Nahverkehr

Ein neuer Fahrplan für die U-Bahn

Zu den erklärten politischen Zielen des Berliner Senates gehört es, dem BVG-Verkehr Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr einzuräumen und das Umsteigen auf die BVG durch ein attraktives Angebot leichter zu machen. Deshalb ist ein Ziel der SPD/AL-Koalitionsvereinbarung der 5-Minuten-Takt auf allen U-Bahn-Linien. Mit diesem Schlagwort warb die BVG auch noch bei der Einführung der Umweltkarte. Doch der 1. Oktober und auch der 1. Januar sind verstrichen, ohne daß sich etwas an der völlig überholten Fahrplanstruktur der Berliner U-Bahn änderte. Dies, und die aktuellen Ereignisse in und um Berlin, nahm der Berliner Fahrgastverband IGEB zum Anlaß, ein Konzept für einen attraktiveren U-Bahn-Verkehr aufzustellen.


IGEB

1. Mär 1990

Das heutige Angebot

Die beiden wesentlichen Kenngrößen, die das Angebot beschreiben, sind die Betriebsdauer und der jeweils angebotene Takt. Aus diesen beiden Parametern ergibt sich dann z.B. die Qualität der Anschlüsse. Der Betriebsbeginn ist nicht einheitlich geregelt: Auf den U-Bahn-Linien 7 und 9 fährt der erste Zug vor 4 Uhr morgens, auf den Linien U6 und U8 fährt der erste durchgehende Zug erst nach 4.30 Uhr und die U3 beginnt ihren Betrieb erst nach 5 Uhr. Ein ebenso uneinheitliches Bild ergibt sich, wenn man die verschiedenen Takte betrachtet, die im U-Bahn-Netz angeboten werden: Es sind immerhin zwölf verschiedene Fahrabstände! Darüber hinaus ist festzustellen, daß vor 5 Uhr morgens und nach Mitternacht auf allen Linen ohne Takt gefahren wird. Daraus resultieren z.T. erhebliche Wartezeiten auf den nächsten Zug, wie die folgende Aufstellung zeigt:

39 min auf der U7 Ri. Rudow (zwischen vorletztem und letztem Zug)
36 min auf der U2 Ri. Wíttenbergplatz (zwischen erstem und zweitem Zug)
33 min auf der U7 Ri. Spandau (zwischen vorletztem und letztem Zu )
32 min auf der U6 Ri. Alt-Mariendorf (zwischen vorletztem und letztem Zug)
32 min auf der U9 Ri. Osloer Straße (zwischen erstem und zweitem Zug).

Die sich daraus ergebenden Anschlußprobleme lassen sıch leicht vorstellen. Ein Beispiel mag genügen, um die Unattraktivıtät eines solchen Angebotes deutlich zu machen. Betrachten wir die erste mögliche BVG-Verbindung vom U-Bf. Paracelsus-Bad zum U-Bf. Reinickendorfer Straße: Paracelsus-Bad ab 4.00, Osloer Straße an 4.04, Osloer Straße ab 4.16, Leopoldplatz an 4.19, Leopoldplatz ab 4.38, Reinickendorfer Straße an 4.40. Die Summe der Fahrzeiten beträgt also 9 min, die der Wartezeiten 31 min!

Unattraktiv für die Fahrgäste ist auch das sonnabends und sonntags anzutreffende gleichzeitige Angebot von 7,5-und 5- zw. 10-Mınuten-Takten auf den einzelnen U-Bahn-Linien. Eine Anschlußsicherheit ist da nicht mehr gewährleistet, so daß die Dauer der U-Bahn-Fahrt unkalkulierbar wird.

