Aktuell
Am 29. Januar wird in Berlin gewählt. Zumindest personell gibt es danach einen Neuanfang in der Verkehrspolitik (vgl. S. 21). Auch inhaltlich? Die IGEB fragte deshalb Verkehrspolitiker aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien. Die Antworten (wir veröffentlichen sie in der Reihenfolge des Eintreffens) erhielten wir Anfang Dezember, rechtzeitig zum Redaktionsschluß von SIGNAL 10/88. Doch um noch die Antworten des verkehrspolitischen Sprechers der CDU-Fraktion, Rainer B. Giesel, abzuwarten, verschoben wir alle in das Januar-Heft. Zumal Herr Giesel uns zugesagt hatte, er werde antworten, schaffe dies aber erst Ende Dezember. Doch trotz Erinnerung: bis zum Redaktionsschluß antwortete Herr Giesel leider nicht. Auch das ist eine Antwort.
1. Jan 1989
Axel Kammholz (F.D.P.): Die F.D.P. geht davon aus, daß die Mittel des Strukturförderungsgesetzes in erster Linie zu einer Beschleunigung der Wiederaufnahme des Verkehrs auf dem Südring führen.
Axel Kammholz (F.D.P.): Die F.D.P. hat sich intensiv dafür eingesetzt, insbesondere die Kurzstrecken der S-Bahn nach Lichterfelde Süd und die Westbahn vorrangig wieder in Betrieb zu nehmen. Wir sind dabei davon ausgegangen, daß eine solche Wiederinbetriebnahme mit nur geringfügigen Kosten bei einem erheblich erweiterten Fahrgastaufkommen möglich sein müßte. Inzwischen ist dem Land Berlin aufgegeben, über die Wiederinbetriebnahme von S-Bahn-Strecken bzw. den Neubau von U-Bahn-Strecken auf der Grundlage eines objektiven Bewertungsverfahrens zu entscheiden. Mit der Erweiterung des Streckennetzes muß eine Erhöhung des Fahrgastaufkommens erreicht werden, um so die Ausbaukosten der BVG auszugleichen bzw. zu minimieren. Die F.D.P. akzeptiert diese Verfahren und geht daher von aus, daß der Südring etwa 1992 wieder befahren werden kann.
Axel Kammholz (F.D.P.): Der Südring wird am Bahnhof Sonnenallee enden müssen, sofern es zu einer Verknüpfung mit der U-Bahn kommt. Sollte die U-Bahn-Verknüpfung im Bereich Hermannstraße nicht erfolgen, plädiert die F.D.P. für das Befahren des Südringes bis Köllnische Heide, weil auf diese Art und Weise ein größeres Wohngebiet zusätzlich für die S-Bahn erschlossen werden kann.
Michael Cramer (AL): (Zu Frage 1 bis 3) Nach den Prognosen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) werden im Jahr 2000 - bei Fortsetztung der bisherigen Verkehrspolitik - die Zahl der Kfz von jetzt 650.000 auf ca. 950.000 um 50 % gestiegen, die Zahl der BVG-Benutzerlnnen jedoch von 500 Mio. pro Jahr um 25 % auf unter 400 Mio. gefallen sein. Da mittlerweile der überwiegenden Mehrheit der Berlinerlnnen kar ist, daß die immer unerträglicher werdenden Verkehrsprobleme von heute mit den gescheiterten Methoden von gestern gerade in dieser eingemauerten Stadt nicht zu lösen sind, ist eine andere Verkehrspolitik - und zwar der offensive Ausbau des ÖPNV - das ökonomische und ökologische Gebot der Stunde.
Als erste Maßnahme - und damit komme ich zu den ersten drei Fragen - sollten die brachliegenden ca. 70 km S-Bahn-Strecken so schnell wie möglich wieder in Betrieb genommen werden, da das die preisgünstige Attraktivitätssteigerung der BVG darstellt. Diese Maßnahme ist aus deutschlandpolitischen, ökologischen, verkehrlichen, sozialen und historischen Gründen wünschenswert, und bei notwendigem politischen Willen könnte auch ein Finanzierungmodus gefunden werden, der die "Strukturförderungsmittel" u.a. mit einbezieht. Der ebenfalls von der AL geforderte Verzicht auf die Westtangente, die BAB-Verlägerung in Neukölln und die B 101 in Steglitz würden allein den Verkehrshaushalt in den nächsten Jahren um ca. 3 Mrd. DM entlasten.
