Aktuell

31. Mai 1992: Wieder “klassisch” von Wannsee bis Oranienburg


IGEB

1. Mai 1992

Streckeneröffnungen im Abstand von zwei Monaten - würden sie zur Regel, ließe sich gegen das Tempo der S-Bahn-Lücken-schlüsse ins Umland nichts einwenden. Verständlich wäre es dann auch, daß Berlins Regierender Bürgermeister und der brandenburgische Ministerpräsident bei so vielen Terminen nicht immer Zeit für das Premieren-Spektakel fänden und deshalb dem offiziellen Eröffnungszug von Frohnau nach Hohen Neuendorf zum Fahrplanwechsel am 31. Mai fernblieben. Doch Anlaß, das Ereignis als Routineangelegenheit einzustufen, besteht leider überhaupt nicht.

Die Wiederinbetriebnahme der S-Bahn in Richtung Oranienburg so kurz nach der Strecke Wannsee - Potsdam ist nicht einem besonders raschen Baufortschritt zu verdanken, sondern im Gegenteil die Folge von Verzögerungen. Begonnen wurde mit den Arbeiten ja schon im Herbst 1990, doch wegen ungeklärter Finanzierungsfragen waren sie kurze Zeit später eingestellt und erst im Frühjahr 1991 wieder aufgenommen worden. Der ursprünglich avisierte Eröffnungstermin im Herbst 1991 ließ sich nicht mehr halten, auch nicht der danach ins Auge gefaßte 1. Mai 1992.

31. Mai 1992: Die S-Bahn-Strecke zwischen Berlin-Fohnau und Hohen Neuendorf (bei Berlin) wird wieder in Betrieb genommen. Der von der BVG gestellte offizielle Eröffnungszug war dicht umlagert, bevor er überfüllt in Fohnau startet. Aber trotz des Zielschildes "Oranienburg" war die Fahrt bereits in Hohen Neuendorf zu ende, um die Ehrengäste zur IC-Taufe in den Hbf. zu fahren. Foto: M. Lange
Foto: M. Lange
Ablösung: Der BVG-Zug wurde zum Leidwesen vieler S-Bahn-Freunde nach der kurzen Eröffnungsfahrt sofort aus dem Verkehr gezogen. Als Sonderfahrt ist er hier unterwegs nach Berlin Hauptbahnhof, um die Ehrengäste zur IC-Taufe zu bringen. der Traditionszug des Vereins Historische S-Bahn e.V. ist dagegen gerade auf dem Weg von Friedrichsfelde nach Hohen Neuendorf, um dort mit Unterstützung der DR einen stündlichen Pendelverkehr zwischen Fohnau und Oranienburg zu starten. Durch den allgemeinen Fahrplanzusammenbruch kam es allerdings nur zu wenigen Fahrten. Die Begegnung der beiden Sonderzüge in voller Fahrt zu fotografieren, gelang Mario Lange. Foto: M. Lange
Nachdem die BVG schon beider S-Bahn-Wiederinbetriebnahme Wannsee - Potsdam mit irritierenden Zugzielanzeigern überraschte (s. SIGNAL 3/92), gelang es ihr bei der S1 erneut. Warum heißt es "Richtung Oranienburg" statt "Oranienburg"? Foto: M. Heller
Der kleine Unterschied: Während die BVG ihren Sonderzug mit der Deutschland- und der Berlin-Fahne geschmückt hatte, bewies der "Verein Historische S-Bahn" mehr Taktgefühl und schmückte seinen Zug mit den Fahnen von Berlin und Brandenburg. Foto: M. Lange
Bildunterschrift Foto: M. Lange

In anderthalb Jahren Bauzeit und mit einem Aufwand von 65 Mio. DM wurde das 4,2 km lange Streckenstück nördlich von Frohnau eingleisig wiederhergestellt. Die Maßnahmen umfaßten auch neue Stellwerk­stechnik, ein zusätzliches Gleichrichter-Unterwerk sowie den Neubau von vier Brücken. Letzteres wurde für nötig befunden, weil angeblich sämtliche Widerlager nicht mehr tragfähig waren. Teuer kam vor allem der Brückenbau über die Bundesstraße 96. Hier wurden auch die Überbauten für das zweite S-Bahn-Gleis und die Fernbahn berücksichtigt. Trotzdem ist das S-Bahn-Gleis jetzt so verlegt, daß es bei einem Wiederaufbau der Fernbahntrasse teilweise wieder verschwenkt werden muß!

