Nahverkehr

Eine Bahn nach Waltersdorf?


Ivo Köhler

1. Jan 1996

lm vorangegangenen Artikel wurde versucht, zu verdeutlichen, welche große Bedeutung die „kIeinen" Betriebe am Rande der Stadt haben und welch großen Beitrag sie zur Entlastung der innerstädtischen Infrastruktur leisten können. Es stellt sich zwangsläufig die Frage: kann nicht auch an anderer Stelle durch Einrichtung solcher Bahnbetriebe eine Verbesserung der Berliner Verkehrsverhältnisse erreicht werden? Der komplette Neubau von Gleisnetzen samt der dazugehörigen Infrastruktur wird wohl an den Hürden der Finanzierung scheitern. Es lohnt sich aber, einige Ziele zu betrachten, die unter Nutzung vorhandener Anlagen bei geringfügiger Ergänzung mit Schienenfahrzeugen (in welcher Betriebsform und mit welchem Antrieb auch immer) erreichbarsein können.

Ein Beispiel hierzu: Sehr oft von sich reden machte in jüngster Zeit die Gemeinde Waltersdorf, südlich von Berlin gelegen. In der Nachwendezeit gelang es Investoren und Gemeindevertretern, hier einen der monströsen Einkautsparks zu installieren, die ein rotes Tuch für eine ernsthafte Stadtplanung darstellen, wie am Beispiel Strausberg dargestellt. Klassische Innenstadtbereiche drohen zu veröden, zusätzliche Verkehrsprobleme entstehen. Die Abwanderung der Kundenströme in solche Parks dient manchen Geschäftsleuten als willkommener Anlaß, zum Beispiel gegen Parkraumbewirtschaftung oder ÖPNV-Ausbau zu wettern, die eigentlichen Ursachen für das Ausbleiben der Kunden ignorierend. Ist eigentlich schon jemand auf die Idee gekommen, die sich im Segen der Steuergelder rekelnden Bauherren solcher Parks für die Belastung der verkehrlichen Infrastruktur in die Pflicht zu nehmen?

Aber unabhängig von aller stadt- und Iandschaftsplanerischen Scheltez diese Parks sind Realität, werden angenommen und erzeugen Verkehr, hauptsächlich privaten PKW-Verkehr. Und hier sollte mit alternativen Angeboten angesetzt werden, um die Kundenströme zumindest auf andere Verkehrsmittel zu lenken. Solche Ansätze zu ignorieren, wäre kein Weg zur Lösung der entstandenen Folgen.

lm Falle von Waltersdorf bietet es sich zum Beispiel an, das vorhandene FIughaten AnschIußgIeis von Grünau nach Diepensee zu nutzen, um einen Schienenanschluß herzustellen. Es wäre eine Ergänzungsstrecke von etwa zwei Kilometern neu zu bauen, sonst liegen schon Gleise. Betriebsformen wären alternativ denkbar. Das einfachste, aber unattraktivste wäre ein Inselbetrieb mit Diesel-oder Akkutriebwagen. Eine Verknüpfung mit den bestehenden Nahverkehrsnetzen wäre erstrebenswert. So könnte durchaus die S-Bahn von Grünau hier einen Abstecher machen. Ebenso wäre eine Verbindung zur Straßenbahn in Grünau denkbar. Diese Variante wäre sogar die interessantere. Der Anschluß unter Passage der Eisenbahnunterführung in Grünau ist zwar problematisch, aber Lösungen gibt es für alles. Insbesondere mit einer derartigen Verbindung wäre eine Entkrampfung der VerkehrsverhäItnisse gerade im Berliner Südosten denkbar.

Mit den Eröftnungstagen immer neuer Filialen in Waltersdorf entstanden im gesamten Berliner Süden jedesmal chaotische Zustände, die auch den ÖPNV völlig zusammenbrechen ließen. Hier müssen Alternativen angeboten werden. Neben Überlegungen zur Steigerung der Attraktivität der Innenstadtbereiche können es eben auch unkonventionelle Angebote zum Erreichen jener Märkte sein. Eine direkte Verknüpfung mit dem Köpenicker Subzentrum wäre für die dortige Handelsstruktur belebend, da die Zahl der Alternativen für Kaufentscheidungen jedweder Art durch eine direkte Verkehrsverbindung steigen würde.

Zugleich bietet sich das Modell Straßenbahn nach Waltersdorf zur Herstellung eines tatsächlichen Marktes von Anbietern auch im Straßenbahnbereich an. Man muß als Betreiber nicht unbedingt die BVG in die Pflicht nehmen. Zu überlegen wäre, hier versuchsweise einen eigenständigen Betrieb zu installieren. Es könnte für einige BVG-Kreise gewiß heilsam sein, sich einem Wettbewerber gegenüber zu sehen, der zeigt, wie es besser geht. Oder dem man natürlich zeigen kann, wie es besser geht. So etwas fehlt im Moment.

Ivo Köhler

aus SIGNAL 9-10/1995 (Januar 1996), Seite 13