Diese Investitionen sind im übrigen Investitionen zur Haushaltsstabilisierung in naher Zukunft. So ist es zum Beispiel den Züricher Verkehrsbetrieben durch einen offensiven Ausbau des ÖPNV gelungen, den Kostendeckungsgrad auf 68% !!! (BVG 37 %) zu erhöhen. Für Berlin würde das eine Haushaltseinsparung von ca, 350 Mio. DM jährlich bedeuten.
Dr. Norbert Milsner (SPD): (Zu Frage 1 bis 3) Ob Berlin tatsächlich die genannten Beträge aus dem "Strukturfonds" erhält, ist unter anderem davon abhängig, ob das Bundesland Hessen mit seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg hat. Umso wichtiger ist die politische Verpflichtung der Berliner SPD, in den nächsten 10 jahren insgesamt 4,2 Mrd. DM für die Förderung des Schienennahverkehrs zur Verfügung zu stellen. Eine solche Verpflichtung ist bisher keine andere poltische Partei in unserer Stadt eingegangen.
Die SPD-Fraktion hat dem Abgeordnetenhaus hierzu ihr Investitions- und Finanzierungkonzept zur Beschlußfassung vorgelegt. Priorität hat dabei die Inbetriebnahme der Ringbahn, daß heißt die Inbetriebnahme des Südrings (Halensee - Köllnische Heide) bis zum Jahre 1992, des Nordrings (Gesundbrunnen - Jungfernheide - Halensee) bis 1994. Die Strecken Westkreuz - Spandau und Priesterweg - Lichterfelde Süd sollen bis 1997 und die Strecke Spandau - Staaken bis 1999 in Betrieb genommen werden. Bedauerlicherweise hat die Mehrheit von CDU und F.D.P. bei Enthaltung der AL unseren Vorschlag abgelrehnt. Berlin bleibt also weiter ohne Konzept für den öffentlichen Schienennahverkehr.
Michael Cramer (AL): Der Bahnanschluß des Flughafens, der prinzipiell wünschenswert ist, sollte erst nach der abgeschlossenen Integration von bestendem U- und S-Bahn-System in Angriff genommen werden. Bis dahin sollten die Buslinien 8 und 9 unter anderem durch Busspuren und busfreundliche Ampelsteuerung beschleunigt werden.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Die Anbindung des Fughafens Tegel an as Schienenverkehrsnetz halte ich für von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist erst einmal, durch die Wiederinbetriebnahme der stillgelegten S-Bahn-Strecken und die Arrondierung des vorhandenen U-Bahn-Netzes die Attraktivtät des ÖPNV in unserer Stadt zu erhöhen. Erst wenn dies geschehen ist, kann die Befriedigung bestimmter Zielverkehre - wie sie die Anbindung des Flughafens Tegel darstellen würde erfolgen.
Axel Kammholz (F.D.P.): Die F.D.P. wünscht eine Bahnanbindung des Flughafens Tegel. Ob diese Anbindung über die vorhandene S-Bahn-Trasse erfolgen sollte oder ggf. auch durch eine Magnetbahn auf der S-Bahn oder einer geringfügig geänderten Trase bedarf noch weiterer Untersuchungen.
Michael Cramer (AL): Weder aus deutschlandpolitischen noch aus verkehrlichen Gesichtspunkten sollte die U9 auf S-Bahn-Gleisen fahren. Nach Inbetriebnahme der S 6 nach Lichterfelde Süd und einer Verlängerung der U 9 entstünde in Lankwitz ein attraktiver Umsteigebahnhof. N.B. Der Bau der U 9 nach Lankwitz sollte erst nach Inbetriebnahme der S·Bahn erfolgen, da 1 km U-Bahn soviel kostet wie 10 km S-Bahn.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Die SPD- Fraktion hat sich in dem bereits genannten "Investitions- und Finanzierungskonzept" sowohl für die Wiederinbetriebnahme der S-Bahn·Strecke nach Lichterfelde Süd als auch für den U-Bahn-Bau nach Lankwitz/Kirche ausgesprochen. Diese Festlegung schließt eine Trassenführung der U-Bahn auf der S-Bahn-Trasse nach Lichterfelde Süd aus.
