Aktuell
Entgegen der gängigen Meinung ist auch in Berlin (West) der öffentliche Personen-Nahverkehr (ÖPNV) keineswegs ein Faß ohne Boden. Selbst nach Abzug der Kfz- und Mineralölsteuerabgaben kostet der überbordende private Pkw-Verkehr die Bevölkerung West-Berlins immer noch um die Hälfte mehr als der ÖPNV. Zu dieser bemerkenswerten Erkenntnis gelangte der Verkehrsforscher Dr. Dieter Apel vom Deutschen Institit für Urbanistik (DIfU) in einer Studie, die er für die Arbeitsgemeinschaft Fläche der Enquete-Kommission Bodenverschmutzung, Bodennutzung und Bodenschutz des Berliner Abgeordnetenhauses fertigte. Apel berechnete erstmals die volkswirtschalftichen Gesamtkosten des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in der Halbstadt und verlangte, daß die Autofahrer zum Ausgleich für die von Ihnen verursachten Umweltschäden doppelt so hohe Kfz-Steuern zahlen müssen.
1. Feb 1989
Dem Verkehrsplaner zufolge flossen im Berechnungsjahr 1985 trotz Fahrgeldeinnahmen der BVG von 547 Mio. DM zusätzlich 911 Mio. DM in den öffentlichen Nahverkehr. Das ist zugegebenermaßen viel Geld. Doch die gesamtwirtschaftlichen und sozialen Kosten des privaten Berliner Pkw-Verkehrs betrugen im selben Jahr unter Anrechnung der Kfz- und Mineralösteuerabgaben von 490 Mio. DM dennoch stolze 1,490 Milliarden DM. Das entspricht einem Kostendeckungsgrad von schlappen 75 Prozent gegenüber gut 37 Prozent bei der BVG! Apel verfiel auf das Nächstlirgende, nämlich einmal die von der Allgemeinheit zu tragenden indirekten Folgekosten des MIV zu ermitteln. Laut dem DlfU-Forscher müssen hierzu hauptsächlich die exorbitanten Umweltschäden durch Lärm oder Dreck gezählt werden, die er für 1985 mit etwa 830 Mio. DM bezifferte. Doch in der Studie werden noch eine ganze Reihe verkehrlicher Ausgaben primär dem Konto des privaten Pkw-Verkehrs zugeschlagen. Auf das Basisjahr bezogen berechnete der Forscher Kosten des Neubaus oder der Unterhaltung von Straßen und von Park·Garagen in Höhe von 340 Mio. bzw. 80 Mio. DM. Es folgt ein hochgerechneter Betrag von 410 Mio. DM für die Inanspruchnahme von Straßen, Wegen und Plätzen. Als Folgekosten der Verkehrsunfälle führte Apel weitere 280 Mio. DM auf. Schließlich veranschlagte der Wissenschaftler für die erhöhten betriebswirtschaftlichen Aufwendungen, die der BVG wegen der Behinderung von Bussen, beispielsweise durch Falschparker, entstehen, immerhin 120 Mio. DM.
Einschließlich der quantifizierten Umweltschäden und der in Rechnung gestellten Flächeninanspruchnahme lostet der gesamte Pkw-Verkehr innerhalb West-Berlins jährlich rund 4,5 Milliarden DM, .. so die DItU·Studie. Die Kosten des ÖPNV zum Vergleich: Rund 1,5 Milliarden DM pro Jahr. Dieter Apels Resümee: “Ein besonderer ökonomischer und ökologischer Mißstand ist es, daß das aufwendigere und umweltschädlichere Verkehrssystem - der Pkw-Verkehr - noch stärker als der umweltverträglichere ÖPNV subventioniert wird."
Den Prinzipien der Marktwirtschaft entspreche aber eigentlich, daß die Kosten des Nahverkehrs durch die verursachenden Verkehrsträger jeweils voll getragen werden. Freilich hält auch Apel einen der Forderung adäquaten Aufschlag auf die Mineralölsteuer für eine Utopie, denn: "... dann müßte der gegenwärtige Steuersatz um rund das Fünffache angehoben werden. Der Benzinpreis würde auf mehr als 3,-- DM pro Liter ansteigen?"
