Brandenburg

Wettbewerb nicht auf dem Rücken der Beschäftigten austragen!

Interview mit Jörg Podzuweit, Vorsitzender des Verkehrsausschusses der Transnet, Bezirk Nord-Ost


DBV Berlin-Brandenburg

1. Jun 2010

DBV: Durch Wettbewerb – also die Vergabe von Schienenverkehrsleistungen per Ausschreibung – entstehen Einsparungen bei den Aufgabenträgern zwischen 10 und 30 Prozent. Nach der Ausschreibung „Stadtbahnnetz“ ist nun auch die Ausschreibung „Elbe-Elster-Netz“ ohne bindende Vereinbarungen zu den Fragen der Übernahme von Eisenbahnern geregelt worden, deren Verkehrsunternehmen bei einer Ausschreibung unterliegt. Droht ein Austragen von Wettbewerb auf dem Rücken der Eisenbahner? Denn laut Aussage des Brandenburger Verkehrsministeriums ist das Festschreiben solcher Standards in der nun laufenden „Elbe-Elster-Netz“-Ausschreibung an der Weigerung des Freistaates Sachsen gescheitert. Wie machen sich die derzeit noch fehlenden Standards bei Ausschreibungen im SPNV bemerkbar?

Jörg Podzuweit ist DGB-Mitarbeiter für die Region Mark Brandenburg und Vorsitzender des Transnet-Verkehrsausschusses für die Region Nord-Ost. Foto: privat

Jörg Podzuweit: Für die Bahnmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auf den derzeit ausgeschriebenen Linien ist der Arbeitsplatz nicht mehr sicher und damit stehen sie unter einem massiven psychischen Druck. Sicher gibt es Übernahmeversprechen durch Nachfolgefirmen. Die beruhen jedoch zumeist auf einem nochmaligen Auswahlverfahren, dessen Ausgang natürlich für die Betroffenen ebenfalls nicht sicher ist. Und selbstverständlich sind Einkommenseinbußen mit dem Übergang verbunden, die zwar erst nach einem Jahr (§ 613 a BGB) wirksam werden, aber immerhin. Für Beschäftigte von Veolia würde das zum Beispiel bei einem Übergang von Märkischer Regiobahn zu ODEG einen Verlust von monatlich ca. 300 Euro bedeuten. Ganz abgesehen davon, dass die ODEG auf der Linie Cottbus—Görlitz—Zittau Kundenbetreuer im Zug beschäftigt, die bei einem Subunternehmen (TEREG Gebäudedienste GmbH) beschäftigt sind und zu einem nicht mit den Sozialpartnern verhandelten Tarif als ungelernte Gebäudereiniger Ost bezahlt werden – 7,44 Euro pro Stunde ohne Schichtzulage. Das ist Lohndumping vom Feinsten und ein Ausschreibungsgewinn auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Warum ist es „fair“, wenn überall das gleiche verdient wird? Wie würden konkret solche Standards aussehen?

Wir wollen, dass der sogenannte Wettbewerb im SPNV nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Das bedeutet, dass die Beschäftigten, egal bei welchem Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), zu gleichen tariflichen Konditionen beschäftigt werden und bei Ausschreibungen das benötigte Personal auch zu diesen Bedingungen übernommen wird. Es bedeutet nicht, dass alle Beschäftigten das gleiche Entgelt erhalten. Das ist sicher, wie bisher auch, nach bestimmten Gruppen und entsprechenden Anforderungen gestaffelt und enthält auch leistungsabhängige Bestandteile. Eine entsprechende Regelung wäre einfach fair gegenüber den Beschäftigten, aber auch fair gegenüber den Anbietern, den EVU. Wenn diese nämlich wissen, welche Personalkosten auf sie zukommen, können sie im Falle einer Ausschreibung fest damit kalkulieren und müssen sich nicht auf ein Vabanque- Spiel einlassen im Unwissen darüber, wie andere Anbieter kalkulieren. Im ungünstigsten Fall für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird, um unbedingt eine Ausschreibung zu gewinnen, mit Dumpinglöhnen angeboten – siehe wie gesagt die ODEG. Das gefährdet massiv den sozialen Frieden. Und noch ein weiteres Argument: Die EVU müssen im Falle gültiger Sozialstandards Unterschiede untereinander eindeutig über die Qualität des Angebotes definieren – was letztlich wieder dem Fahrgast zugutekommen würde.

