Aktuell
Nein, ein Fehlstart war es nicht, aber auch kein besonders erfolgreicher. Denn die seit dem 16. März in Berlin regierenden SPD- und AL-Politiker haben sich doch einige Ausrutscher auf dem zugegebenermaßen schwierigen Weg zu einer umweltverträglicheren Verkehrspolitik geleistet. Natürlich ist nach einem Monat noch kein Gesamturteil möglich. Doch wer Berlin zu einer Modellstadt für eine neue Verkehrspolitik machen will, der wird sicher Verständnis dafür haben, daß schon seine ersten Schritte sehr genau beobachtet und stets an dem erfreulich hohen Anspruch gemessen werden.
1. Apr 1989
Den ersten Ausrutscher leistete sich ausgerechnet der neue Regierende Bürgermeister persönlich. Walter Momper protestierte gegen Bonner Kürzungen bei den Subventionen für den Flugverkehr nach Berlin (West). Dieser Protest stand in krassem Gegensatz zur Koalitionsvereinbarung in der es heißt: Der Senat "wird Maßnahmen zum Abbau der Wettbewerbsnachteile der Eisenbahn gegenüber dem Flugverkehr ergreifen."
Irritiert hat so manche Umweltschützer ferner, daß es auch unter einem rot-grünen Senat noch Motorrennen auf der Avus geben wird. Selbst wenn man die vertraglichen Bindungen für 1989 notgedrungen akzeptiert, so hätte wenigstens eine klare Absage an jedes weitere Rennen erfolgen müssen. Doch weder die Umweltsenatorin Michaele Schreyer noch der Sportstaatssekretär Hans-Jürgen Kuhn (beide AL) äußerten sich zu dieser Frage eindeutig.
Mehr Mut bewies da der ansonsten bisher sehr zurückhaltende SPD-Verkehrssenator Horst Wagner, der schon kurzfristig die alltäglichen Autorennen auf der Avus durch eine Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h beenden will. Daß dieses begrüßenswerte und überfällige Vorhaben auf scharfen Protest des ADAC stieß, verwundert sicher keinen.
Die ADAC-Proteste blieben natürlich auch bei der Ankündigung von Busspuren auf dem Kurfürstendamm nicht aus. Ein Lob verdient hier der BVG-Verkehrsdirektor Lorenzen, der sich nicht nur für diese Busspuren, sondern auch für Beschränkungen des Autoverkehrs, vor allem beim innerstädtischen Stellplatzangebot, engagiert. Daß ausgerechnet in dieser Phase der BVG-Personalrat seinem Verkehrsdirektor in den Rücken fiel und die Busspuren auf dem Kurfürstendamm in Frage stellte, ist unbegreiflich und beweist erneut daß der BVG-Personalrat nicht die Interessen der Fahrgäste vertreten kann. Doch nicht nur die Tatsache, daß der Personalratsvorsitzende Mehner für Stellplätze und gegen Busspuren argumentierte, sondern auch die unsachliche Begründung disqualifiziert ihn: “Außerdem könnte jemand seine Frau mal kurz aussteigen lassen, die in einen Pelzwarenladen will." (Herr Mehner zur “Tageszeitung", 8.4.89).
Während man die Politik des BVG-Personalrates natürlich nicht dem neuen Senat vorwerfen kann, wurden die (vergeblichen) Hoffnungen auf eine schnelle Einführung der BVG-Umweltkarte vom Verkehrssenator persönlich geweckt. Er hatte angeregt, diese übertragbare Netzkarte für nur DM 65,- im Monat (im Abonnement DM 50,-) schon ab Juni einzuführen. Doch nun soll die Umweltkarte - zusammen mit Angebotsverbesserungen - erst zum Winterfahrplan kommen. Die IGEB bedauert zwar die Verschiebung, doch sie hat Verständnis dafür, zumal die Koppelung von Tarifsenkungen mit einem besseren Verkehrsangebot eine langjährige Forderung der IGEB ist. Tarifsenkungen ohne attraktive Fahrpläne hätten mit Sicherheit nicht den erhofften Erfolg gebracht.