Konkret schlägt der Forscher als ersten Schritt hin zu einer Bevorzugung des öffentlichen Nahverkehrs die glatte Verdoppelung der Kfz- und Mineralölsteuern vor. Die in einem Szenario "ÖVFF" ("Vorrang für den ÖPNV den Fahrrad- und Fußgängerverkehr") beschriebenen positiven Folgen für die Zukunft: Ein Drittel der fronststädtischen Autokutscher steigen bei entsprechenden verkehrlichen Rahmenbedingungen mehr oder weniger zähneknirschend aufs Fahrrad oder die BVG um - und dies sogar bei im wesentlichen unveränderten BVG-Tarifen. Apel: "Der Pkw hätte dann einen Verkehrsanteil, wie er etwa in Paris oder London besteht." Heute, so der Planer, liegt der Anteil der Autofahrer am Gesamtverkehr in Berlin höher als in diesen und anderen Weltstädten. Prognostiziert wird weiter eine analoge Abnahme der von Autofahrern verursachten Umweltschäden und der Unfallfolgekosten um ebenfalls ein Drittel.
Auf dieser Basis rechnet Apel in dem Szenario mit einem Rückgang der Kosten des automobilen lndividualverkehrs in der Stadt um rund 900 und beim ÖPNV mit einer Erhöhung um 180 Mio. DM. Die geschätzten erhöhten Kosten der BVG könnten hierbei aber voll durch vermehrte Fahrgeldeinnahmen abgedeckt werden. Summa summarum würde der Berliner Steuerzahler von der implizit vorgeschlagenen “Öko-Steuer" für Autofahrer beträchtlich profitieren - vorausgesetzt, die Annahmen stimmen. Das optimistische Fazit des vorgestellten Szenarios müßte jeden verantwortlichen Finanzsenator zum Nachdenken bringen: "Die Gesamtkosten des Personenverkehrs in Berlin (West) würden von rund 6,0 Mrd. DM auf rund 5,2 Mrd. DM gesenkt werden", heißt es in der Studie abschließend. Und: "Die Subvention des Pkw-Verkehrs durch Staat und Allgemeinheit würde von rund 1,5 Mrd. DM auf rund 0,6 Mrd. DM im Jahr verringert.”
Zwischenzeitlich erhob der Berliner Landesverband des Verkehrsclubs der Bundesrepublik Deutschlands e. V. (VCD) die Frage nach der Belastung der Autofahrer mit den von ihnen verschuldeten Umweltschäden auch zu einem seiner "Wahlprüfsteine". Dabei sprach sich die SPD in ihrer Antwort für eine stärkere Zurechnung der Kosten des MIV über die Kfz- und Mineralölsteuer aus. Die AL wünschte sich gar noch fiskalische Ergänzungen zu dem von ihr wärmstens begrüßten Steuererhöhungsvorschlag des DIfU-Forschers: Zum Beispiel durch eine Entfernungs- statt Kilometerpauschale beim Weg zum Arbeitsplatz, steuerliche Vergünstigungen beim Umbau auf den Drei-Wege-Katalysator und Muß-Vorschriften zum Kat-Einbau bei Neuwagen. Unverbindlicher äußerten sich die FDP-Liberalen. Eine genaue Berechnung der Umweltkosten sei zur Zeit noch nicht möglich, täuschten sie eine Unkenntnis der DIfU-Studie vor. Jedoch seien die Erhöhung der Benzinsteuer und die Einführung einer Autobahnsteuer ebenso wie die Steuererleichterungen für abgasarme Kfz Schritte in die richtige Richtung. Auf stur schaltete trotz der Wahlkampfzeit allein die CDU. Es wurde bezweifelt, daß die "Gesamtheit der Zivilisationsschäden" überhaut exakt differenziert und beziffert werden könnte, um dem Ziel einer gerechten Umlage der Kosten nahezukommen.
Thomas Knauf
Freier Journalist
aus SIGNAL 2/1989 (Februar 1989), Seite 4-5