Axel Kammholz (F.D.P.): Lichterfelde Süd ist ein völlig unterversorgtes Gebiet im Hinblick auf öffentliche Nahverkehrsmittel. Es kommt darauf an, diese Benachteiligung schnellstmöglich zu beheben. Die Verlängerung der U-Bahn-Linie 9 scheint dazu geeignet. Siehe aber die Bemerkungen zu Frage 2.
Michael Cramer (AL): Die Verknüpfung der U3 und U4 bringt zwar verkehrliche Pluspunkte, ist wegen des teuren U-Bahn-Baus (siehe oben) aber finanzpolitisch unattraktiv. Der Attraktivitätsgewinn der U3 könnte durch Inbetriebnahme der alten Strecke über den U-Bahnhof Bülowstraße zum Gleisdreieck und/oder Verlängerung bis Potsdamer Platz einerseits und Adenauerplatz andererseits hergestellt werden. Wenn man an die Vereinbarungen bezüglich des Autoverkehrs denkt, müßten Verbesserungen im ÖPNV bei entsprechendem politischen Willen ebenfalls in Verhandlungen mit der DDR erreichbar sein. Als Sofortmaßnahme sollte auf allen - also auch und gerade auf der U3 und U4 - auch außerhalb des Berufsverkehrs der 5 Minuten-Takt eingeführt werden.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Die Verknüpfung vorhandener Schnellbahnlinien macht grundsätzlich immer einen Sinn. Auswirkungen auf den Autoverkehr haben sie jedoch nur dann, wenn insgesamt in der Stadt ein sinnvoll verknüpftes Schienenverkehrs· und Busnetz mit vernünftigen Fahrttakten vorhanden ist. In dem Verkehrskonzept der Berliner SPD haben daher der S- und U-Bahn-Ausbau sowie die Wiederherstellung eines vernünftigen und attraktiven Busverkehrs Vorrang.
Axel Kammholz (F.D.P.): Die dem Land Berlin für den öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung stehenden Finanmittel sind beschränkt. Sie können nur einmal ausgegeben werden. Viele Forderungen im Bereich des ÖPNV sind vorstellbar und ihre Realisierung scheint wünschenswert. Dennoch sind solche Fordenmgen nur real, wenn gleichzeitig gesagt wird, wie sie zu finanzieren sind oder welche Vorhaben dafür nach hinten gestellt werden solen.
Michael Cramer (AL): Der Autoverkehr hat Fußgängerlnnen, Fahrradfahrerlnnen und die Straßenbahnen von der Straße vertrieben, ohne daß ein flüssiger Autoverkehr erreicht worden ist. Der Autoverkehr steht sich nur noch selbst im Wege, weshalb eine Einschränkung unerläßlich ist: Verzicht auf eine Erweiterung des Straßennetzes, Tempo 30 als Reglegeschwindigkeit auf allen Stadtstraßen, Erweiterung verkehrsberuhigter Zonen, Parkplatzreduzierung und Abbau von öffentlichen Subventionen für den Autoverkehr, um nur einige Stichpunkte zu benennen. Eine volkswirtschaftliche Berechnung des Autoverkehrs ist unerläßlich. Nach dem Verursacherprinzip müßte der Liter Benzin nämlich 5,-- DM kosten. Nach Angaben von Lutz Wicke (CDU) vom Umweltbundesamt, gibt Berlin (West) jedes Jahr alleine 2 Milliarden DM (!) aus, um Schäden zu beheben, die das Auto verursacht.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Zuerst einmal werden die Berliner Autofahrer akzeptieren müssen, daß sie nicht zu jeder Zeit jeden beliebigen Ort in unserer Stadt mit dem Pkw werden erreichen können. Unsere Politik zielt darauf, den bisherigen Vorrang des Autoverkehrs in einen Vorrang für die anderen Verkehrsarten (BVG, Fahrrad, Fußgänger) umzukehren und den Straßenraum entstprechend anders zu verteilen. So wir das von uns geforderte Netz von Busspuren in der Stadt selbstverständlich nicht anzulegen sein, ohne den Verkehrsraum zu Lasten des Kraftfahrzeugverkehrs in Anspruch zu nehmen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Anlage von Velorouten und Fahrradstraßen. Radwege auf Gehwegen wird es unter einem SPD- Senat nicht mehr geben. Die Straße muß aber auch wieder von einem reinen "Verkehrsweg" zu einem Kommunikationsort werden. Dies setzt die Umgestaltung des Straßenraumes zugunsten von Wohnumfeldverbesserungen voraus.
