International
Richtige Analyse mit falscher Lösung
1. Dez 2011
Jetzt hat auch die CSU den Finger in die Wunde gelegt. Die Kosten des Autoverkehrs für den Steuerzahler übersteigen bei weitem die Einnahmen durch Lkw-Maut, Kfz- und Mineralölsteuer. Deshalb ist der auf dem CSU-Parteitag im Oktober 2011 gefasste Beschluss, die Autofahrer an den entstehenden Kosten zu beteiligen, zu begrüßen.
Für das Jahr 2005 berechnete das Forschungsinstitut Infras die jährlichen staatlichen Einnahmen durch die Lkw-Maut mit 4 Milliarden, die Kfz-Steuer mit 9 Milliarden und die Mineralölsteuer mit 40 Milliarden Euro, zusammen also 53 Milliarden Euro, während sich die quantifizierbaren Kosten des Kfz-Verkehrs auf 77 Milliarden Euro beliefen. Das Umweltbundesamt beziffert die jährlichen externen Kosten mit 120 Milliarden Euro.
Dieses Defizit, für das auch Steuerzahler ohne Auto bezahlen müssen, zeigt sich deutlich in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes. Dort, so der CSU-Parteitagsbeschluss, „klafft eine Finanzierungslücke von über zwei Milliarden Euro“. Deshalb „tritt die CSU für eine nutzerbezogene Lösung ein“, denn sie „dient der gerechten Anlastung der Wegekosten“.
Die Ernsthaftigkeit ihrer Forderung nach einer Pkw-Maut darf allerdings bezweifelt werden. Über die Höhe oder die Art der Abrechnung wird nichts gesagt. Der CSU geht es vor allem um die „Heranziehung der ausländischen Verkehrsteilnehmer zur Finanzierung deutscher Verkehrswege“.
Deren Anteil wird vom ADAC mit 5,2 Prozent beziffert. Vorausgesetzt, diese würden alle z. B. eine Jahresvignette für 100 Euro kaufen, kämen etwa 300 Millionen Euro zusammen, die von dem notwendigen Verwaltungsaufwand wieder aufgefressen würden. Bei einer solchen Regelung würden allerdings die deutschen Autobahnnutzer knapp 4 Milliarden Euro für die Maut zahlen. Um diese aber nicht zu belasten, sollen sie „an anderer Stelle eine Kompensation erfahren“. Abgesehen davon, dass es das Geheimnis der CSU ist, wie das im Einklang mit der europäischen Gesetzgebung realisiert werden soll, würde wegen der fehlenden Nutzerfinanzierung kein zusätzliches Geld eingenommen.
Unabhängig davon ist eine Pkw-Maut in Gestalt einer Jahresvignette auch das falsche Instrument. Sie entspräche einer Flatrate, bei der Wenigfahrer ebenso belastet würden wie Vielfahrer. Das widerspricht jeglichem ökologischen Sachverstand. Wer mehr fährt, sollte auch mehr bezahlen müssen.
Allein für die Sanierung der Autobahnbrücken – so Verkehrsminister Peter Ramsauer am 9.9.2011 im Deutschen Bundestag – müssen in den nächsten Jahren 7 Milliarden Euro aufgebracht werden. Hier kann nicht gespart werden. Wohl aber bei einigen Großprojekten. Der Bahnhof in Stuttgart, der möglicherweise im Nah- und Regionalverkehr Engpässe schafft, kostet schon nach heutigen Planungskosten mehr als 4 Milliarden Euro. Die neue Strecke zwischen Stuttgart und Ulm wird schon jetzt mit fast 3 Milliarden Euro beziffert, wobei sie ebenso wenig wie die alte mit der Geislinger Steige für den Güterverkehr benutzbar sein wird. Und in Berlin soll, so der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD), „ein Stadtautobahn-Projekt der 1950er mit den Argumenten der 1970er Jahre“ realisiert werden, das mit knapp 140 Millionen Euro pro Kilometer die teuerste Autobahn der Republik wäre.
Das dort gebundene Geld fehlt an anderer Stelle. Gab es 1972 noch 18 tägliche Bahnverbindungen nach Polen, sind es heute, 22 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa, nur noch zehn (!). Nur 2,5 Stunden brauchte der „Fliegende Schlesier“ vor dem Krieg für die 350 Kilometer von Berlin nach Breslau. Weil zwischen Cottbus und der Grenze 50 km Fahrdraht fehlen und im Ramsauer-Etat für diesen Lückenschluss kein Geld vorhanden ist – die Strecke in Polen ist vollständig elektrifiziert – sind zwei Lokwechsel nötig. Auch deshalb ist man heute fast sechs Stunden unterwegs. Das sind Zustände wie um 1885.
Eine gerechte und umweltfreundliche Kostenbeteiligung der Autofahrer ohne bürokratischen Mehraufwand sowie eine Orientierung am Verursacherprinzip ist noch immer die Mineralölsteuer. Sie ist – anders als die Bahnpreise – seit vielen Jahren unverändert geblieben. Mit einer Erhöhung um einen einzigen Cent käme mit 400 Millionen Euro mehr Geld in die Staatskasse als mit dem Vignetten-Erlös der „ausländischen Verkehrsteilnehmer“. Und würde die bestehende Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen und, wie in der Schweiz, auch auf alle Lkw ab 3,5 Tonnen ausgeweitet, kämen jährlich sogar 2 Milliarden Euro zusammen.
Die von der CSU geforderte „gerechte Anlastung der Wegekosten“ und die „nutzerbezogene Lösung“ zielen in die richtige Richtung. Aber irregeleitet von dem Motiv, vor allem die „ausländischen Verkehrsteilnehmer“ zur Kasse zu bitten, springt sie konzeptionell zu kurz!
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 5-06/2011 (Dezember 2011), Seite 47