Berlin

S 21 – mit Oberleitung sofort!


IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

1. Jun 2010

Am Berliner Hauptbahnhof stehen seit Anfang Dezember 2009 neue Bauzäune, und an der Invalidenstraße werden neue Baugruben ausgehoben. Diese markieren den Baubeginn für die Erweiterung des Tunnelbahnhofs zugunsten der sogenannten S 21.

Bei der S 21 handelt es sich um eine zweite Nord-Süd-Strecke für die Gleichstrom- S-Bahn, mit der der Hauptbahnhof an die S-Bahnhöfe Westhafen und Wedding auf dem den Nordring sowie im Süden an den S-Bahnhof Potsdamer Platz angebunden werden soll. Ob eine der Linien, die später diese Strecke befahren sollen, die Bezeichnung S 21 bekommen wird, kann heute noch nicht gesagt werden.

Im 1. Bauabschnitt soll nur die Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Nordring realisiert werden. Während die Trasse der westlichen Kurve zum S-Bahnhof Westhafen bereits beim Bau des Nordrings weitgehend fertiggestellt worden ist, ist die Führung der Kurve zum S-Bahnhof Wedding eine große Herausforderung – städtebaulich und ingenieurtechnisch. Die S-Bahn muss sich wie eine Achterbahn um den „Fernbahn-Overfly“ herumwinden und den Berlin-Spandauer- Schifffahrtskanal und die Perleberger Brücke überqueren. Dann taucht die Strecke ab parallel zur Fernbahntrasse in einen eigenen unterirdischen Bahnhof neben dem Hauptbahnhof.

Bisher liegen hier 8 Fern/Regional-Bahnsteiggleise und 2 U55-Gleise parallel in Nord-Süd-Richtung. Mit dem S21-Bahnsteig kommen nochmals 2 weitere Gleise hinzu. Das sind 12 Bahnsteiggleise unterirdisch nebeneinander. Rechnet man den alten Nordsüd-S-Bahn-Tunnel über Friedrichstraße mit, sind es 14 Gleise. Ist hier ein Ausbau der Infrastruktur nötig?

Im 2. Bauabschnitt ist geplant, die S 21 nach Süden weiter zu bauen und am Potsdamer Platz wieder in die bestehende S-Bahn- Infrastruktur einzuführen. Dieses Projekt ist allerdings erst für die Jahre um 2020 vorgesehen.

Die jetzt in Bau gegangene Gleichstrom-S21 folgt der bestehenden Fernbahnstrecke (dünne Linie) von Westhafen bzw. Wedding nach Hauptbahnhof. Später soll nach Potsdamer Platz weitergebaut werden. Dabei kann man die S21 auch per herkömmlichem Wechselstromfahrzeug schon heute durch den Fernbahntunnel fahren. Karte: BVG, Juni 2008

Konkreter Anlass für den S-Bahn-Bau ist die Anbindung des Berliner Hauptbahnhofs an die Nordsüd-Strecken der S-Bahn. Dieses Problem ist tatsächlich drängend, denn von der Nord-Süd-Richtung erreicht man den Hauptbahnhof per S-Bahn nur mit Umsteigen in Friedrichstraße oder per U55 mit Umsteigen in Brandenburger Tor.

Allerdings lässt sich das Problem auch jetzt schon zum großen Teil lösen, ohne dass ein zusätzlicher Tunnel gegraben werden muss. Im großzügig dimensionierten Fernbahntunnel ist noch viel Kapazität für eine „S-Bahn mit Oberleitung“ (mit herkömmlichen Wechselstromfahrzeugen, z. B. BR 423). Diese könnte auf bestehender Infrastruktur zwischen Südkreuz und Gesundbrunnen im 15-Minuten- Takt zirkulieren, mit Halt in Potsdamer Platz und Hauptbahnhof. Gegenüber der Gleichstrom-S21 ließe sie nur die Bahnhöfe Yorckstraße, Anhalter Bahnhof und Wedding aus.

Eine Verlängerung mindestens in der Hauptverkehrszeit nach Teltow (Anh. Bahn) und Berlin-Lichtenberg wäre sinnvoll und möglich.

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und als S-Bahn-Ersatzverkehr 2009 war die Linie bereits im Einsatz. Wurde sie zunächst etwas zögerlich von den Fahrgästen angenommen, so fand sie zum Schluss doch erheblichen Zuspruch. Die Fahrgäste müssen ein neues Angebot eben erst entdecken und sich daran gewöhnen.

