Schienenverkehrswochen 2011
Sprechtag für Straßenbahnfahrgäste zeigte Grenzen der BVG auf
1. Dez 2011
Nach den Sprechtagen für U-Bahn- und Busfahrgäste der BVG kamen am 26. September die Fahrgäste der Straßenbahn zu ihrem Recht. Auf dem Straßenbahnbetriebshof Lichtenberg informierten und diskutierten der Unternehmensbereichsleiter Klaus- Dietrich Matschke und sein Betriebsleiter Jürgen Sember mit den Fahrgästen, moderiert von Artur Frenzel, Leiter der IGEBAbteilung Stadtverkehr.
Wie immer begann der Abend mit einem Vortrag der BVG, der diesmal besonders umfassend und lang wurde. Herr Matschke schilderte ausführlich die Entwicklung im Jahr 2011 und die Aussicht auf 2012. Außerdem ging er auf offene Fragen vom Sprechtag 2010 ein: Der Fahrermangel bei der Straßenbahn ist behoben, das Problem der Verkehrsführung in Köpenick bei Polizeieinsätzen (Stichwort Fußball) leider nicht. Auch die wechselseitige Nutzung der beiden Gleise in der Endhaltestelle Alexanderplatz/ Dircksenstraße ist noch nicht möglich, aber die BVG arbeitet an einer Lösung. Neben der Ansteuerung der Daisy-Anzeiger muss auch noch die Grundsatzfrage der Blockierung beider Gleise durch die M 2 entschieden werden, da eines davon auch bei Störungen auf der ersten Strecke über den Alex gebraucht wird.
Leider gibt auch die am 4. September in Betrieb genommene Streckenverlängerung in Adlershof nicht nur zu Jubelmeldungen Anlass. So ist die BVG mit den Ampelschaltungen sehr unzufrieden, die auch mehrere Wochen nach der Eröffnung zu starken Verspätungen führten. Offenbar sind die Treffen BVG/VLB (Verkehrslenkung Berlin) auf der Leitungsebene nicht immer zielführend, so dass nun verstärkt auf der technischen Ebene abzuarbeitende Anforderungskataloge für punktuelle Probleme an die Landesbehörde herangetragen werden sollen. Für eine Neubaustrecke mit 11 Jahren Planungs- und Bauzeit ist dieser Zustand ein Armutszeugnis.
Auch die anderen „Leuchtturmprojekte“ des Senats zum Ausbau des Streckennetzes lassen eine solche Bummelstrategie von Landesseite befürchten, die BVG kann jedenfalls keine Terminangaben machen. Für alle vier dieser Projekte (Hauptbahnhof—U-Bahnhof Turmstraße, Alexanderplatz—Kulturforum, Adlershof—Schöneweide sowie am S-Bahnhof Mahlsdorf) wurde noch nicht einmal mit der konkreten Planung begonnen.
Daneben machen Anforderungen aus dem sich wandelnden Stadtraum immer wieder Ergänzungen und Umbauten des Tramnetzes nötig, z. B. eine zusätzliche Wendestelle im Bereich Wuhlheide/Oberschöneweide für Zusatzverkehre im Studentenverkehr zur verlagerten Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Nachdem erste Planungen an der Ecke Wilhelminenhofstraße/ Ostendstraße verworfen werden mussten, soll nun ein Gleisdreieck an der Haltestelle „Freizeit- und Erholungszentrum“ entstehen.
Auch am S-Bahnhof Ostkreuz soll die Straßenbahn mehr Fahrgäste erreichen als heute, und so laufen zurzeit die Vorplanungen für eine Verlegung der Linie 21 aus der Marktstraße in die Sonntagstraße direkt an den nördlichen Bahnhofseingang.
