-Gesetz festgeschrieben werden. Die Ergebnisse sind jährlich zu veröffentlichen und weitere Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels sind konkret zu benennen.
In Regionen mit bedeutender Industrieansiedlung soll ein solcher Faktor auch für den Güterverkehr entwickelt und seine Erreichung verfolgt werden.
Die Brandenburger Landesregierung soll bei ihrer strikten Ablehnung von „Gigaliner“- Versuchen und -projekten bleiben.
Derzeit lautet § 3 Absatz 3 Satz 1 des ÖPNVGesetzes: „Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung im übrigen öffentlichen Personennahverkehr ist freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte.“ Die Konsequenz daraus: Zwangsläufig leidet das ÖPNV-Angebot unter den rigiden Sparauflagen. Deshalb soll die Formulierung „ist freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe“ ersetzt werden durch „ist eine Pflichtaufgabe“.
In Brandenburg sind derzeit alle Sitzungen der Landtagsausschüsse grundsätzlich nichtöffentlich. Im Sinne einer transparenten Meinungsfindung und weil es kein zwingendes Argument für diese Geheimniskrämerei gibt, ist dieses Verfahren umzukehren: alle Sitzungen sollen öffentlich sein, nur in begründeten Ausnahmefällen kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Der Bahnverkehr soll laut aktuellem Landesnahverkehrsplan das Grundgerüst für die Versorgung mit Verkehrsleistungen im Land Brandenburg sein. In manchen berlinfernen Regionen wird die Bevölkerungszahl um bis zu 25 Prozent abnehmen. Dennoch werden auch in der Prignitz und im Elbe-Elster-Kreis, in der Region um Cottbus genauso wie in Templin weiterhin Menschen leben. Diese Menschen haben auch einen Anspruch auf eine Grundversorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Bus kann grundsätzlich immer nur ein Ergänzungsverkehr zur Schiene sein bzw. Zubringer zum Schienenverkehr; die Abstimmung zwischen den Fahrplänen ist sehr wichtig. Es ist ein landesweites integriertes Verkehrskonzept mit einer eindeutigen Aufgabenteilung zu erarbeiten.
Um nachfolgenden Generationen eine umweltverträgliche Alternative zum in den nächsten Jahrzehnten ansteigenden Straßengüterverkehr zu geben, muss jede Querverbindung zwischen bestehenden Eisenbahnstrecken, die in Zukunft gebraucht werden könnte, grundsätzlich erhalten bleiben. Diese Forderung betrifft auch den Rückbau von Überhol- und Abstellmöglichkeiten an bestehenden Strecken (zum Beispiel Brandenburger Städtebahn, Ostbahn, Güterbahnhöfe).
Ziel muss es sein, durch ein attraktives Bahn- und Busangebot die Kundenzufriedenheit zu steigern und neue Kunden dauerhaft zu gewinnen.
Es gibt aus Sicht des Bahnkunden-Verbands keinen nachvollziehbaren Grund, warum nicht die Bundesländer selber über das Nebennetz entscheiden sollen. Deshalb soll die neue Landesregierung das Ziel verfolgen, das aktive und das stillgelegte Nebennetz sowie alle Infrastrukturbestandteile (Grundstücke, auf denen sich Gleise, Weichen, Stationen, Serviceeinrichtungen, Güteranlagen, Signal- und Sicherungstechnik befinden), in Landes- oder kommunales Eigentum zu überführen.
Kommunen (Landkreise, kreisfreie Städte), die am Erwerb einer Zweigstrecke zum Erhalt und zur dauernden Nutzung interessiert sind, sollen durch die Bereitstellung von Finanzmitteln des Landes und eine beratende Unterstützung zum Erwerb in diese Lage versetzt werden. Nur so lassen sich auch solche Strecken, an denen die DB AG kein Interesse mehr hat, im Bestand dauerhaft erhalten.
Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung und Verkehrsverhalten sind Veränderungen unterworfen. Deshalb muss es eine jährliche Überprüfung von Stationen geben, die an bestehenden Strecken in der Vergangenheit geschlossen wurden. Hier muss geprüft werden, ob es möglicherweise ein neues Kundenpotenzial gibt, dass eine Wiedereröffnung rechtfertigt. Die Einrichtung von Bedarfshalten ist, soweit dies technisch möglich ist, voranzutreiben.
Hierzu ist eine entsprechende Intitiative im Bundesrat notwendig. Für die Ausarbeitung bietet der DBV seine Hilfe an.