Ergänzend dazu müssen natürlich vor allem die Stellplätze in der Innenstadt reduziert werden. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Stolz berichteten die Charlottenburger Tiefbauer, daß durch eine Veränderung des Aufstellwinkels auf dem Kurfürstendamm in Nachbarschaft des U-Bf.s Adenauerplatz 44 neue Stellplätze geschaffen werden sollen. Und auch der von SPD und AL vereinbarte "grundsätzliche Verzicht" auf den Radwegebau zulasten der Gehwege wird wohl noch oft unterlaufen werden. Das Tiefbauamt Schöneberg beginnt damit ausgerechnet in Nachbarschaft des Rathauses Schöneberg: "... auf den Gehwegen entstehen zusätzliche Radwege." (Der Tagesspiegel, 4.4.89). Und Tempelhof steht nicht nach: "Zwar werden Radfahrwege von vielen Radlervereinigungen inzwischen als zu eng, zu gefährlich und damit überflüssig verteufelt, dennoch führt das Tempelhofer Bauamt sein auf einige Jahre konzipiertes Programm zur Erweiterung des Radwegenetzes weiter. Zwischen der Britzer Straße/Alt·Mariendorf und dem Dirschel- und Dardanellenweg werden im April die Bürgersteige auf beiden Seiten verkleinert, damit mehr Platz für Radler geschaffen werden kann." (Berliner Morgenpost, 26.3.89).
Daß wichtige Teile der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und AL bereits an der für die Umsetzung verantwortlichen Verwaltung scheitern können, zeigte sich auch bei der S-Bahn-Planung. Am 22. März hatte der verkehrspolitische Sprecher der AL, Michael Cramer, den Verkehrssenator an den Prüfauftrag für die kurzfristige Einrichtung eines S-Bahn-Sonderverkehres auf der stillgelegten Strecke zum Olympiastadion erinnert. Daraufhin schickte ihm die Verwaltung als Begründung dafür, daß dieser Prüfauftrag nur negativ beschieden werden könne, eine interne Untersuchung vom 13. März 1987(!). Demnach so ein kurzfristiger Sonderverkehr (z.B. zum Evangelischen Kirchentag im Juni diesen Jahres) allein schon wegen fehlender Züge nicht möglich sein.
Die Verwaltungsrechnung von 1987 sieht folgendermaßen aus: Die Stromversorgung zwischen Westkreuz und Olympiastadion begrenzt den S-Bahn-Verkehr auf einen 10-Minuten-Takt mit 3/4 Zügen (ein Viertel = zwei Wagen). Das entspricht einer Kapazität von rund 6.000 Fagrgästen pro Stunde und Richtung. Um diese Züge zwischen Olympiastadion und Lehrter Stadtbahnhof verkehren zu lassen, würden sechs Umläufe, also 18 Viertelzüge (Vz), benötigt. Beim Smog-Alarm (Anfang 1987) konnten maximal 12 zusätzliche Vz eingesetzt werden. Also fehlen (18 minus 12) sechs Vz für den S-Bahn-Sonderverkehr.
Wenn die Verwaltung nun mit dieser Rechnung von 1987 heute erneut den Sonderverkehr ablehnt, ist das - vor- sichtig formuliert - unseriös.
Erstens ist die heutige Situation nicht mit 1987 vergleichbar. Am 1.1.87 standen insgesamt 103 einfatzbereite Vz zur Verfügung (vgl..SIGNAL 7/87 ), heute sind es nach Abschluß der Generalüberholung durch die Berliner Industrie und einschließlich der vier neuen Viertelzüge insgesamt 111, also acht mehr, Außerdem wurde der betriebliche Mindestbedarf für die befahrenen Linien S1, S2 und S3 inzwischen durch die Einsparung von zwei Reservezügen um vier Vz vermindert. Es stehen heute also insgesamt zwölf einsatzbereite Vz mehr zur Verfügung als beim Smog-Alarm Anfang 1987.
Zweitens ist es nicht notwendig, bis Lehrter Stadtbahnhof zu fahren. Voraussichtlich ab 20. Mai werden die Züge auch wieder am S-Bf. Zoo kehren können. Dadurch wird mindestens ein Umlauf beim Sonderverkehr eingespart, das entspricht drei Vz. Drittens wäre es auch vorstellbar, mit den sechs für den Sonderverkehr veranschlagten Umläufen von S-Bf. Olympiastadion bis S-Bf. Friedrichstraße (statt S-Bf. Lehrter Stadtbf.) zu fahren und dann die von Wannsee kommenden Züge im S-Bf. Zoo kehren zu lassen. Damit entfiele die unter "zweitens" genannte Einsparung von drei Vz, aber dafür könnten von den acht beim 10-Minuten-Takt auf der S3 erforderlichen Umläufen (mit Halbügen) zwei eingespart werden. Es stünden also vier zusätzliche Vz zur Verfügung.
