Nahverkehr
Nach dem im Juni 1988 erfolgreichen Charlottenburger Bürgerbegehren für die Wiederinbetriebnahme der stillgelegten S-Bahn-Strecken hatte die Charlottenburger Bezirksverordnetenversammlung im September das Bezirksamt mit den Stimmen aller (!) Parteien aufgefordert, sich beharrlich und wirksam für das AnIiegen des Bürgerbegehrens einzusetzen. Diesen Beschluß und den ersten Zwischenbericht des Bezirksamtes vom November veröffentlichten wir in SIGNAL 1/89. Inzwischen liegen die Reaktion von Verkehrssenator Wronski (CDU) vom November 1988 und der daraufhin vom Charlottenburger Bürgermeister Ubbelohde (CDU) abgegebene 2. Zwischenbericht vom 14. Dezember 1988 vor. Wir dokumentieren nachstehend beides: die erwartete Ablehnung des Verkehrssenators und die fortgesetzten Bemühungen des Bezirksamtes:
1. Feb 1989
Edmund Wronski, Senator für Verkehr und Betriebe:
zum Beschluß Nr. 839 der BVV vom 16. September 1988 nehme ich wie folgt Stellung:
Im Nahverkehrskonzept des Senats ist als Zielplanung vorgesehen, über das zur Zeit betriebene S-Bahn-Netz hinaus weitere S-Bahn-Strecken (Ringbahn, S-Bahn-Strecken nach Staaken und Lichterfelde Süd) in Betrieb zu nehmen. Im Bezirk Charlottenburg befinden sich Teilstrecken sowohl der Ringbahn als auch der S-Bahn-Strecke nach Staaken (sogenannte Westbahn). Aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen ist es leider nicht möglich, das noch stilliegende S-Bahn-Netz kurzfristig zu reaktivieren. Nach wie vor gilt die u. a. im Bericht über die Inbetriebnahme weiterer S-Bahn-Strecken (veröffentlicht in den Mitteilungen Nr. 162 des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 28. April 1987, Drucksache 10/1478) dargelegte Aussage, daß die Inbetriebnahme weiterer S-Bahn-Strecken nur allmählich und langfristig möglich ist, wenn nur die zur Zeit jährlich im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) nach Berlin fließenden Mittel zur Verfügung stehen.
Da diese Mittel vorerst für das betriebene 71 km-Netz der S-Bahn sowie für die laufenden Maßnahmen im U-Bahn-Bau benötigt werden, ist bereits die Finanzierung einer weiteren S-Bahn-Strecke mit großen Problemen verbunden.
Wie in dem obengenannten Bericht beschrieben, steht die Ringbahn (erst Südring, dann Nordring) in der Dringlichkeit an erster Stelle. Erst danach käme die Wiederinbetriebnahme der S-Bahn-Strecke von Westkreuz nach Spandau in Frage.
Auch die geforderte Teilstrecke Westkreuz - Pichelsberg ist verkehrlich durchaus sinnvoll und wäre z. B. für Sportveranstaltungen sicher sehr nützlich. Allerding sind die hohen Investitionen in S-Bahn-Strecken und -Wagen für eine ständige, gleichmäßig hohe Nachfrage wesentlich besser angelegt als für eine schwächere Regelnachfrage in Verbindung mit gelegentlichem und unregelmäßigem Veranstaltungsverkehr.
Zur Uberprüfung und Ergänzung der bisherigen Untersuchungen zur Schnellbahnplanung ließ der Senat in diesem Jahr für verschiedene Schnellbahnaltemativen des vom Bundesminister für Verkehr (BMV) zum Nachweis ausreichender Wirtschaftlichkeit entwickelte standardisierte Bewertungsverfahren von ÖPNV-Investitionen durchführen. Dieses Bewertungsverfahren kam irn Bundesgebiet bereits zur Anwendung und wird nun vom BMV für alle neuen Berliner Schnellbahnprojekte verlangt. Die Untersuchungen nach dem standardisierten Bewertungsverfahren führten ebenfalls zu dem Ergebnis, daß der Ringbahn die höchste Priorität zukommt.
Vor dem Hintergrund der - auch im Vergleich zu Bundesprojekten - sehr guten Bewertungsergebnisse strebt der Senat deshalb an, sobald wie möglich mit der Reaktivierung des S-Bahn·Südringes zu beginnen. Unter Berücksichtigung der unbedingt erforderlichen und nicht verschiebbaren Maßnahmen im betriebenen S-Bahn-Netz und des laufenden Baus der U-Bahn-Linie 8 wären GVFG-Investitionen in den Südring ab 1991 möglich. Dies könnte nur unter Inkaufnahme stark reduzierter Ausbaumöglichkeiten im betriebenen 71 km-Netz erfolgen.
Die erforderlichen bau- und finanztechnischen Klärungen (incl. der Antragstellung beim Bundesminister für Verkehr) sind gegenwärtig noch nicht abgeschlossen. Überprüft wird zur Zeit auch, ob über die GVFG-Mittel hinaus weitere Mittel dem Schnellbahnbau zur Verfügung gestellt werden können. Wenn neue Erkenntnisse über die Realisierungsmöglichkeiten weiterer Schnellbahnstrecken vorliegen, werde ich dem Bezirksamt Charlottenburg entsprechende Informationen zuleiten.
Bezirksamt Charlottenburg:
Der Senator für Verkehr und Betriebe ist mit Schreiben vom 6. Oktober 1988 gebeten worden, zu dem Beschluß Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme vom 5. November 1988 ist am 29. November eingegangen. Darin wird mitgeteilt, daß "es auf Grund der finanziellen Rahmenbedingungen leider nicht möglich ist, das noch stilliegende S-Bahn-Netz kurzfristig zu reaktivieren. Nach wie vor gilt die u. a. im ‘Bericht über die Inbetriebnahme weiterer S-Bahn·Strecken’ (veröffentlicht in den Mitteilungen Nr. 162 des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 28. April 1987, Drucksache 10/1478) dargelegte Aussage, daß die Inbetriebnahme weiterer S-Bahn-Strecken nur allmählich und langfristig möglich ist, wenn nur die zur Zeit jährlich im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) nach Berlin fließenden Mittel zur Verfügung stehen." Diese Aussage wird in dem Schreiben begründet.
Im übrigen hat das Bezirksamt Charlottenburg in seiner Stellungnahme zur Rat-der-Bürgermeister Vorlage Nr. 651/88 "Stadtentwicklungsplan ‘Verkehr (Netze)"’ vom 18.10.88 gefordert, "da die Planung des Senators für Verkehr und Betriebe insofern geändert wird, daß als erste Strecke die von Westkreuz nach Staaken wiederhergestellt und in Betrieb genommen wird." Der Senat hat bisher darauf nicht reagiert.
Das Bezirksamt wird sich auch weiterhin wirksam und beharrlich für das Bürgerbegehren bzw. den Beschluß der BVV einsetzen und über seine Bemühungen laufend berichten.
IGEB
aus SIGNAL 2/1989 (Februar 1989), Seite 8-9