Ausblick

Mit dem Baubeginn auf der Grundlage eines Vertrages zwischen Berliner Senat und Deutscher Bahn werden nun Fakten geschaffen, die der Berliner Innenstadt eine erneute Großbaustelle bescheren und eine Infrastruktur schaffen, die erst mit der vollständigen Nord-Süd- Durchbindung in mehr als 10 Jahren für die Fahrgäste sinnvolle und attraktive Verkehrsangebote ermöglicht. Es darf aber nicht so lange dauern, bis der Berliner Hauptbahnhof eine attraktive Schienenanbindung in Nord-Süd-Richtung erhält. Deshalb hält der Berliner Fahrgastverband IGEB seine Forderung nach S-Bahn-Zügen mit Oberleitung im Fernverkehrstunnel unverändert aufrecht. Gerade weil Senat und DB die Nord-Süd-Anbindung für so wichtig halten, dass sie dafür ein mehrere 100 Millionen Euro teures Tunnelprojekt starten, muss es einen Vorlaufbetrieb im Fernbahntunnel geben – sofort.

Im Übrigen ist es unbegreiflich, dass die jetzt begonnene Strecke zwischen Hauptbahnhof und Nordring ohne den geplanten S-Bahn-Halt an der Perleberger Brücke realisiert werden soll. Gerade dort kann die S-Bahn viele neue Fahrgäste erreichen, die bisher keine Schienenanbindung haben. Außerdem würde der Berliner Senat damit einen wichtigen Beitrag zur Erschließung und Entwicklung der großen Brachflächen an der Heidestraße beitragen, immerhin eines der größten und wichtigsten Stadtentwicklungsprojekte in der Berliner Innenstadt.

Wozu einen neuen S-Bahn-Tunnel?

Ein zusätzlicher Nordsüd-Tunnel ist nicht nötig. Die Leistungen könnten praktisch ab sofort per Wechselstrom angeboten werden, und nicht erst in 15 Jahren. Denn der Fernverkehrstunnel ist zurzeit erst zu einem geringen Teil ausgelastet und ein zusätzlicher S21-Gleichstromtunnel für die Kapazität nicht nötig. Auch mögliche Linienverdichtungen und Verlegungen von der Stadtbahn in den Tunnel sind kapazitätsmässig problemlos möglich.

Der Nord-Süd-Tunnel der Fernbahn ist komplett 4-gleisig. Pro Streckengleis im Nord-Süd-Tunnel der Fernbahn kann theoretisch ein 2,5-Minuten-Takt gefahren werden, praktisch rechnen wir mit einem 4-Minuten-Takt. Das ergibt also 15 Züge pro Gleis, bei 2 Gleisen 30 Züge pro Richtung und Stunde.

Kapazitätsbegrenzend sind die 2-gleisigen Zuführungen von Gesundbrunnen und Jungfernheide und die (noch) 2-gleisige Abführung nach Süden (Anhalter Bahn). Mit dem Bau der Dresdener Bahn stehen auch hier 2 weitere Gleise zur Verfügung.

Bildunterschrift

Diese Begrenzung ist jedoch für die S 21 nicht maßgeblich, da sie den weniger genutzten Strang nach Gesundbrunnen nutzt und in Südkreuz endet, zumindest bis die Dresdener Bahn fertig ist.

Die Bahnsteige mit Fahrgastwechsel- Aufenthalt stellen kaum das begrenzende Moment dar, da sie üppig vorhanden sind: Hauptbahnhof mit 8 Bahnsteigkanten, Südkreuz mit 6 Kanten, von fast allen Gleisen können alle Kanten angefahren werden. Potsdamer Platz mit dem Regio-Halt behindert den am anderen Gleis durchfahrenden Fernverkehr nicht.

Sollte es Engpässe mit der Blockteilung oder der Signaltechnik geben, so kann diese ergänzt werden. Das wäre auf jeden Fall einfacher und billiger, als einen neuen S-Bahn-Tunnel zu bauen.

Das sind also im aller heftigsten Fall perspektivisch 18 Züge pro Stunde und Richtung. Bei 30 verfügbaren Trassen sind damit noch mindestens 12 Trassen frei für die S 21.

Das ist ausreichend. Dabei ist sogar die S21 zusätzlich zur RE9 berücksichtigt, die natürlich kombiniert werden sollten, ebenso machen die ICEs aus Köln/Bonn im Tunnel wenig Sinn und sind auf der Stadtbahn besser aufgehoben.

Kapazitätsmässig ist ein zusätzlicher S21-Tunnel also nicht nötig. Die S21 könnte stattdessen ab sofort auf vorhandener Infrastruktur durch den Fernbahntunnel verkehren, dabei reichen 2 Fahrten pro Stunde zur Verdichtung der bestehenden Lücke im RE-Verkehr vollkommen aus. Sinnvoll ist eine Führung Lichtenberg—Gesundbrunnen— Hbf—Potsdamer Platz—Südkreuz— Lichterfelde Ost— Teltow.

IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

aus SIGNAL 1/2010 (März 2010), Seite 23-24