Berliner Schienenverkehrs-Wochen
1. Dez 1989
Die im September 1989 begonnenen Arbeiten zur Wiederinbetriebnahme der Ringbahn boten Anlaß, im Rahmen der Berliner Schienenverkehrs-Wochen 1989 auch eine Veranstaltung zur Information und Diskussion über die in diesem Rahmen notwendigen Arbeiten durchzuführen. Hierzu standen die Diplom-Ingenieure Uwe Straßburg und Hans-Jochen Müller von der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen am 26.10.1989 im Fahrgastzentrum einem rund 120-köpfigen interessierten Publikum Rede und Antwort.
Die Vorstellung der umfangreichen Baumaßnahmen und der damit verbundenen Probleme begann mit einem Rückblick auf die Hinterlassenschaften des früheren Senats. Es wurde deutlich, daß unter einem Senator Wronski frühestens 1990/91 mit den Baumaßnahmen begonnen worden wäre, wobei das zur Verfügung stehende Finanzbudget erheblich geringer ausgefallen wäre. Statt des nunmehr angestrebten Eröffnungstermins zum 1. Dezember 1992 wäre die S-Bahn unter CDU/F.D.P.- Regie frühestens 1995 auf dem ersten Streckenabschnitt Westend - Schöneberg gefahren. Der bisher erfolgten Bschleunigung der Planungs- und Bauarbeiten und der Aufstockung der Mittel drohen allerdings noch Gefahren: Die zusätzlichen Mittel aus dem Strukturhilfefonds des Bundes sind verfassunpolitisch umstritten, außerdem werden in Berlin in den kommenden Jahren erhebliche Mittel für den Wohnungsbau benötigt, so daß es zu drastischen Kürzungen der Mittel und zum Strecken der Arbeiten kommen könnte.
Als Ursachen für die dramatischen Kostensteigerungen von ca. 387 auf rund 585 Mio. DM für die Wiederherstellung des Südringes nannten die Vertreter der Senatsbauverwaltung folgende Gründe:
Der erste Streckenabschnitt zwischen Westend und Schöneberg soll rund 288 Mio. DM kosten, der "Rest" des Südrings bis zum Bf Sonnenallee, der am 1.7.1994 eröffnet werden soll, weitere 300 Mio. DM. Ein erheblicher Kostenfaktor sind, neben den 22 Brücken, die Wiederherstellung und teilweise Verschiebung der Bahnhofsanlagen zur Verbesserung der Verknüpfung mit dem übrigen S- und U-Bahn-Netz. Diese sind Voraussetzung zur Erreichung des im standardisierten Bewertungsverfahrens ermittelten hohen Verkehrswertes der Ringbahn. Die größten "Brocken" in diesem Zusammenhang sind auf dem Südring die Bahnhöfe Schmargendorf, Wilmersdorf, Papestraße und Hermannstraße.
Am Bahnhof Wilmersdorf soll der Bahnsteig der S-Bahn an oder über die Bundesallee verschoben werden. Die BVG und die Verkehrsverwaltung befürworten hier die teurere Lösung mit Abgängen auf beiden Seiten der Bundesallee und damit eine Optimierung der Umsteigeverbindung zur U9, während die Senatsbauverwaltung aus Kostengründen den Bahnsteig der S-Bahn lediglich an die Bundesallee heranschieben und nur auf einer Seite die direkte Umsteigeverbindung bzw. einen verbesserten Zugang zum Zwischengeschoß der U-Bahn schaffen will. Die Kosten betragen je nach Lösung 38 oder nur 15 Mio. DM.
Der Bahnhof Papestraße soll über den Vorortbahnhof geschoben werden. Außerdem soll ein Straßendurchbruch der General-Pape-Straße zum Sachsendamm berücksichtigt werden, Nach Fertigstellung wird der Bahnhof sich erheblich vom heutigen Zustand unterscheiden.
Am S-Bahnhof Hermannstraße soll die Verknüpfung mit der U8-Süd hergestellt werden. Hierzu ist die Verlängerung des erst zum Teil vorhandenen U-Bahnhofes Hermannstraße unter den S- und Fernbahngleisen der Ringbahn hindurch erforderlich. Auf den Bau einer Kehranlage wird verzichtet, so daß die ursprünsglich veranschlagten Kosten von rund 150 Mio. DM halbiert werden können.
