Berliner Schienenverkehrs-Wochen
1. Dez 1989
... daß von der neuen Verkehrspolitik in Berlin bisher sehr viel mehr zu hören als zu sehen ist. Diesen Eindruck vermittelte Finanzsenator Dr. Norbert Meisner in seinem Vortrag und bei der anschließenden Diskussion am 19. Oktober. Er erläuterte die finanziellen Voraussetzungen für den erheblich intensivierten S- und U-Bahn-Ausbau. Möglich wurde dies durch das Strukturhilfegesetz. Anders als vom CDU/ F.D.P.-Senat geplant, sollen nun die gesamten Berlin zustehenden Mittel, das sind 10 Jahre lang 72 Mio. DM pro Jahr, für den Bahnbau ausgegeben und außerdem um jährlich 98 Mio. DM aus dem Berliner Landeshaushalt aufgestockt werden. Zusammen mit den GVFG-Mitteln von rund 170 Mio. DM stehen damit in den nächsten 10 Jahren jeweils 340 Mio. DM zur Verfügung.
Auskunft über die Aufteilung der Gelder konnte der Finanzsenator nicht geben. Dies sei die Aufgabe der Bau- und der Verkehrsverwaltung. Die verbreitete Einschätzung, er sei der heimliche Verkehrssenator, wies Senator Meisner zurück. Er mische sich nicht in die Verkehrspolitik ein, achte jedoch auf eine rationelle Verwendung der Mittel. Unter diesem Aspekt seien die geplanten hohen Investitionen in das befahrene 71-km-Netz in Frage zu stellen. Er teile hier den Unmut der Verkehrsinitiativen über unnütze und kostenträchtige Maßnahmen wie z.B. die Vergrößerung des Gleismittenabstandes bei der S-Bahn auf 4,0 m.
Eine weitere Einsparungsmöglichkeit sieht Herr Meisner im Verzicht auf die geplante S-Bahn-"Hauptwerkstatt" an der Oderstraße. Diese Investition sei nicht nötig, wenn wie bisher Berliner Firmen die Hauptuntersuchung der S-Bahn-Fahrzeuge durchführten. Auch beim Ausbau des S-Bahn-Südringes sollte kritisch geprüft werden, welche Maßnahmen entfallen bzw. zurückgestellt werden könnten. Die S-Bahn-Strecke nach Spandau müsse zusammen mit dem Ausbau der Eisenbahnstrecke nach Hannover gebaut werden, um einen kostengünstigen Bauablauf zu gewährleisten.
Auf überwiegende Ablehnung stieß die Haltung des Finanzsenators zur sofortigen U8-Verlängerung in das Märkische Viertel (MV) hinein. Ungeachtet des Grundsatzes, daß solche Entscheidungen vom Verkehrssenator zu treffen seien (s.o.), hielte Herr Meisner es für einen Schildbürgerstreich, die U8-Nord am S-Bf Wittenau (Nordbahn) enden zu lassen. Man könne nicht einen Kilometer vor einer Großsiedlung aufhören. Auch ein Zurückstellen der zugegebenermaßen teuren U-Bahn-Verlängerung komme nicht in Frage, da ein Abbruch der Arbeiten und eine spätere Wiederaufnahme noch teurer würde. Dem Einwand, die U8-Verlängerung würde beim standardisierten gewertungsverfahren schlecht abschneiden, entgegnete Herr Meisner, dies sei bei Verlängerungen im Randbereich generell so, wenn nicht die gesamte Linie betrachtet werde. Ebenfalls nicht akzeptabel fand er den Einwand, daß das ringförmig angelegte MV durch eine U-Bahn ins Zentrum nur ungenügend erschlossen werde. Nach Meisners Ansicht könnten ruhig längere Fußwege zur U-Bahn eingeplant werden.
Trotz der Auseinandersetzung über die U8-Nord zeigte der Abend daß Berlin endlich einen Finanzsenator mit Sachkenntnis und viel Verständnis für den öffentlichen Personenverkehr hat.
IGEB
aus SIGNAL 10/1989 (Dezember 1989), Seite 16