Berlin

Finden Sie den zweiten Ausgang

Ein Sonntagsrätsel für U-Bahn-Fahrgäste der BVG


Jan Gympel

24. Mai 2012

Die BVG-Kundenzeitschrift „plus“ erinnerte in ihrer Ausgabe vom Februar 2008: „Nach dem Brand auf dem U-Bahnhof Deutsche Oper im Jahr 2000 war entschieden worden, elf Bahnhöfe mit einem weiteren Zu- und Abgang auszurüsten.“ Anlass für den Blick zurück war die Vollzugsmeldung für die elf Stationen: „Noch in diesem Frühjahr kann die BVG mit einer erfreulichen Nachricht in Sachen Sicherheit aufwarten: Die 2. Ausgänge auf den Bahnhöfen Rudow und Konstanzer Straße gehen in Betrieb. Damit verfügen dann alle 170 U-Bahnhöfe über einen 2. Ausgang.“ Wirklich ALLE?

Eine Aufgabe für verregnete Sonntage: Versuchen Sie, die zweiten Ausgänge der Stationen Paradestraße, Jungfernheide, Zitadelle und Lindauer Allee zu finden. Ferner den zweiten, vom ersten unabhängigen Fluchtweg im U-Bahnhof Seestraße auf dem Perron Richtung Alt-Tegel und auf den Seitenbahnsteigen der Stationen Ernst-Reuter- Platz, Leopoldplatz und Bismarckstraße.

Wenn der Sonntag dann noch nicht vorüber ist: Finden Sie heraus, weshalb eine enorme Gefährdung der Fahrgäste beispielsweise auf der Station Viktoria-Luise- Platz bestanden haben soll – gelegen auf einer Strecke, auf der praktisch ausschließlich Kurzzüge aus zwei Wagen verkehren und der Fluchtweg aus einer Treppe besteht, die direkt vom Bahnsteig ins Freie führt (hier wurde ein zweiter Ausgang gebaut). Weshalb die Bedrohung nach Ansicht der BVG aber nicht so groß ist, wenn auf Stationen, auf denen gemeinhin längere Züge halten, alle Aufgänge vom Bahnsteig in dasselbe Zwischengeschoss münden und dieses womöglich auch noch ziemlich weitläufig und/ oder unübersichtlich ist – wie zum Beispiel am Siemensdamm, am Adenauerplatz, am Kleistpark, am Jakob-Kaiser-Platz und an der Birkenstraße – wo am 4. April ein brennender, stark rauchender Zug zum Stehen kam. Oder wenn alle in ein gemeinsames Empfangsgebäude führen – siehe Halemweg, Zwickauer Damm, Südstern, Lipschitzallee und Wutzkyallee (wo überall kein Bau eines weiteren Ausgangs vorgesehen ist).

Versuchen Sie zu erklären, weshalb die Sicherheit gesteigert wurde, als man beim U-Bahnhof Lichtenberg den separaten westlichen Ausgang beseitigte, wodurch nun sämtliche Treppen in das ungewöhnlich niedrige, ausgedehnte Zwischengeschoss münden. Oder warum die BVG beispielsweise die unterirdischen Verteilerebenen der Stationen Fehrbelliner Platz und Osloer Straße schön verwinkelt gestaltete, indem sie versuchte, nachträglich möglichst viel vermietbare Fläche für kleine Läden und Imbissbuden aus ihnen herauszuquetschen. Erläutern Sie, wie zumal ortsfremde Fahrgäste bei möglicherweise starker Rauchentwicklung (durch welche bei Bränden stets mehr Menschen sterben als durch direkte Flammeneinwirkung) hier den rettenden Weg ins Freie finden sollen. Und dies möglichst schnell.

Bau des 2. Ausgangs am U-Bahnhof Rudow. „Damit verfügen dann alle 170 U-Bahnhöfe über einen 2. Ausgang“, schrieb die BVG. Doch wo sind die 2. Ausgänge bei den Stationen Paradestraße, Jungfernheide, Zitadelle und Lindauer Allee? Foto: Marc Heller

Wenn Sie an diesen Aufgaben scheitern, können Sie auf Nachfrage bei der BVG des Rätsels Lösung erfahren: Dort verweist man auf geltende Richtlinien und den nach dem Brand 2000 beauftragten Gutachter, denen zufolge Ausgänge entweder an beiden Bahnsteigenden oder aber in der Mitte des Perrons vorhanden sein sollten. Im letzteren Falle genüge dann auch eine einzige Treppe. In der BVG-Kundenzeitschrift fehlte folglich das Kleingedruckte, welches hätte lauten müssen: „’2. Ausgang’ bedeutet nicht, dass ein zweiter Ausgang vorhanden ist.“

Jan Gympel

aus SIGNAL 2/2008 (Mai 2008), Seite 15