Axel Kammholz (F.D.P.): Die Berliner Autofahrer werden zunehmend hinnehmen müssen, daß sie in weiten Teilen der Stadt, in Wohnbereichen, nur noch mit geminderter Geschwindigkeit ihr Auto bewegen können. Sie werden ferner akzeptieren müssen, daß das Parken in zentralen Bereichen nur noch eingeschränkt und erheblich teurer sein wird.
Michael Cramer (AL): Busspuren und Haltestellenkaps sind überfällig. Während Paris zum Beispiel über fast 400 km Busspuren verfügt, gibt es in dem sich so geme "Weltmetropole" nennenden Berlin (West) gerade mal 5 km davon. Daß die Kaps zusätzliche Auto-Parkplätze schaffen, ist sicherlich auch ausschlaggebend dafür, daß (Auto)- Verkehrssenator Wronski einige Kaps anlegen ließ.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Wie ich bereits erwähnt habe, ist die Anlage eines Netzes von Busspuren in der Stadt eine Forderung er SPD-Verkehrspolitik. Haltestellenkaps sind ebenso wie Busschleusen an Ampelanlagen geeignet, den Busverkehr zu beschleunigen und seine Attraktivität gegenüber dem Auto zu erhöhen. Sie sind daher seit geraumer Zeit Bestandteil des SPD-Programms zur Erhöhung der Attraktivität der BVG.
Axel Kammholz (F.D.P.): Diese Forderungen sind berechtigt. Die F.D.P. hat einen diesbezüglichen Antrag im Abgeordnetenhaus eingebracht. Dieser Antrag ist angenommen worden. Es liegt nunmehr in der Verantwortung des Senats, sich gegenüber zahlreichen in den Bezirken vorhandenen Widerständen durchzusetzen.
Michael Cramer (AL): Der 20 Minuten-Takt beim Bus ist unattraktiv und unerträglich. Die AL fordert deshalb für alle Busse eine Verkürzung der Taktzeiten auf maximal 10 Minuten. In Zürich fahren die Busse zum Beispiel auch um Mitternacht noch alle 6 Minuten. Das Gesamtsystem ist nämlich so attraktiv wie das schlechteste Glied.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Die Aufgabe des Busverkehrs ist es, die Fläche für den ÖPNV zu erschließen. Diese Aufgabe kann er nur erfüllen, wenn der Bus von potentiellen Fahrgästen möglichst schnell erreicht werden kann und dieser in einem akzeptablen Fahrttakt verkehrt. Wie viele Buslinien in einem bestimmten Bereich erforderlich sind, wird von Fall zu Fall verschieden zu beurteilen sein. Ein Fahrttakt von 20 Minuten ist nach meiner Auffassung jedoch nur in den späten Abend- und Nachtstunden veretbar. Tagsüber ist ein 10 Minuten-Takt das absolute Muß für einen attraktiven Busverkehr.
Axel Kammholz (F.D.P.): Parallel-Verkehr von Buslinien ist nach Möglichkeit zu verhindern. Er wird sich dennoch nicht ganz vermeiden lassen, wenn man die Notwendigkeit des Umsteigens auf ein Mindestmaß beschränken will.
Michael Cramer (AL): Der Attraktivitätsgewinn der Hochgeschwindigkeitszüge nach Hannover wird frühestens in der zweiten Hälfte der 90er Jahre spürbar. Die Schließung der ElektrifizirungsIücken auf allen Südstrecken ist deshalb nach wie vor überfällig Die Strecke nach Hamburg sollte über Stendal - Uelzen geführt werden, um u.a. das "Berliner Freizeitparadies" Lüchow-Dannenberg durch die Eisenbahn anzubinden. Statt neuer Autobahnen für den Transit sollten neue Eisenbahnstrecken in Betrieb genommen werden (z.B. im Harz).