Zwar hat die Verkehrsverwaltung recht, wenn sie feststellt, daß die Leistungsfähigkeit der S-Bahn bei einem Sofortbetrieb nicht den Erwartungen der Öffentlichkeit entspricht. Doch wer durch einseitige, zweifelhafte Berechnungen eine Diskussion über den Sinn des S-Bahn-Sonderverkehres offensichtlich von vornherein unterbinden will, der wird immer Gegenargumente finden. Aber wenn der Zugang am S-Bf. Olympiastadion bei zu grogem Andrang beschränkt würde (was ja beim U-Bahnhof Olympiastadion auch gelegentlich getan wird), dann könnten 6.000 S-Bahn-Fahrgäste pro Stunde beim Kirchentag oder anderen Großveranstaltungen durchaus U-Bahnen und Busse entlasten. Und schon 1990 könnte nach Auslieferung der neuen Züge und Verbesserung der Stromversorgung die heutige Kapazität von 6.000 Fahrgästen zumindest verdoppelt werden.
Doch für den Sommer 1989 sind die Züge nun abgefahren, Die zur Herrichtung der Strecke erforderliche Zeit reicht nicht mehr. Die Verwaltung hat den neuen Verkehrssenator ein erstes Mal "über den Tisch gezogen". Und sie wird es beim 10-Minuten-Takt auf der S2 nach Lichtenrade wohl ein zweites Mal schaffen, wenn Senator Wagner nicht sehr aufpaßt. Denn der Baufortschritt würde auf jeden Fall eine Takt-Verdichtung zum 1.10.89 erlauben. Doch ein einer Teil der BVG wehrt sich ja bekanntlich standhaft gegen jede Investition in die vorhandene, bewährte Zugsicherungstechnik. Lieber läßt man die Fahrgäste warten.
Doch nicht nur in der Verwaltung auch bei den neuen rot-grünen Politikern ist der Weg zu einer neuen Verkehrspolitik z.T. noch sehr weit. So will Bausenator Wolfgang Nagel die neuen Wohnungen vor allem im Außenbereich bauen statt in der Innenstadt (zB. auf einigen der immer noch zahlreichen großen Autoparkplätze). Stattdessen sollen Grünflächen verbaut werden. Außerdem würde durch Bauen am Stadtrand die Verkehrserzeugung (statt Vermeidung) ungebremst fortgesetzt, denn wer weit draußen wohnt, hat in der Regel längere Wege zurückzulegen.
Und auch die AL ist von der von ihr propagierten "autofreien Stadt" noch meilenweit entfernt, solange ihre Spitzenpolitiker mit den (viel zu großen) Dienstwagen durch die Stadt fahren und dafür dieselben Ausreden benutzen, wie ihre bürgerlichen Vorgänger.
Obwohl der bisherige CDU-Verkehrssenator Wronski 1988 die von ehemals 50 auf 152 Mio. DM gestiegenen Kosten für das M-Bahn-Versuchsprojekt "auf keinen Fall" akzeptieren wollte, stimmte der CDU/F.D.P.-Senat im März 1989 einem weiteren öffentlichen Zuschuß von 13,5 Mio. DM zu, da die Gesamtkosten nun schon auf 160 Mio. DM geschätzt wurden. Der neue SPD/AL-Senat hob diesen Beschluß am 11. April entsprechend der Koalitionsvereinbarung wieder auf. Das dürfte dem Senat umso leichter gefallen sein, als es mit Sicherheit noch weitere Verteuerungen geben wird, ohne daß ein erfolgreicher Abschluß gesichert wäre. Hoffentlich bleibt der Senat auch dann konsequent, wenn jetzt wieder mit Arbeitsplätzen und dem Schreckensbild von Investitionsruinen gedroht wird. Denn wenn die M·Bahn scheitert, dann scheitert sie nicht an fehlender Unterstützung durch den neuen Senat, auch nicht an den Folgen des Brandanschlages von 1987 und denen des Unfalles von 1988, sondern an Systemfehlern. Sie ist z.B. nicht so leise wie erhofft: deswegen mußten zusätzliche Maßnahmen an der Strecke zum Schallschutz erfolgen. Und sie fährt auch kaum energiesparender, wenn man sie nicht mit alten Schienenfahrzeugen, sondern mit den modernsten in Leichtbauweise mit Drehstromantrieb, Energierückgewinnung beim Bremsen, neuer Steuerungstechnik usw. vergleicht. Deshalb ist es nur konsequent, daß der neue SPD/AL-Senat keine weiteren öffentlichen Mittel in dieses “Faß ohne Boden" stecken will.
IGEB
aus SIGNAL 4/1989 (April 1989), Seite 6-8