Im Vortrag wurden auch die wichtigsten Baustellen für 2012 vorgestellt:
Breiten Raum nahmen die Ausführungen zu den neuen Straßenbahnfahrzeugen vom Typ Flexity ein. Nach ausgiebiger Erprobung der vier Prototypen ist der erste Serienwagen in langer Einrichtungsausführung meistens auf der Linie M 4 in Betrieb und fährt seit dem ersten Einsatztag störungsfrei. Der zweite Serienwagen soll Anfang Oktober folgen und bis Ende des Monats soll auch die Software für die Fahrgastinformation umgestellt sein, so dass auch die Flexity-Kurse am Daisy angezeigt werden können. Der hochwasserbedingte Lieferrückstand von Bombardier Bautzen soll bis Ende 2012 aufgeholt sein.
In die jahrelange Diskussion um die geeignete Fahrzeuggröße scheint Bewegung gekommen zu sein. Einerseits wurde das BVG-Argument, dass die Bestellung flexibel ist und mit 18 Monaten Vorlauf jedes Lieferlos verändert werden kann, diesmal nicht mit der Bemerkung entwertet, dass dies aufgrund der unfehlbaren Berechnungen der BVG nicht nötig sei. Andererseits wurde die Bestellung der ersten 99 Flexities schon dahingehend geändert, dass der Anteil der langen Wagen leicht erhöht wurde und erstmals auch lange Zweirichtungsfahrzeuge darunter sind.
Es werden zunächst vier Teilserien zur Ablieferung kommen in folgender Reihenfolge: 24 lange Einrichtungswagen (F8E), 35 kurze Zweirichtungswagen (F6Z), 20 kurze Einrichtungswagen (F6E) und zum Schluss 20 lange Zweirichtungswagen (F8Z).
Schon jetzt ist klar, dass die (inklusive Prototypen) 103 Neubaufahrzeuge nicht ausreichen, um alle Tatrawagen zu ersetzen. Darum wird ein zweites Lieferlos mit 31 Wagen schon fest eingeplant, allerdings muss dafür noch die Finanzierung gesichert werden und bis Ende 2012 eine genaue Bedarfsermittlung stattfinden. In diese Untersuchung müssen dann auch die möglichen oben beschriebenen Netzerweiterungen einfließen.
Einige der im Serien-Flexity eingeführten Verbesserungen werden auch bei der Modernisierung der GT6N übernommen: die neuen Fahrscheinautomaten (die aber leider erst 2012 geliefert werden), die mechanische Klapprampe statt des störanfälligen Hublifts und die breiten einteiligen Bildschirme. Für die Erneuerung des Innenraums ist (noch) kein Geld da.
Bei mehreren Fahrgastfragen verwies der Straßenbahndirektor auf die Zuständigkeit der Politik, beispielsweise bei der Einrichtung des „Boulevard der Stars“ auf dem für die Tram vorgesehenen Mittelstreifen am Potsdamer Platz.
Das verspätete Erscheinen der monatlichen Bauinfoblätter und ebenso das verspätete Einziehen nach Ablauf ihrer Gültigkeit ist seit Jahren ein Sprechtagthema. Hier wurde geantwortet, dass eine frühere Drucklegung zu ungenauen Terminangaben führen kann.
Auch die straßenbahnfeindlichen Schaltungen der Lichtsignale sind ein Dauerbrenner, besonders nachdem ein millionenschweres Programm von BVG und Senat sich als wirkungslos erwiesen hat. Nun wird mit der M 1 als Pilotlinie ein neuer Anlauf gemacht, wozu auch eine Analyse des Ist- Zustandes gehört. Von den 45 Minuten Fahrplanzeit entfallen auf dieser Linie nur 30 Minuten auf die reine Fahrzeit, der Rest sind Haltestellen- und Verlustzeiten. Weil auf der M 1 durch die eingleisigen Abschnitte eine hohe Anfälligkeit für Verspätungsübertragungen besteht, erhofft man sich hier den größten Nutzen von diesem Versuch. Klaus- Dietrich Matschke wies aber gleich darauf hin, dass es auch nach Ertüchtigung noch Konfliktpunkte geben wird, die sich nur mit einer ganz anderen Aufteilung des Straßenraumes lösen lassen. Speziell für die M 1 nannte er die Kreuzungen Rosentaler Platz und Schönhauser Allee/Bornholmer Straße. Hier kommt es durch Linksabbieger auf den Gleisen zu Behinderungen, die nur mit LSA-Schaltungen nicht wegzubekommen sind. Außerdem stehen sich verschiedene Senatsprioritäten im Weg, zum Beispiel Straßenbahn- und Radwegförderung, z. B. an einer von den Fahrgästen kritisierten Ampel in der Greifswalder Straße, die einen Hauptradweg des Landes über die M 4 führt.
