Nahverkehr
Auch dieses Jahr war der Sprechtag für BVG-Busfahrgäste wieder fester Bestandteil der Schienenverkehrs-Wochen. Der BVG-Unternehmensbereichsleiter, Herr Lawerentz, und sein Mitarbeiter, Herr Graetz, standen am 16. Mai 1995 den zahlreiche Fragen stellenden Besuchern Rede und Antwort.
1. Sep 1995
Einleitend wurde von Herrn Lawerentz über die in diesem Jahr zu erwartenden Veränderungen im Fuhrpark berichtet. Nach dem "kargen" Jahr 1994 ist 1995 mit einer Vielzahl von Neuwagen in allen gängigen Größen zu rechnen. Das Schwergewicht liegt mit 86 Fahrzeugen, die ab Herbst ausgeliefert werden sollen, beim neuen dreitürigen Doppeldecker. Bei dem jetzt auf der Linie 100 eingesetzten Fahrzeug handelt es sich um einen Prototyp in noch nicht endgültiger Ausführung. Herr Lawerentz kündigte Fahrgastbefragungen zu dem Fahrzeug an und versprach, daß Anregungen bei den Serienfahrzeugen noch berücksichtigt werden können. Der häufig benannte Kritikpunkt, die geringe Stehhöhe im hinteren Teil des Wagens, soll dadurch entschärft werden, daß die Serienfahrzeuge eine Bauhöhe von 4,12 m (!) gegenüber 4,06 m beim Prototyp haben werden. Obwohl mit dem neuen dreitürigen Doppeldecker der Hauptschwachpunkt der Doppeldecker - die langen Haltestellenaufenthaltszeiten - ausgeräumt wird, ist zukünftig aus Kostengründen mit einem abnehmenden Anteil der Doppeldecker am Gesamtfahrzeugbestand zu rechnen, obwohl er grundsätzlich erhalten bleiben soll.
Nach Änderung der gesetzlichen Bestimmungen, nach denen nunmehr auch die Zulassung von 15m-Einzelfahrzeugen möglich ist, wird auch bei der BVG über den Einsatz solcher Eindecker alternativ zu den 18-m-Gelenkbussen nachgedacht. Kostenberechnugen zufolge wäre ein solches Fahrzeug sowohl in der Anschaffung wie auch in den Betriebskosten um ca. 20% günstiger als der Gelenkbus. Sein Fassungsvermögen wäre mit ca. 130 Fahrgästen gegenüber 160 beim Schlenki zwar geringer, jedoch ist dies für das Verkehrsaufkommen vieler Linien eine angemessene Fahrzeuggröße. Ein Probefahrzeug wird derzeit auf der Linie 169 getestet. Auch über den Einsatz sogenannter Midi-Busse für schwächer belastete Linien wird nachgedacht. Insgesamt sollen alle Möglichkeiten zur Kostendämpfung durch optimalen Fahrzeugeinsatz ausgelotet werden.
Die vom Publikum angesprochenen Fragen waren vielfältig und können hier nur auszugsweise wiedergegeben werden. Bestimmte Themen erweisen sich inzwischen als Dauerbrenner der Bussprechtage und verdeutlichen, daß die BVG hier noch einen erheblichen Nachholbedarf hat, z.B. beim Stichwort "Anschlußsicherung und Wartepflicht bei Umsteigevorgängen". Herr Lawerentz versicherte das ständige Bemühen des Betriebes, den eigenen Mitarbeitem die Wichtigkeit gerade dieses Punktes zu verdeutlichen. Die Anzahl der Anschlußsicherungspunkte ist im neuen Fahrplan vergrößert worden. Sie wird jedoch darüber hinaus wegen der Vielzahl der Netzverknüpfungen selbst bei Einführung eines rechnergestützten Betriebsleitsystems (RBL) nach Einschätzung von Herm Lawerentz nicht wesentlich wachsen können. Problematisch ist und bleibt aber nach wie vor die Einhaltung der im Fahrplan vorgesehenen Umsteigeanschlüsse durch die Fahrer, insbesondere in den Tageszeiten, in denen keine Absicherung über den Betriebsfunk erfolgt.
Beschwerden von Teilnehmern über zugeparkte Haltestellen und Busspuren stießen auf offene Ohren, die Antworten hinterließen aber auch hier einen schalen Beigeschmack über den Stellenwert des ÖPNV bei den zuständigen Behörden in dieser Stadt. Bei Anzeigen gegen falsch parkende Autos besteht die Polizei darauf, daß der Anzeigende (also der Bus- oder Straßenbahnfahrer) am "Tatort" verbleibt, bis die Anzeige aufgenommen wird. Dieses Verfahren bedeutet, daß eine Weiterfahrt eines Linienbusses praktisch nicht möglich ist und damit eine noch größere Beeinträchtigung eintritt als bei Inkaufnahme der Behinderung! Darüber hinaus besteht die Innenverwaltung darauf daß Anzeigen nur durch die Polizei aufgenommen werden dürfen. Die gänige Praxis anderer Städte, in denen das Personal der Verkehrsunternehmen selbst Anzeigen aufnehmen und das Abschleppen veranlassen kann, wird vom Berliner Senat bewußt unterbunden.
Bemängelt wurden der bereits vor geraumer Zeit angekündigte, aber nicht realisierte Einsatz von Gelenkbussen auf der stark frequentierten Linie 183 sowie die Tatsache, daß dort noch immer die für diese Linie völlig ungeeigneten DenOudsten - Busse verkehren. Herr Lawerentz gab zu verstehen, daß er über den seinerzeit abgeschlossenen Vertrag mit dem Privatunternehmen sehr unglücklich ist, da der Wageneinsatz vertraglich auf eine bestimmte Linie festgelegt wurde. Die BVG versuche aber mit den jeweiligen Vertragspartnern Lösungen zu finden und werde Zukünftig derartige Fehler vermeiden.
Mit dem Thema Fährbetrieb wurde auf dem Sprechtag fur Busfahrgäste auch ein eher untypisches Problem angesprochen: Das Bewußtsein über die Bedeutung der Fährlinien für das Netz insgesamt schien beim zuständigen Unternehmensbereich Omnibus jedoch noch nicht ausgereift zu sein, hatten doch viele Besucher den Eindruck, als würde der Fährbetrieb, der durch die Stern- und Kreisschiffahrt im Auftrag der BVG durchgeführt wird, nur als Kostenfaktor betrachtet. So ist es wohl auch zu erklären, daß mit dem neuen Fahrplan der Betrieb auf der Fährlinie 11 zwischen Oberschöneweide und Baumschulenstraße zwischen 11 und 14 Uhr einfach eingestellt wurde. Erst durch ein entsprechend negatives Echo in den Medien ist den Bus-Experten offenbar deutlich geworden, daß auch diese Fährlinie ein unverzichtbarer Bestandteil des ÖPNV-Netzes ist und man den jährlich 44.000 Fahrgästen dieser Linie nicht bis zu halbstündige Umwegfahrten zumuten kann, will man sie nicht als ÖPNV-Kunden insgesamt verlieren. Erfreulich, daß seit Ende Juli diese Lücke im Fahrplan wieder geschlossen wurde.
Positiv erwähnt wurde von einer Besucherin, daß die von ihr im letzten Jahr angeregte Haltestelle an der Agastraße in Adlershof jetzt durch die BVG eingerichtet wurde. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hofft, schon bald über die Realisierung weiterer Verbesserungsvorschläge der Veranstaltungsbesucher berichten zu können.
IGEB
aus SIGNAL 6/1995 (September 1995), Seite 18-19