Als Sofortmaßnahme zur Verbesserung des Eisenbahnverkehrs schlägt die AL vor: eine drastische Preissenk (vor allem für Familien), die Verdoppelung der täglichen Verbindungen ins Bundesgebiet im Taktverkehr, die weitgehende Gewährung der lntercity- Geschwindigkeit für Berlin-Züge innerhalb des Bundesgebietes und die Anhebung des Eisenbahnkomforts durch die Ausstattung aller Züge mit Speise- und Gepäckwagen (Fahrradmitnahmel!). Auch der Berlin-Verkehr sollte in das Tarifsystem der DB gleichberechtigt einbezogen werden.
Dr. Norbert Meisner (SPD): ,Die Berliner SPD hat sich bereits in den vergangenen Jahren für den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Berlin und Hannover ausgesprochen. Sie hat die Forderung aber immer mit der nach zusätzlichen Verbesserungen auf den anderen Strecken verbunden. Die Forderung nach der Lückenschließung im Elektrifizierungsbereich auf dem Territorium der DDR insbesondere im Bereich der Südstrecke ist seit Jahren Bestandteil des SPD-Fernverkehrsprogramms. Die Vorschläge der IGEB für Verbesserungen im Eisenbahnverkehr von und nach Berlin (West) haben immer die Unterstützung der Berliner SPD gefunden.
Axel Kammholz (F.D.P.): Die F.D.P. hat immer daraufhin hingewiesen, daß die Verbesserung des Eisenbahnverkehrs zwischen Berlin und Hannover nicht zu einem weiteren Rückfall der übrigen Transitstrecken führen darf. Verbesserungen im Komfort der Züge und auch in der Geschwindigkeit des Verkehrs sind eingeleitet. Das von der Bundesbahn entwickelte Konzept für die Attraktivitätssteigerung in kurz- und mittelfristiger Zeit sollte umgehend umgesetzt werden. Bereits für 1989 erwartet die F.D.P. wesentliche Verbesserungen.
Michael Cramer (AL): Der Bahnhof Zoo ist "Hauptbahnhof" von Berlin (West) und soll es bleiben. Aufgrund öffentlichen Drucks und der 750-Jahr-Feier haben sich sein Aussehen und seine Funktionstüchtigkeit erheblich verbessert. Die neuerliche Diskussion um einen "Hauptbahnhof Westkreuz" wird von Umweltsenator Starnick doch nur deshalb entfacht, um der Betonlobby, die seiner F.D,P. - und natürlich auch der CDU - den Wahlkampf finanziert und die Gedächtnislücken pflegt, den Bart zu kraulen.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Ja. Dafür sprechen schon die hohen Investitionen, die in den letzten Monaten zur Renovierung dieses Bahnhofes endlich getätigt wurden.
Axel Kammholz (F.D.P.): Ja. Es erscheint wenig zweckmäßig, derzeit in Berlin an die Konzipierung eines neuen Hauptbahnhofes heranzugehen.
Michael Cramer (AL): Die Züge Paris - Moskau sollten nicht in Spandau halten. Die Zubringer-Züge Berlin - Hannover sollten dort halten, um die Attraktivität zu steigern.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Dies wäre nicht unbedingt notwendig, wenn nach dem von der SPD-Fraktion vorgelegten lnvestitions- und Finanzierungskonzept die S-Bahn-Strecke nach Spandau wieder in Betrieb genommen ist.
Axel Kammholz (F.D.P.): Mit dem Begriff eines Hochgeschwindigkeitszuges ist es nicht von vornherein zu vereinbaren, daß er am Rathaus Spandau halten muß. Eine solche Forderung kann nur erhoben werden, wenn Untersuchungen ergeben, daß ein erhebliches Ein- und Austeigen auf einem solchen Bahnhof erfolgen würde.
