Fernverkehr

Schienenverkehrs-Wochen - Die neue Bahn - auch für Berlin?


Berliner Schienenverkehrs-Verband

1. Jan 1989

... war das Thema vom DB·Abteilungsleiter für Marketing, Leistungsplanung und Controlling im Personenverkehr, Herrn Karl-Heinz Garre, am 5. Oktober. Zunächst schilderte er die Situation und die Planungen der DB im DB-Binnenverkehr. Die Entwicklung des gesamten Fernverkehrs im Bundesgebiet ist stark steigend, wobei die DB bisher an dieser Zunahme nicht partizipiert hat. Busse und Flugzeuge haben wesentlich mehr Kunden bekommen, während die DB Marktanteile verloren hat. Prognosen besagen, daß insgesamt der Berufs- und Ausbildungsverkehr leicht zurückgehen und der Geschäfts- und Urlaubsreiseverkehr stark steigen werden (letzteres ist für die Bahn günstig, da die Steigerung auf Zweit- und Dritturlauber zurückzuführen ist, die nicht nach Übersee gehen). Die Folgerungen der DB daraus sind, den Verlust an Marktanteilen einzudämmen, einen "selektiven Zuwachs wirtschaftlicher Marktanteile zu ermöglichen" und die Bahn als "alternativen Partner in einem vom harmonisierten Wettbewerb bestimmten Markt zu stabilisieren" (also zu erreichen, daß mehr Leute zwar ein Auto haben, aber die Bahn benutzen). Die Statistik zeigt weiterhin, daß der TEE/IC/EC-Verkehr immer mehr genutzt wird, der D- und Ferneilzug-Verkehr jedoch immer weiter sinkt. Die Begründung sieht die DB darin, daß der lntercity ein "Markenartikel" ist, der D-Zug jedoch die "Synthese aller Nachteile". In diesem Zusammenhang bezeichnete Herr Garre die Umwandlung vieler Eilzüge in D-Züge vor einigen Jahren als schwerwiegenden Fehler, da der D-Zug dadurch sein "Marktprofil", also seinen guten Ruf, verloren hat. Heute weiß man nämlich nicht, wie schnell ein D-Zug wirklich fährt; die Haltestellenabstände schwanken zwischen 9 und 50 Kilometern. Dementsprechend ist auch der Kostendeckungsgrad niedrig: beim D-Zug nur 84%, beim lC dagegen 105%. Einen Ausweg aus diesem Dilemma biete nur ein völlig neues Produkt, kein "Allerweltsprodukt" und auch keine "Kosmetik” vorhandener Produkte. Der gesamte Fernverkehr wird also neu geordnet (IC/EC/ICE zählen nicht dazu, sondern zum Schnellverkehr). Die Zauberworte lauten "lnterRegio" für den Geschäfts und Privatreiseverkehr, “Fernexpreß" für den Urlaubsverkehr sowie "Nachtexpreß" und “Autoexpreß".

Der IR wird ein System ähnlich dem lntercity-System. Er ist linien- und taktgebunden, hat eine hohe Reisegeschwindigkeit und Systemhalte und bietet einen Service wie der IC (mit Ausnahme des Bistros, das statt des Speisewagens eingesetzt wird). Er unterscheidet sich durch die geringeren Haltestellenabstände vom IC. Für den IR werden D-Zug-Wagen, die noch eine Lebensdauer von 20 Jahren haben, umgebaut. Dabei ist individuelle Gestaltung gefragt, die sich durch Sitzlandschaften, Kinderland, Kommunikationsgebiete, das Bistro und Behinderteneinrichtungen ausdrückt. Individuelle, also möglichst viele Direktverbindungen durch Kurswagen wird es aber nicht geben (dies bleibt dem Fernexpeß vorbehalten). Die DB behilft sich durch Zugverlängerungen über die Linie hinaus, durch Linrentausch zweier Züge und durch Umsteigeanschlüsse am selben Bahnsteig. Noch nicht geklärt sind dagegen der Gepäckverkehr und der Autoreisezugverkehr.

