Aktuell
Natürlich darf, ja muß sich ein Großunternehmen um ein ansprechendes Gesamterscheinungsbild bemühen. Doch offensichtlich hat die BVG die falsche Werbeagentur erwischt. Der neue Farbanstrich steht stets am Ende der Modernisierung eines alten Hauses, die BVG aber will damit anfangen. Dieser Eindruck entstand zumindest in der Öffentlichkeit, und so verkleisterte die öffentliche Farbdiskussion den Blick auf die anderen, viel wichtigeren Neuerungen. Erst nachdem die IGEB in einer Pressekonferenz am 13. Juli dargelegt hatte, was aus Fahrgastsicht zu einer wirklich neuen BVG gehört, schickte die BVG eine Presseinformation heraus, die zeigt, daß es auch ihr um mehr geht, als nur um den Anstrich eines dringend emeuerungsbedürftigen Hauses. Nachfolgend dokumentieren wir beides: die IGEB-Kritik und die Erläuterungen der BVG zu ihrem neuen Maßnahmen- und Marketing-Konzept. Zu recht nicht mehr erwähnt wird dabei die Farbdiskussion. Doch wer ein altes Haus streicht, der hat auch denkmapflegerische Belange zu beachten. Keiner würde das rote Rathaus in Berlin-Mitte oder die Weiße Stadt in Berlin-Reinickendorf gelb streichen, warum also sollen die Großen Gelben weiß werden? Sie werden es wohl auch nicht. Zu groß ist die öffentliche Ablehnung. Das Durchsetzen der weißen Fahrzeuge würde sonst zum Schlüsselerlebnis dafür, daß die neue BVG ihre Fahrgäste genauso behandelt wie die alte.
1. Aug 1989
Der Berliner Fahrgastverband IGEB befürchtet ein Scheitern des Konzeptes für eine "neue BVG", wenn auch weiterhin die Kunden des Unternehmens an den Entscheidungen nicht beteiligt werden. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, daß auch die "neue BVG" an vielen Stellen noch keine fahrgastfreundliche BVG ist:
All diese Kritikpunkte hätten vermieden werden können, wenn die BVG rechtzeitig vor der Präsentation ihres neuen Unternehmenskonzeptes den Kontakt zu den Fahrgästen und ihren Verbänden gesucht hätte.
Darüber hinaus vermißt die IGEB wesentliche Aussagen im neuen BVG-Konzept, z.B, zum Thema Anschlüsse: Eines der wichtigsten Servicemerkmale überhaupt ist der rasche Übergang von einem Verkehrsmittel zum anderen. Am wichtigsten bei der Anschlußplanung sind hierbei zum einen die Schnellbahnen und ihre Verknüpfung mit dem Bus, zum anderen der reibungslose Übergang vom Tagesbetrieb zum Nachtverkehr. Schon einige Beispiele zeigen, daß hier z.T. keine Planung oder Abstimmun stattfindet. U-Bahn, S-Bahn und Bus fahren im wahrsten Sinne des Wortes aneinander vorbei:
Zu einer "neuen BVG" gehört auch, daß die Fahrgäste als Kundin und Partner angesehen werden und nicht länger als "Unternehmensbeförderungsfälle”. Daß die Fahrgäste noch allzu oft "Beförderungsfälle” sind, zeigen zwei Beispiele aus dem U-Bahn-Bereich.
Ein Drittel der U-Bahn-Ausgänge werden bereits vor Betriebsschluß geschlossen und auch erst einige Stunden nach Betriebsbeginn wieder geöffnet. Viele Fahrgäste werden dadurch zu langen Umwegen gezwungen. Besonders krasse Beispiele dafür sind die bereits um 23.30 Uhr geschlossenen U-Bahn-Eingänge des U-Bfs. Zoo vor dem Zoo-Palast, der nördlichen Ausgänge des U-Bfs. Walther-Schreiber-Platz (ebenfalls direkt vor einem Kino) und der südliche Ausgang des U-Bfs. Kurfürstendamm (U9); letzterer liegt gegenüber dem Ausgang einer beliebten Berliner Bierkneipe. Wie weit sich die BVG von der Berücksichtigung der Fahrgastinteressen entfernt gilt, zeigte ihre Reaktion auf die IGEB-Kritik, in der die vorzeitige Schließung der U-Bahn-Eingänge als im Interesse der Fahrgäste liegend begründet wird (s. Medienecho, S.18). Natürlich sind die Fahrgäste an sicheren Bahnhöfen interessiert, aber nicht durch Erschwerung des Zugangs.Ein zweites Beispiel: Im Gegensatz zu zahlreichen westdeutschen und ausländischen Verkehrsbetrieben rechnet die BVG immer noch mit dem bundesdeutschen Spitzenwert von acht Fahrgästen, die auf einem einzigen Quadratmeter U-Bahn-Wagen stehen sollen. So ist bei der BVG ein U-Bahn-Wagen, bei dem alle Sitzplätze belegt sind und ca. 100 weitere Fahrgäste stehen, erst zu 70% ausgelastet. Diese abschreckende "Kartoffelsackideologie" bei der Bewertung des Platzangebotes im U-Bahn-Bereich muß endlich durch eine Sitzplatzgarantie für die Zeiten außerhalb des Berufsverkehrs ersetzt werden.
Ähnliches Unheil und eine schon jetzt feststellbare Abschreckungswirkung übt der Einsatz von Eindecker- statt doppeldeckerbussen aus. Eindecker können zwar theoretisch mehr Fahrgäste befördem, Doppeldecker bieten aber fast allen Fahrgästen einen Sitzplatz Auf der Omnibuslinie 90, die tagsüber mit Eindeckern, nachts erstaunlicherweise zeitweilig aber mit Doppeldeckern gefahren wird, müssen trotz 10 min-Taktes häufig Fahrgäste stehen bleiben, weil der Fahrer denkt, sein Eindecker ist voll.
All diese Kritikpunkte sind der BVG bereits seit langem bekannt. Sie hat bisher darauf entweder überhaupt nicht oder erst nach sehr langer Bearbeitungszeit unbefriedigend reagiert. Ein kundenorientiertes Unternehmen muß aber die Anregungen und Bedenken seiner Fahrgäste ernst nehmen und sie beteiligen. Daran wird man erkennen, ob die "neue BVG" wirklich neu ist oder nur Farbe und Briefkopf gewechselt haben.
IGEB
aus SIGNAL 7/1989 (August 1989), Seite 4-5