Entgegen erster Pläne erfolgte die Einfädelung an den Bahnhof Hohen Neuendorf zweigleisig zum bereits vorhandenen (und jetzt sanierten) Bahnsteig, an dem auch weiterhin die Züge der vom Außenring kommenden S10 halten. Obwohl ein Tunnel unter den Gleisen vorhanden ist, wurde dabei aber auf den zweiten Zugang verzichtet. Er würde gegenwärtig auch gar nicht direkt auf den Bahnsteig führen, weil dieser am südlichen Ende verkürzt worden ist - eine nicht eben glückliche Lösung.

Immerhin entschieden Reichsbahn und BVG in letzter Minute, daß die S1 konsequenterweise auf der traditionellen Route von Wannsee bis Oranienburg durchfährt, die S10 von Schönefeld dagegen in Birkenwerder endet. Für die Oranienburger ist der Bahnhof Friedrichstraße nun wieder in 49 Minuten direkt zu erreichen, knapp eineinhalb Stunden dauert die Reise bis zum südlichen Endpunkt Wannsee.

Zumindest am Eröffnungstag und in der ersten waren auffallend Verspätungen zu beobachten. Weil die Züge aus Richtung Wannsee unpünktlich in Hohen Neuendorf eintrafen, mußte der dort kreuzende Gegenzug jeweils minutenlang warten. Probleme bereitet der BVG offenbar die Betriebsabwicklung in Frohnau. Für jeden zweiten Zug aus Wannsee ist dort nach wie vor Endstation, aber zum “Kehren” sind die Gleisanlagen alles andere als ideal.

Mängel gibt es auch bei der Fahrplangestal­tung. So besteht während des 20-MinutenTaktes in den frühen Morgenstunden und am Abend von den Zügen aus Lichtenrade ein Anschluß in Richtung Oranienburg nur mit 15 Minuten Wartezeit. Besonders ärgerlich ist, daß der früheste Zug aus Lichtenrade erst 4.45 Uhr im “Anhalter" eintrifft, obwohl dort bereits um 4.20 und 4.40 Uhr Fahrten nach Oranienburg beginnen. Warum werden die Zeiten der S2 während des 20-Minuten­Takts nicht einfach so versetzt, daß sich zwischen Anhalter Bahnhof und Schönholz gemeinsam mit der S1 eine 10Minuten-Zugfolge ergibt?

Seit dem 31. Mai fährt die S1 nun größtenteils mit Vollzügen (8 Wagen). Dem Bedarf ist dies angemessen. Interessant wird aber, ob die weiterhin bestehende Außenring-Linie S10 zwischen Birkenwerder und Schönefeld im nördlichen Abschnitt jetzt noch ein nennenswertes Fahrgastaufkommen erreichen kann. Demgegenüber ist auf der Nord-Süd-S-Bahn durch Berlins Innenstadt schon bald ein weiterer Fahrgastzuwachs zu erwarten, denn ab 1. September soll die S2 endlich von Lichtenrade bis Blankenfelde fahren. Hoffentlich kommt in diesem Jahr auch noch die nördliche Verlängerung bis Tegel. Dann wäre die Bilanz der Streckene­röffnungen 1992 tatsächlich so schlecht nicht, und man könnte für das kommende Jahr fordern: weiter in diesem Tempo mindestens!

IGEB

aus SIGNAL 5/1992 (Juli 1992), Seite 9-10