Der Berlin-Verkehr spielt für die DB insgesamt kaum eine Rolle, nur ca. 3% des DB-Fernverkehrs ist Berlin-Verkehr. Herr Garre stellte weiterhin fest, daß die Qualität des Berlin-Verkehrs schlicht und einfach schlecht sei. So sei die durchschnittliche Reisezeit nach Hannover von 1982/83 bis 1988/ 89 von 3 h 27 min auf 4 h 2 min gestiegen. lm Berlin-Bahnverkehr benutzen 81% der Reisenden die Züge, um Berlin (West!) zu erreichen, 11% haben die DDR als Reiseziel, und 8% sind Transitreisende in Drittstaaten. Dabei benutzen 52% den Übergang Helmstedt, je 16% die Übergänge Gerstungen und Büchen, 11% den Übergang Probstzella und 5% den Übergang. Die Hauptverkehrsströme gehen bis Hamburg (24% fahren jedoch in Richtung Kiel), Frankfurt, Nürnberg (hier teilen sich die Ströme: 52% Fahren Richtung München, 25% Richtung Stuttgart und Regensburg (ab hier fahren 38% der Reisenden Richtung München und 26% Richtung Bayerischer Wald).

Die Marktanforderungen an den Berlin-Verkehr sieht die DB folgendermaßen: Nötig sind ein gleicher Qualitätsstandard wie im Bundesgebiet, kürzere Reisezeiten, Direktverbindungen, Verbesserungen in Service und Komfort und bei den sanitären Anlagen, geringere Fahrtkosten (hier forderte Herr Garre Subventionen wie im Flugverkehr, warum diese Forderung aber vorher noch nie von der DB publik gemacht wurde, blieb unkllar sowie die Vereinfachung der Grenzkontrollen, insbesondere in Schlaf- und Liegewagen.

Erstmals bekannte sich die DB offen zur einseitigen Stärkung der Strecke nach Hannover. Selbst nach Nürnberg und München sind die Berliner nach Fertigstellung der Neubaustrecke Hannover/Würzburg über Hannover schneller als auf der direkten Strecke. Deshalb will die DB kurzfristig die Verbindung über Helmstedt verbessern, langfristig setzt sie auf die Neubaustrecke, die übrigens nach Vorstellung der DB keinen Abzweig über Salzwedel in Richtung Hamburg erhalten wird.

Ab 1991 wird sich durch die Einführung des ICE im DB-Binnenverkehr das Angebot im Schienenpersonenfernverkehr grundlegend ändern. Da die DR angeblich immer drei bis vier Jahre benötigt, um einer Fahrplanänderung zuzustimmen, hat es nach Ansicht der DB keinen Sinn, das Berlin-Angebot vor 1991 grundlegend zu verändern. Ab 1991 plant die DB dann eine IR- Verbindung Berlin/Köln über Dortmund/Essen mit bahnsteiggleichem Anschluß in Braunschweig an den IC nach Frankfurt/Mannheim. Nach Norddeich wird ein "Taktverdichter" fahren, durch Linientausch soll es auch eine Direktverbindung nach Amsterdam geben. Zwischen Hannover und Dortmund sollen einige Berlin-Züge bereits ab 1989 200 km/h fahren. Durch diese Maßnahmen wird sich noch mehr Verkehr auf die Hannover-Strecke verlagern, so daß die DB auf den Strecken nach Süden einen Zug streichen will. Herr Garre führte zwar aus, daß über Hof und Probstzella ab 1992 oder 1993 je ein lR-Paar täglich fahren soll (ein Tageszugpaar über Probstzella soll entfallen), nach Hamburg drei bis vier (diese Zuggamituren soll die DR stellen, einige Züge werden bis Westerland verlängert), aber noch nie wurde von DB-Seite so deutlich gemacht, daß die Südstrecken konsequent vernachlässigt werden und werden sollen.

Die Nachtverbindungen nach München und Basel sollen nach den Vorstellungen der DB weiterhin bestehen bleiben. Darüber hinaus stellt sich die DB über Berlin nachts die Ost-West- Achse Moskau - Paris/Oostende/Niederlande sowie interessanterweise eine Nord-Süd-Achse Skandinavien - Tschechoslowakei - Österreich/Ungarn vor, die allerdings nicht in Händen der DB liegen wird, also auch nicht von ihr beeinflußt werden kann.

Berliner Schienenverkehrs-Verband

aus SIGNAL 1/1989 (Januar 1989), Seite 18-19