Regionalverkehr
Die DB AG verärgert viele Kunden der RE-Züge
1. Sep 1995
Innerhalb eines Jahres war die RegionalExpress-Linie Berlin - Fürstenwalde - Frankfurt (Oder) zum Inbegriff eines attraktiven und gut frequentierten Bahnangebotes geworden. Seit dem Fahrplanwechsel am 28. Mai 1995 verfügt die Region Berlin/Brandenburg nun sogar über ein Netz von vier RE-Linien. Doch vor allem drei Entscheidungen der DB AG haben dern positiven Image des RE erheblich geschadet: Das Hin und Her um den Ausschluß von Fahrrädern, das Durcheinander um die Einführung eines RE-Zuschlages im VBB-Tarifgebiet und die chaotischen Verhältnisse auf dem Westast der RE1 .
Wie in SIGNAL 5/95 berichtet und in allen Kursbûchern nachzulesen wollte die Bahn zum 28. Mai 1995 Fahrräder beim Verkehr innerhalb der Verkehrsgemeinschaft Berlin/Brandenburg (VBB) ausschließen. Erst nach Protesten vieler Fahrgäste und des ADFC wurde die Mitnahme wieder zugelassen, allerdings nur noch bei Kauf einer Fahrradkarte für DM 4,40. Diese Verteuerung schreckt jedoch viele potentielle Kunden ab und schadet so dem von Politikern in Sonntagsreden gern beschworenen "Umweltverbund" (Fuß, Fahrrad, Öffentlicher Verkehr). Ärgerlich ist außerdem, daß es kaum Informationen über die nun gültige Regelung gibt. Wahrscheinlich müssen die Reisenden bis zum Dezember warten, für den die Bahn im Raum Berlin/Brandenburg einen Fahrplanwechsel plant, verbunden mit der Herausgabe eines neuen Regionalkursbuches.
Ebenfalls im Kursbuch dokumentiert ist die Absicht der Bahn, bei Fahrten innerhalb der VBB einen Zuschlag von 2 DM pro Fahrt zu erheben. Die Begründung: Der im VBB-Bereich geltende, entfernungsunabhängige Einheitstarif decke für die hochwertigen RE-Angebote nicht annähernd die Kosten.
Natürlich ist es nicht abwegig, für über einen Zuschlag nachzudenken, damit der kundenfreundliche Einheitstarif erhalten bleibt. Doch die Einführung erfolgte viel zu früh. Zum einen ist die Qualität des Angebotes auf einem Teil des RE-Netzes noch weit davon entfemt, um bei den Kunden Verständnis einen Zuschlag zu finden, zum anderen sollte es stets auch zuschlagfreie Angebote zum normalen Tarif geben. Aber in Berlin-Hohenschönhausen z.B. halten nur noch RE-Züge und keine R-Bahnen.
Besonders ärgerlich ist beim Thema Zuschläge, ähnlich wie bei der Fahrradrnitnahme, daß die DB AG ihre Kunden nur unzureichend bzw. gar nicht informiert hat. In allen Publikationen zum Fahrplanwechsel Ende Mai ist der Zuschlag als verbindlich angekündigt. Doch nicht nur die Reisenden wurden (und werden) schlecht informiert. Ende Mai/Anfang Juni kam es vor, daß Zugbegleiter in RE-Zügen von der Aussetzung der Zuschlagsregelung nichts wußten.
Inzwischen hat die Bahn bekräftigt, daß sie schnellstmöglich einen Zuschlag zum Fahrausweis einführen will und dies nur aus formalen Gründen noch nicht möglich war. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hält dies weiterhin eine verkehrte Konzernpolitik, da natürlich viele Fahrgäste abspringen bzw. wegbleiben werden und die Chance vertan wird, die spektakulären Erfolge der mit 60% Fahrgastzuwachs auf den anderen RE-Linien zu wiederholen. Zudem muß man fürchten, daß die Einführung des Zuschlages "über Nacht" erfolgen wird, also sehr kurzfristig und ohne ausreichende Infomation, so daß eine zusätzliche Verärgerung der Kunden vorprogrammiert zu sein scheint.
Daß die Bahn zu schnellen, geradezu überfallartigen Aktionen in der Lage ist, hat sie erst kürzlich mit einem schrnerzlichen Beispiel bewiesen. "RegionalExpress-Züge von/nach Brandenburg halten nicht in Charlottenburg" war ab 14. Juli im "Bauinfo Bahnfahrer", dem wöchentlichen Faltblatt der DB AG, zu lesen. Auch eine Zeitangabe fehlte nicht: "ab 17. Juli bis aufweiteres", Die (nachgeschobene) Begründung lautet: Zu wenige Ein- und Aussteiger in Charlottenburg. Dabei weiß jeder, der ein wenig von öffentlichem Verkehr versteht, daß man nicht nach sieben Wochen, sondern erst nach sechs bis zwölf Monaten sieht, ob ein Angebot akzeptiert wird oder nicht.
Hinter den Kulissen erfährt man dann auch den wahren Grund. Der RE-1-Westabsehnitt Berlin Zoologischer Garten - Potsdam - Brandenburg hätte eigentlich erst zum Abschluß der Bauarbeiten auf dieser Strecke Mitte Dezember in Betrieb genommen werden dürfen. Weil man sich aber den 28. Mai 1995 entschied, kommt derzeit ein erheblicher Teil der Züge (baustellenbedingt) verspätet am Bf Zoo an und fährt - wegen der sehr kurzen Wendezeit - zwangsläuñg auch wieder verspätet nach Brandenburg zurück. Um in dieser Situation pro Richtung einen Puffer von vier Minuten zu gewinnen, beschloß die Bahn, den Zwisehenhalt in BerlinCharl0ttenburg aufzugeben.
ln einer Presseerklärung zum 17. Juli hat der Berliner Fahrgastverband IGEB diese Reaktion der Bahn heftig kritisiert:
Wenn aber ein solcher Schritt von der Bahn nun als unvermeidbar eingeschätzt wird, dann soll man der Öffentlichkeit wenigstens die Wahrheit sagen und die Kunden frühzeitig und umfassend informieren. Nichts dergleichen geschah. Erst unmittelbar zum Beginn der Aufgabe des Haltes in Charlottenburg gab es vereinzelte kleine Bahnhofsaushänge und die o.g. Mitteilung im DB-Faltblatt - als kleine Meldung auf einer von 12 Seiten mit Fahrplanänderungen.
Das Verhalten der Bahn in den o.g. Fällen schadet dem Image des RE, der andernorts gerade mit "Kaffeeküch und Zeitungsverkaufbphantasievoll am Markt plaziert wird und auch in Berlin/Brandenburg 1994 mit besonderem Service wie kostenlosem Kaffee in der 1. Klasse das Interesse der Medien weckte. Doch nun überwiegen leider die Negativmeldungen, so daß es im zwangsläufig zum Verlust von Fahrgästen kommen wird. Insbesondere der "Fall Charlottenburg" hat außerdem Bedeutung über den Tag hinaus. Er beweist, daß die Bahn von heute auf morgen einen Halt streichen kann, ohne daß von den Verantwortlichen der Stadt Berlin irgendeiner reagiert. Wie können wir nach dieser Erfahrung Herrn Verkehrssenator Haase noch glauben, daß das als "Pilzkonzept" verkaufte Achsenkreuzmodell kein zentralistisches Modell mit einem Zentralbahnhof "Lehrter Bahnhof' ist, sondern daß alle Züge mehrfach in Berlin halten werden?
IGEB
aus SIGNAL 6/1995 (September 1995), Seite 6-7