Konzept der IGEB

Betriebsbeginn und Betriebsschluß werden für alle U-Bahn-Linien einheitlich festgelegt. Dabei müssen folgende, für die Fahrgäste attraktive und einprägsame Regeln gelten:

Es gibt also zukünftig nur noch drei Takte, die jeweils aufeinander aufbauen: 10, 5 und 2,5 Minuten. Nur durch diesen Aufbau wird eine den Bedürfnissen der Fahrgäste entsprechende Anschlußplanung überhaupt erst möglich. Im einzelnen ergeben sich gegenüber der heutigen Situation für die Benutzer der einzelnen U-Bahn-Linien folgende Verbesserungen:

Neben dieser Neuordnung des U-Bahn- Fahrplans sind weitere Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des Schnellbahnnetzes aus S- und U-Bahn dringend erforderlich. So muß auf die Schnellbahnhöfe im Straßenbild besser hingewiesen werden. Bushaltestellen müssen direkt vor die Ausgänge der Schnellbahnhöfe gelegt werden. Parkende Autos oder wartende Taxis haben dort nichts zu suchen. Schließlich muß die Qualität des Gleisbaus deutlich verbessert werden. Sowohl im Groß- als auch im Kleinprofilnetz sind manche Strecken - auch unlängst erneuerte oder neu gebaute - in einem im wahrsten Sinn des Wortes erschütternden Zustand.

Mit dem Konzept der Taktverdichtung einhergehen muß eine Sitzplatzgarantie. Im Berufsverkehr ist es vorläufig zu tolerieren, daß nicht alle Fahrgäste einen Sitzplatz oder einen bequemen Stehplatz (mit Wand im Rücken) erhalten können. Wer aber am Sonnabend zum Einkaufen oder arn Sonntag ins Grüne fährt, muß einen Sitzplatz bekommen. Die Bemessung der Zuglängen darf sich nicht nach dem Durchschnitt der Belastung oder gar nach irgendwelchen Auslastungszıffern, mit denen die BVG operiert, richten, sondern nach dem am stärksten belasteten Abschnitt. Die zahlreich eingehenden Fahrgastbeschwerden über zu volle Züge dürfen von der BVG nicht länger ignoriert werden.

Die Fahrgastinformation muß in allen Bereichen weiter verbessert werden. So hängen in den Zügen nur unübersichtliche Gesamtdarstellungen des Schnellbahnnetzes mit Bahnhofsnamen in viel zu kleiner Schrift. Einzeldarslellungen der befahrenen Linie, wie in Westdeutschland und im Ausland üblich, sind bei der BVG nicht zu finden.

Auch bei den Sonderfahrplänen aufgrund von Bauarbeiten muß die Fahrgastinformation ernster genommen werden, als dies derzeit der Fall ist. Erkennbare positive Ansätze (so hängen i.d.R. auf allen Schnellbahnhöfen Ankündigungen über Baumaßnahmen im S-Bahn-Bereich aus) werden oft durch krasse Fehler überschattet. So wurde z.B. am 10. Oktober 89 für die U1 eine drastische Betriebseinschränkung zwischen Gleisdreieck und Möckernbrücke verfügt, die die Fahrzeit zwischen diesen beiden Bahnhöfen immerhin verdoppelt. Dies wurde erst 10 Tage nach Fahrplanwechsel der Öffentlichkeit mitgeteilt. Alle Fahrpläne der U1 waren damit Makulatur geworden. Dieses Musterbeispiel für mangelnde Koordination innerhalb der BVG muß der Fahrgast ertragen.

Es gibt also noch viel zu tun, bis die U-Bahn wieder zu einem wirklich attraktiven Verkehrsmittel wird. Doch während beim Bus nach der völligen Neuordnung des Nachtbusnetzes nun mit Hochdruck an einem attraktiveren Tagesbusnetz gearbeitet wird, scheint sich bei der U-Bahn wenig zu tun. Die BVG sollte die Koalitionsvereinbarung endlich als Chance begreifen, sich vor nun von einem Jahrzehnte alten U-Bahn-Fahrplan zu verabschieden, der in jeder Hinsicht nicht mehr zeitgemäß ist.

IGEB

aus SIGNAL 2/1990 (März 1990), Seite 9-10