Jedes Jahr werden für den Bereich des öffentlichen Verkehrs viele Millionen Euro ausgegeben. Eine öffentliche Kontrolle dieser Verkehrsleistungen findet nicht statt. Sie kann nicht stattfinden, da die Veröffentlichung dieser Verkehrsverträge angeblich ein Geschäftsgeheimnis darstellt und deshalb verboten ist. Diese Geheimniskrämerei widerspricht dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Information. Deshalb fordert der DBV, dass fahrgastrelevante Vereinbarungen aus den Verträgen veröffentlicht werden müssen.
Wo es verkehrlich sinnvoll ist und ein entsprechendes Fahrgastpotenzial vorhanden ist, sind fehlende S-Bahn- und/oder Regionalverbindungen wiederaufzubauen. Das bestehende Angebot darf nicht verschlechtert werden. Die Verringerung des einen Angebotes (z. B. Regionalverkehr) zu Gunsten des anderen (z. B. S-Bahn) lehnt der DBV ab.
Eine Ausdünnung des S-Bahn-Angebots im Umland ist kontraproduktiv und fördert nicht die Akzeptanz. Die seit Dezember 2006 umgesetzten Entscheidungen zur Ausdünnung des Angebots im Bereich des Landkreises Oberhavel sind deshalb rückgängig zu machen.
Buslinien müssen grundsätzlich über die Landesgrenze hinweg bis zum nächsten wichtigen Umsteigepunkt oder einem bedeutenden Endpunkt fahren.
Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall gibt es noch Lücken im Schienennetz, die aus Sicht des Bahnkunden-Verbands endlich geschlossen werden müssen. Dazu gehören neben S-Bahn-Strecken auch innerstädtische Regionalverbindungen (zum Beispiel Basdorf— Gesundbrunnen, Hennigsdorf—Gesundbrunnen). In die Untersuchungen sind, sofern sinnvoll, alle Varianten des Schienenverkehrs – also von der Straßenbahn bis hin zum Regionalverkehr – einzubeziehen.
Um direkten Einfluss auf Standards und Beförderungsqualität der eingesetzten Schienenfahrzeuge zu nehmen, soll ein landesweiter Schienenfahrzeug-Pool gebildet werden. Im Rahmen der Ausschreibungen werden die SPNV-Unternehmen verpflichtet, die eingesetzten Fahrzeuge aus diesem Pool zu nutzen. Damit wird das Land Brandenburg in die Lage versetzt, unabhängig vom Ausschreibungsturnus moderne Fahrzeuge einzusetzen und es kann ggf. auch auf steigende oder sinkende Nachfrage Einfluss nehmen. Durch kontinuierliche Bestellungen bei den Herstellern der Schienenfahrzeugindustrie wird eine Unabhängigkeit von bestimmten Vertragslaufzeiten erreicht und bei den Herstellern vorhandene Produktionskapazitäten werden gleichmäßiger ausgelastet. Daher sind in kleineren Jahresscheiben weitere Ausschreibungen so zu tätigen, dass das Land eigene Fahrzeuge stellt.
Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung öffentlicher Stellen an Verkehrsunternehmen, die sich dann im Wettbewerb an diesen Ausschreibung beteiligen, ist zu untersagen.
Zum positiven Gesamtbild des öffentlichen Verkehrs gehört nicht allein die Sauberkeit der Fahrzeuge und ein guter Service des Personals, sondern auch die Sauberkeit der Stationen. Sehr häufig befindet sich das Bahnhofsumfeld jedoch in einem ungepflegten und verwahrlosten Zustand. Nicht nur von den Fahrgästen muss verlangt werden, dass Sie sich achtsam in den Fahrzeugen und Anlagen verhalten. Ein gleiches Verhalten ist selbstverständlich auch von den Eigentümern der Bahnflächen zu verlangen – egal, ob sie genutzt oder ungenutzt sind. Die Landesregierung hat deshalb alle Möglichkeiten auf landes- und bundespolitischer Ebene zu nutzen, um einen positiven Gesamteindruck der Haltestellen- und Bahnhofsbereiche durchzusetzen.
Der große Erfolg des „VBB-Abo 65 plus“ hat es gezeigt: Ein einfaches und zugleich unschlagbar preiswertes Tarifangebot wird durch die Kunden auch angenommen. Wer 65 Jahre und älter ist, kann für 45 Euro im Monat alle Verkehrsmittel im VBB zu jeder Zeit nutzen. Nach Ansicht des Bahnkunden- Verbands liegt es auf der Hand, das Erfolgsrezept auch auf die Kundengruppe unter 65 Jahre zu übertragen. Die Finanzierung ist über einen attraktiven Preis zu sichern, er könnte für das Gesamtnetz bei 700 Euro pro Jahr liegen.