Etliche Fragen wurden zur Infrastruktur gestellt. Nach Aussage von Herrn Sember hängt die Zulassung der Linie 60 für GT6 nur am noch nicht umgebauten Hirschgartendreieck, der Abschnitt Köpenick—Adlershof ist nur noch offiziell gesperrt, weil hier noch eine Probefahrt bis zur Abnahme für diesen Wagentyp fehlt. Die Sanierung der Linie 68 ist schon im zweiten Abschnitt und wird im Wesentlichen bei laufendem Betrieb stattfinden. Auch die Strecke der Linie 27 in der Suermondtstraße steht auf der Erneuerungsliste, aber hier können noch keine Termine genannt werden.
Noch unklarer ist die Lage am Bahnhof Karlshorst, da die Bahn noch immer keinen Termin für den Austausch ihrer Brücken nennt. Ähnlich am Bahnhof Schöneweide, wo noch nicht einmal das Planfeststellungsverfahren für die hochtrabenden Pläne eines neuen Straßenbahntunnels unter dem Eisenbahndamm begonnen hat. Somit ist mit mindestens 5 Jahren bis zur Fertigstellung zu rechnen und die BVG war gezwungen, ihre stark abgenutzten Gleise vor dem Bahnhof noch einmal zu erneuern. In diesem Zusammenhang wurde Kritik an der zu gering geplanten Breite der neuen Haltestellen am geplanten Tramtunnel laut, die BVG will die Pläne daraufhin noch einmal überprüfen.
Kann man durch höhere Gitter an den Haltestellen das unbefugte Überschreiten der Gleise und damit tödliche Unfälle verhindern? Dazu ein klares Nein, die Absperrungen zwischen den Gleisen dienen nur als Hinweis auf das Übertretungsverbot; man möchte keine Gefängnismauern im öffentlichen Raum errichten, sondern setzt auch auf die Selbstverantwortung aller Verkehrsteilnehmer. Allerdings will man das plötzliche Hervortreten auf die Gleise auch nicht fördern, und der Vorschlag aus dem Publikum, zum besseren Umsteigen am Nachtknoten Jan-Petersen-Straße einen zusätzlichen Überweg in Haltestellenmitte zwischen den wartenden Bahnen einzurichten, wurde ebenso klar abgelehnt.
Zum geplanten Einsatz der neuen Fahrzeuge wurden die Linien M 4, M 5, M 6 (in dieser Reihenfolge) für die erste Lieferung langer Flexity genannt. Über die Linie M 8 ist noch nicht entschieden, und wenn die M 6 längere Züge bekommt, dann muss der angesprochene Umsteigeknoten Jan-Petersen- Straße entweder einen anderen Fahrplan bekommen oder umgestaltet werden, damit alle Bahnen an die Haltestelle passen.
Einige Fragen nahmen die BVG-Vertreter zur weiteren Prüfung mit, so die nach einer zusätzlichen Ausstiegshaltestelle am Wendedreieck Nordbahnhof zur Verkürzung des Umsteigeweges zur U-Bahn und zur Überarbeitung des Layouts auf den neuen Bildschirmen, die bei Anzeige des Haltewunsches die Uhrzeit verdecken.
Nach zweieinhalb Stunden ging ein informativer Abend zu Ende mit der Aussicht auf eine Fortsetzung bei den 29. Schienenverkehrs- Wochen im Herbst 2012.
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 5-06/2011 (Dezember 2011), Seite 28-29