Auch bei den übrigen Bahnhöfen finden aufwendige Erneuerungs- und Veränderungsarbeiten statt (vgl. SIGNAL 9/89 ), vor allem um die Zugänglichkeit durch neue Eingänge, Rolltreppen und Aufzüge zu verbessem. Der Umfang der zusätzlichen Einrichtungen ist aber noch nicht abschließend festgelegt. Für den in diesem Heft beispielhaft vorgestellten S-Bahnhof Hohenzollemdamm existieren z. B. altemative Planungen für die Anzahl der Rolltrepgpen und Aufzüge. Aus Sicht der IGEB besteht die Möglichkeit, durch eine gewisse Reduzierung erhebliche Mittel zu spar- en. So ist der gleichzeitige und zum Teil mehrfache Einbau von Rolltreppen und Aufzügen, gerade bei Bahnhöfen, die sicherlich weniger frequentiert werden, nicht gerechtfertigt. Vorrang sollte der Einbau von Aufzügen haben, da diese allen Gruppen von Benachteiligten dienen.
Zu erwähnen sind weiterhin die umfangreichen Baumaßnahmen am S-Bahnhof Westkreuz. Zwar wurden die eigentlichen Bahnanlagen von der Deutschen Reichsbahn in den 60er und 70er Jahren umfangreich saniert. Das Bahnhofsgebäude einschließlich des Stellwerks wurde aber von diesen Arbeiten ausgenommen und muß nun wegen mangelder Standsicherheit abgerissen werden. Grundlage für den Wiederaufbau muß aus Sicht der IGEB das alte Empfangsgebäude von Richard Brademann sein. Zusätzlich sollte ein direkter Zugang zu den Stadtbahnsteigen geschaffen werden.
Dieser de facto Neubau der meisten Bahnhofsanlagen ist in einen komplizierten, abgestimmten Zeitplan eingefügt, der für die Bahnhöfe Schmargendorf und Wilmersdorf ein Planfeststellungsverfahren einschließt. Hier kann deshalb erst Ende 1990 mit den Baumaßnahmen begonnen werden. Neben den Bahnhöfen werden mehrere Brücken und alle Gleisanlagen vollständig erneuert. Da neben den S-Bahn-Gleisen Güterverkehr abgewickelt wird, sind zudem zahlreiche Gespräche mit der DR und bei gemeinsam genutzten Brücken auch die Einrichtung von Behelfsbrücken für den Güterverkehr notwendig.
Während an anderer Stelle Kostenreduzierungen beabsichtigt sind, soll bei den Gleisanlagen offenbar nicht gespart werden. Die BVG und die Bahnaufsicht beim Verkehrssenator fordern einen Gleismittenabstand von mindestens vier Metern. Am liebsten wäre es der Verkehrsverwaltung wahrscheinlich, wenn für den IC-Standard (4,85 Meter) gebaut würde. Im Bundesgebiet dagegen werden von der Deutschen Bundesbahn für S-Bahnen 3,80 Meter Gleismittenabstand als ausreichend angesehen. Die Vertreter der Senatsbauverwaltung wiesen daraufhin, daß diese scheinbar geringe Differenz zwischen 3,8 m und 4,0 m erhebliche Mehrkosten verursacht.
Ein weiterer Kostenfaktor ist die von der BVG favorisierte, im Betrieb bisher nicht erprobte neue Signaltechnik EZS 800. Erst im Frühjahr 1992 könnte mit ihrer lnstallierung auf dem Südring begonnen werden. Denkt man an die vielen Schwierigkeiten bei der M-Bahn, könnte sich - ohne Einrichtung eines zweiten, zusätzliche Kosten verursachenden Signalsystems als Notbehelf für Ausfälle - eine Inbetriebnahme der Ringbahn schließlich erheblich verzögern. Außerdem wären bei Installierung der EZS 800 das West- und Ost-Berliner S-Bahn-Netz signaltechnisch nicht mehr zu verknüpfen.
IGEB
aus SIGNAL 10/1989 (Dezember 1989), Seite 17-19