Um bestehende Ungerechtigkeiten an der Tarifzonengrenze „Potsdam B“/„Berlin B“ und für unmittelbar hinter der Tarifzonengrenze „Berlin C“ liegende Stationen zu beseitigen, sieht der DBV die Notwendigkeit für neue Regelungen zu den Anschlussfahrscheinen. Neue Tarifangebote sind aufzulegen, die beispielsweise Kunden mit einer Potsdamer Monatskarte (Tarifzone „Potsdam B“) das Überqueren der Landesgrenze nach Berlin (Tarifzone „Berlin B“) ermöglichen – oder Bahnkunden aus Beelitz, Nauen oder Kremmen den Erwerb eines Anschlussfahrausweises ermöglichen. Solche Fahrausweise sind auch als Monats-/Jahreskarte zu gestalten.
Die gleiche Forderung ist auch für Landkreisgrenzen umzusetzen.
Sozialtarife, ob sie nun wenig oder häufig in Anspruch genommen werden, sind zwingend notwendig und sollen nicht an der Grenze zwischen Berlin und Brandenburg enden.
Völlig uneinheitlich und verwirrend sind derzeit die Regelungen zum Fahrscheinerwerb im Zug. In den Zügen der DB Regio muss, sofern die Möglichkeit zum Fahrscheinkauf vor Fahrtantritt besteht, beim Kauf im Zug zusätzlich zum Fahrpreis ein Aufpreis bezahlt werden. In den Zügen der privaten Verkehrsunternehmen können demgegenüber Fahrscheine im Zug ohne Aufpreis gekauft werden. Der Fahrscheinerwerb im Zug muss ohne Aufpreis oder Entschuldigung seitens des Fahrgastes möglich sein.
Der VBB bemängelt seit langem, dass sich durch den fast flächendeckenden Abzug von Personal auf den Stationen sowohl die Aufenthaltsqualität als auch die Möglichkeiten zum Fahrscheinerwerb und zur allgemeinen Information drastisch verschlechtert haben. Deshalb gehört in jeden Regionalzug ein Mitarbeiter, der beim Ein- und Aussteigen behilflich ist und für die Beantwortung von Fragen zur Verfügung steht. Vorrangig hat er sein Aufgabenfeld in der Betreuung und Information der Fahrgäste. Dies ist in den neu abzuschließenden Verträgen verbindlich festzuschreiben.
Knotenbahnhöfe und wesentliche regionale Verknüpfungspunkte sollen grundsätzlich mit ausgebildetem Servicepersonal besetzt werden. Vor allem in den Tagesrandzeiten sollte eine ausreichende Betreuung gewährleistet werden, um den Fahrgästen eine objektive und subjektive Sicherheit zu bieten.
Das Personal ist regelmäßig zu schulen.
Eine große Ungerechtigkeit ist das Verbot von Umweg-, Rund- und Rückfahrten mit Einzelfahrscheinen. Dieses Verbot ist schwer zu vermitteln und zu kontrollieren. Auch können Bauarbeiten eine weiträumige Umfahrung erfordern. Sinn der Zonen ist es doch gerade, die Nutzung möglichst einfach zu machen. Wer sich einen Einzelfahrausweis für Cottbus, Brandenburg an der Havel, Frankfurt (Oder), Potsdam oder Berlin kauft, sollte damit innerhalb der angegebenen Gültigkeit jedwede Freiheit haben, die Fahrt zu unterbrechen, einen längeren Fahrtweg zu wählen oder zurückzufahren.
Alle auf Berlin zulaufenden Schienen-Regionalverkehrslinien sollen grundsätzlich mindestens bis zu einem Bahnhof am S-Bahn- Ring geführt werden, soweit dies die Infrastruktur zulässt und es sich nicht um eine reine Radialverbindung handelt. Endpunkte wie Spandau, Wannsee, Lichtenberg und Karow sind zu vermeiden. Darüber sind mit dem Land Berlin entsprechende Verhandlungen aufzunehmen.
Die Zugfrequenzen sind so aufeinander abzustimmen, dass im Wesentlichen ein gleichmäßiger Takt gewährleistet wird.
DBV Berlin-Brandenburg
aus SIGNAL 4/2009 (September 2009), Seite 18-19