Aktuell
1. Jan 1989
"Mit der Übernahme der S-Bahn und ihrer Anlagen wurden wichtige Voraussetzungen für ein geschlossenes Nahverkerskonzept geschaffen. Der Senat wird es in diesem Jahr vorlegen." versprach Eberhard Diepgen in seiner Regierungserklärung am 23. Februar 1984. Das Versprechen wurde nicht gehalten. Statt eines geschlossenen Nahverkehrskonzeptes gab es nur "heiße Luft" (Tagesspiegel). Und auch das Volksblatt Berlin schrieb am 11. Juli 1984: "ln Sachen S-Bahn übernimmt das Konzept die hinlänglich bekannten Netzpläne, in Sachen U-Bahn althergebrachte Planvorgaben, in Sachen Busverkehr ebenfalls schon öffentlich gemachte Sparstrategien ... Was gestem als Nahverkehrskonzept beschlossen wurde, hat kaum taktischen Wert, weil es nur die Zusammenfassung der aktuellen Verkehrspolitik ist."
Doch die Regierungserklärung mit dem nicht eingehaltenen Versprechen, ein "geschlossenes Nahverkehrskonzept" vorzulegen, war erst der Anfang von zahlreichen Ankündigungen und Versprechungen zur S-Bahn, die oft wie Seifenblasen zerplatzen. "Was die CDU verspricht, hält sie auch!" Dieser flotte Spruch auf dem CDU-Flugblatt anläßlich der Wiederinbetriebnahme der Nordbahn am 1. Oktober 1984 wurde seither regelmäßig„ zuletzt fast wöchentlich widerlegt.
So versprach Verkehrssenator Wronski in einem Interview mit der Zeitung "Der Nord-Berliner" vom 28. Dezember 1984: "Wir werden schon 1985 die ersten Rolltreppen auf den wichtigsten (S-Bahn-) Stationen fertiggestellt haben." Doch nichts geschah. Am 8. Oktober 1985 hatte der Bausenator dem Bezirksamt Schöneberg mitgeteilt, daß in der zweiten Jahreshälfte 1987 mit dem Bau des S·Bahnhofes Kolonnenstraße begonnen werden solle. Doch jetzt, Anfang 1989, ist noch nicht einmal die Planung abgeschlossen. Diese Liste nicht eingehaltener Ankündigungen ließe sich beliebig verlängern. Aber Ende 1988 wurde ein neuer Höhepunkt erreicht. Daß die Politiker kurz vor den Wahlen viel versgrechen, ist ja nicht neu. Und da die S-Bahn u.a. durch zwei erfolgreiche Bürgerbegehren ein wichtiges Thema wurde, waren Wahlversprechen für die S-Bahn auch allseits erwartet worden. Doch daß diese Versprechen schon vor den Wahlen wie Seifenblasen zerplatzten, das war neu.
So hatte Finanzsenator Rexrodt Anfang November angekündigt, einen Teil der Gelder aus dem Bonner Strukturhilfefonds für die S-Bahn ausgeben zu wollen. Von 40 Mio. DM war die Rede. Und Verkehrssenator Wronski hatte am 29. November 1988 vor dem Verkehrsausschuß angekündigt, mit Hilfe dieser Strukturmittel könne der Baubeginn am Südring auf 1990 vorgezogen werden. Doch inzwischen erfuhr die überraschte Öffentlichkeit, daß die Strukturhilfemittel ausschließlich für die Verlängerung der U-Bahn-Linie 9 von Steglitz in Richtung Lankwitz eingesetzt werden sollen und das die ersten GVFG-Mittel für den Südring in Bonn erst für 1991 beantragt wurden! Um den Schaden durch Bekanntwerden der Falschinformation in Grenzen zu halten, kündigte die Verkehrsverwaltung an, der für 1990 versprochene Baubeginn solle nun mit Hilfe der "Nachschlagzahlungen" (das sind übriggebliebene GVFG-Gelder, die andere Bundesländer nicht ausgegeben haben) realisiert werden. Das würde jedoch bedeuten, falls es überhaupt Nachschlagszahlungen gibt, daß erst ab Herbst 1990, und dann zunächst auch nur auf Sparflarnme, am Südring gebaut werden kann. Und das würde ferner bedeuten, daß mit den Bauarbeiten zur Verlängerung der U-Bahn-Linie 9 eher begonnen wird, als mit den Arbeiten zur Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Südrings. Ein jahrelanges Versprechen "Der Südring hat absoluten Vorrang!) soll plötzlich nichts mehr gelten.
Fazit:
Mit den Strukturmitteln bekommt der Senat die unverhoffte
Chance, die Verlängerung der U 8, die
Modernisierung des 71 km-Netzes und
die Wiederinbetriebnahme des Südringes - wie geplant - aus den jährlich 160
bis 170 Mio. DM an GVFG-Geldern zu
finanzieren und zusätzlich Gelder zur
Wiederinbetriebnahme der S-Bahn-Strecken nach Pichelsberg/Spandau/
Staaken und Lichterfelde Süd einzusetzen. Anstatt diese besondere Chance
für die S-Bahn zu nutzen, will der Senat
die U-Bahn-Linie 9, die bei dem standardisierten Bewertungsverfahren im
Vergleich zur Ringbahn so überraschend schlecht abgeschnitten hatte,
mit Hilfe der Strukturmittel (und sicher nicht ohne Einfluß der mächtigen
Betonindustrie) vorziehen. Dabei
nimmt es der Senat in Kauf, langjährige Versprechen über den Haufen zu
werfen.
Besonders ärgerlich ist dabei immer wieder die Unehrlichkeit, mit der der Senat argumentiert, Wenn er doch wenigstens die Courage hätte, sich zu seiner U-Bahn-Politik zu Lasten der S-Bahn zu bekennen. Denn natürlich gibt es auch gute Gründe für die U9, das hat die IGEB nie bestritten, nur sind es u. E. zu wenige, um die riesigen Kostenunterschiede zwischen U-Bahn·Neubau und S·Bahn-Wiederherstellung auszugleichen. Zur Erinnerung: Bis der erste U-Bahn-Zug auf der 3,5 km Iangen U9-VerIängerung nach Lankwitz fahren kann, müssen mindestens 600 Mio. DM verbaut werden (Senatsschätzung von 1984). Damit die S-Bahn wieder auf den insgesamt 20 km langen Streken nach Lichterfelde Süd und Staaken verkehren kann, werden demgegenüber "nur" 420 Mio. DM benötigt (Senatsschätzung von 1987)! Wenn der Senat also wenigstens seine Gründe für den U-Bahn-Bau offenlegen würde, wenn er wenigstens zugeben würde, daß seine Entscheidung für die U-Bahn zwangsläufig eine Entscheidung gegen die S-Bahn sein muß, so daß selbst auf den zum Senats-Zielnetz gehörenden S-Bahn-Strecken nach Staaken und Lichterfelde Süd in diesem Jahrhundert kein Zug mehr fahren wird Doch es wird wohl nicht lange dauern, bis uns die Politiker wieder erzählen (ohne rot zu werden), sie seien ja unbedingt für die S-Bahn, aber leider, leider fehle das Geld dafür.
Gibt es für die IGEB also gar keinen Anlaß, am 9. Januar 1989 zu feiern? Nattürlich gibt es auch Gründe zu feiern. Denn
IGEB
aus SIGNAL 1/1989 (Januar 1989), Seite 4-5