Nahverkehr

Kleine Nachhilfestunde


IGEB

1. Feb 1989

Man benötigt: eine Buslinie, die alle 7,5 min verkehrt und eine Schnellbahnlinie, die alle 10 min verkehrt. Um sich jetzt über die Wartezeiten beim Umsteigen Gedanken machen zu können, trifft man noch einige Annahmen. Die erste Annahme lautet: Alle Busse kommen pünktlich an. Die zweite Annahme: der Umsteigeweg von der Bushaltestelle zum Bahnsteig ist in Sekundenschnelle, also in weniger als einer halben Minute zu bewältigen. Hat man diese Annahmen getroffen, kann man die Umsteigezeiten untersuchen. Dies kann in folgender Form geschehen: Man schreibt in zwei Spalten rechts die Abfahrzeiten der Schnellbahn, links die Ankunftszeiten der Busse. Nun können die Takte ja verschieden liegen, deshalb ist hier die günstigste Version gewählt:

Schaut man jetzt immer nach der nächsterreichbaren Schnellbahn, so ergeben sich folgende Wartezeiten, die sich alle halbe Stunde wiederholen: 8/1/3/6 Minuten. Im Durchschnitt wartet man also 4,5 min. Das ist doch ein gutes Ergebnis, oder? Alle Diskussionen über unmögliche Anschlüsse durch unterschiedliche Takte könnten an dieser Stelle beendet werden. Sieht man sich jedoch das Ergebnis genauer an, so stellt man Erstaunliches fest. Zwei Busse (um 04 und 34) haben keinerlei Zubringerfunktion zur Schnellbahn. Denn beide Male kann man auch noch den späteren Bus nehmen, um dieselbe Schnellbahn zu erreichen. Verteilen sich die Fahrgäste gleichmäßig auf die pro Stunde fahrenden Busse, so bedeutet dies, daß zwei Schnellbahnzüge immer doppelt so voll sein werden wie die anderen: hier die Züge um 12 und um 42. Nimmt man jetzt auch noch unsere Annahmen kritisch unter die Lupe , so wird man zugestehen müssen, daß die in der Realität selten zutreffen. Eine Minute Umsteigezeit ist dann zu knapp kalkuliert, der Zug ist weg, und man wartet 10 min. Schon liegt unsere durchschnittliche Wartezeit bei 7 min. Die gleichen Überlegungen lassen sich natürlich auch beim Umsteigen von der Schnellbahn zum Bus anstellen.

Welche Erkenntnisse bringt unsere Untersuchung?

Dauerproblem: Anschlüsse zwischen Bus und Bahn.

1. Dient eine Buslinie als Zubringer zu einer Schnellbahnlinie (und welche Buslinie tut das nicht?), so bringt ein Takt von 7,5 min für die Fahrgäste KEINE Verbesserung, wenn die Züge alle 10 min verkehren. Und 2.: Jede vierte Fahrt kann die Zubringeraufgabe zur Schnellbalmlinie nicht erfüllen.

Halt, halt, werden jetzt alle Busbenutzer rufen, wo gibt es in Berlin denn so etwas, daß zuviele Busse fahren? lm allgemeinen hat man eher den umgekehrten Eindruck. Die Antwort und der Hintergrund unseres Rechenexempels ist eine Situation, auf die uns Fahrgäste aufmerksam machten. Es handelt sich um die Buslinie 22, die am S-Bf. Wittenau Nordbahn an der S2 und am U-Bf, Paracelsusbad an der U 8 vorbeifährt. Beide Bahnlinien verkehren meist im 10 min-Takt. Die Busabteilung der IGEB schrieb der BVG, warum denn die Linie 22 nur noch alle 15 min verkehre, denn dadurch wäre der bis zum Sommerfahrplan noch vorhandene Anschluß doch weg. Die BVG antwortete beleidigt, sie würde schließlich zwischen Märkischem Viertel und Paracelsusbad E-Wagen einsetzen, so daß dort alle 7,5 min ein Bus fahre. Auf dem Rest der Strecke wäre ein 15 min-Takt völlig ausreichend. Doch diese kleine Nachhilfestunde zeigt, daß man solche Probleme nicht durch E-Wagen, sondern nur durch ein durchdachtes Grundangebot lösen kann.

IGEB

aus SIGNAL 2/1989 (Februar 1989), Seite 6-7