Michael Cramer (AL): Die gute alte Eisenbahn von gestern wird das ökonomisch und ökologisch attraktive Verkehrsmittel von morgen sein. Deshalb wäre es sehr leichtfertig, irgendein Bahngelände aufzugeben. Schon gar nicht die Flächen des Hamburger und Lehrter Güterbahnhofs, da der Güterverkehr von den Brummis wieder auf die Bahn verlagert werden muß.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Die SPD tritt dafür ein, den Anteil der Schiene am Güterverkehr deutlich zu erhöhen. Es ist daher zwingend erforderlich, die hierfür notwendigen Bahnflächen vorzuhalten. Darüberhinaus muß eine Untersuchung darüber angestellt werden, welche anderen Bahnstrecken für eine Feinverteilung innerhalb des Stadtgebietes sinnvoll genutzt werden können. Nur unter diesen Voraussetzungen kann daran gedacht werden, Eisenbahnflächen umzuwidmen und anderen Zwecken zuzuführen. Dafür kommen natürlich auch andere als bauliche Nutzungen in Betracht (Beispiel: Schöneberger Südgelände). Ich bezweifle sehr, daß unter den von mir genannten Voraussetzungen eine Umnutzung der Flächen des Hamburger und Lehrter Güterbahnhofes begründbar wäre.
Axel Kammholz (F.D.P.): Der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz hat keine Zugriffsmöglichkeit auf Eisenbahnflächen, wenn diese im Flächennutzungsplan als solche ausgewiesen sind. Die Probleme des Eisenbahnverkehrs liegen nicht in fehlenden Flächen. Auch eine wesentlich verbesserte Durchführung des Eisenbahnverkehrs sowohl im Personen- als auch im Güterbereich erscheint auf den vorhandenen Flächen möglich.
Michael Cramer (AL): Der Anteil der Eisenbahn am Güterverkehr kann zum einen erhöht werden durch die Streckenverbesserungen, wie sie oben für den Personenfernverkehr beschrieben sind. Zum anderen kann die Geschwindigkeit erhöht werden: durch Wegfall von langwierigen Rangierbehandlungen in der DDR, kurzfristig einsetzbare Nachfragereserve von Güterspezialwagen in Berlin (West), Kürzung bzw. Wegfall der Grenzaufenthalte, durch Erledigung der Grenzformalitäten am Abgangsort, Integration von Berlin (West) in das lnterCargo-Netz der DB, Möglichkeit der Güterbeförderung im Nachtsprung u.a. Die Attraktivität der Eisenbahn wird auch durch umweltpolitisch gewollten Verzicht auf Verbesserungen im Lkw-Verkehr erhöht: z.B. durch die Festlegung der EG-Norm von Höchstbelastungen beim Lkw - statt einer Erhöhung auf 40 t/Lkw sollte sie wie in der Schweiz auf 28 t eingefroren werden.
Dr. Norbert Meisner (SPD): Der Eisenbahngüterverkehr ist das Stiefkind der derzeitigen Senatspolitik. Der Senat unternimmt keinerlei Anstrergungen, die Güterfrachtanteile der Bahn gegenüber anderen Verkehrsträgem zu steigern. Es existiert keinerlei Konzept, wie der Güterfernverkehr von und nach Berlin entwickelt werden soll. Ein SPD-geführter Senat würde die Entwicklung eines solchen Konzepts unverzüglich in Angriff nehmen. Durch die Einrichtung einer "Rollenden Landstraße”, die Awicklung des Güterverkehrs (ausgenommen Ganzzüge, Containerverkehr und "Rollende Landstraße") auf zwei neu zu schaffenden Güterbahnhöfen und die Einrichtung eines Frachtenverteilzentrums außerhalb der Stadt oder im Bereich des Bahnhofes Grunewald sowie durch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn kann hier einiges erreicht werden. Es bedarf nur des politischen Willens, hier wirklich etwas in Bewegung setzen zu wollen.
Axel Kammholz (F.D.P.): Die Eisenbahn braucht im Berlin-Verkehr im Verhältnis zum Lkw eine bessere Ausgangssituation. Dazu gehört vor allem ein durchgerechneter Tarif mit einer entsprechenden Frachtendegression, der es der Bahn ermöglicht, über die Gesamtstrecke durchgerechnete Frachtensätze im Wettbewerb anbieten zu können. Ferner bedarf es einer Verbesserung der Frachtenzugverbindungen durch Direktzüge sowie einer Verringerung der langen Aufenthaltszeiten auf den Grenzbahnhöfen.
IGEB
aus SIGNAL 1/1989 (Januar 1989), Seite 9-13