Welche Gefahren sehen sie, wenn weitere Ausschreibungen ohne diese Standards erfolgen?

Es würde einerseits zu einer Abwärtsspirale bei den Entgelten der Beschäftigten kommen, ohne dass sich heute schon sagen ließe, wo diese endet. Im Falle von niedrigster Entlohnung tragen neben den Betroffenen, die sich um sogenannte Aufstockungen kümmern müssten, auch alle Steuerzahler die Folgen. Denn die Aufstockungen kommen aus dem Steueraufkommen, für das wir alle sorgen, und dienen letztendlich dem vermehrten Gewinn des Unternehmens, das diese niedrigen Löhne bezahlt.

Und selbstverständlich ist bei relativ niedriger Entlohnung nicht mit einer Spitzenmotivation der Kolleginnen und Kollegen zu rechnen, die die unterbezahlten Tätigkeiten ausführen. Das schlägt natürlich auch beim Kundenkontakt durch. Ein weiterer Aspekt ist die Ausbildung: Wir fordern, dass nur ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also Facharbeiterinnen und Facharbeiter mit entsprechender bahn- bzw. verkehrsspezifischer Ausbildung, Tätigkeiten im und am Zug ausüben dürfen. Auch das gehört in eine Ausschreibung. Nehmen wir nur einmal einen – hoffentlich nicht vorkommenden – Störungsfall: Eine notwendige Zugevakuierung in einem Abschnitt mit unter Spannung stehender Fahrleitung, die ebenfalls gestört ist und auf die Erde herunterhängt. Ein ungenügend ausgebildeter Kundenbetreuer weiß sicherlich nichts mit dem Wort „Schrittspannung“ anzufangen und gefährdet dadurch viele Fahrgäste.

Deeskalationstraining, kaufmännische Kenntnisse und Kenntnisse des Eisenbahnregelwerkes gehören zur Facharbeiterausbildung in den entsprechenden, von der Industrie- und Handelskammer zugelassenen, Berufen. Das lernt man nicht in einem einwöchigen Lehrgang zur „Fachkraft im Verkehrsservice“ vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). Eigentlich sollte sich jedes EVU glücklich schätzen, erfahrene und gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetzen zu können. Das sorgt für guten Kundenservice, gute Qualität und damit ein gutes Image.

Werden bei anderen Ausschreibungen – national und international – solche Vorgaben gemacht? Gibt es Erfahrungen damit?

In den Benelux-Ländern gibt es eine gesetzliche Regelung, die es allen Unternehmen vorschreibt, bei Ausschreibungen im SPNV das benötigte Personal zu den Tarifstandards zu übernehmen, die die Kolleginnen und Kollegen bei dem Unternehmen innehatten, bei dem sie vorher beschäftigt waren. Nach Aussagen der Europa-Geschäftsführung von Arriva erleichtert dies, wie bereits oben dargestellt, die Abfassung von Angeboten auf Ausschreibungen sehr. Und es sichert die Beschäftigungsbedingungen für die in den Bereichen tätigen Beschäftigten. Zumal die seit dem 3. Dezember 2009 in ganz Europa gültige ÖPNV-Verordnung der EU, die EG VO 1370/2007, ausdrücklich solche Möglichkeiten vorsieht. Ausschreibungen wie die des Elbe-Elster-Netzes von Brandenburg und Sachsen vom Januar 2010, die auch nach Inkrafttreten dieser Verordnung keinerlei soziale Standards vorgeben, sind für mich wissentliches, von den zuständigen Politikern verursachtes Lohndumping. Und diese sollten sich letztlich dafür verantworten müssen, Menschen in die soziale Unsicherheit zu treiben ohne die Folgen zu bedenken, auch für die Fahrgäste im SPNV und alle Bürgerinnen und Bürger.

Ein Wettbewerb ohne Regularien, im technischen wie im menschlichen Bereich, ist wie ein Fußballspiel ohne Regeln. Letzteres kann sich niemand vorstellen, bei Ausschreibungen im SPNV in Deutschland hingegen werden die Beschäftigten zu Freiwild für jedwedes Lohndumping ohne alle Regeln.

DBV Berlin-Brandenburg

aus SIGNAL 1/2010 (März 2010), Seite 43