Bauten und Planungen
1. Mär 1990
Die zunehmende politische und wirtschaftliche Integratıon in Europa erfordert den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, darunter insbesondere auch die Gestaltung eines leistungsfähigen Eisenbahnnetzes. Als Entlastung bzw. Alternative für den innereuropäischen Flugverkehr gewinnt die Schaffung eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes besondere Bedeutung. Berlin wird in diesem Netz einen der zentralen Knotenpunkte bilden.
Die ursprünglich nur auf die Anbindung von Berlin (West) an das westeuropäische Netz angelegte Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover - Berlin wird unter den neuen Bedingungen zu einem Kernstück der künftigen europäischen West-Ost-Verbindung Paris - Berlin - Warschau (- Moskau). Daher ist bei der Planung er Strecke Hannover - Berlin die Trassenfühning im Stadtgebiet unter Beachtung der Weiterführung in Richtung Warschau festzulegen und darüber hinaus die Einbindung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Richtung Süden (Dresden - Prag sowie Leipzig - München und Frankurt/Main) zu berücksichtigen. Die Anlagen, insbesondere die Bahnhöfe für den Hochgesvhwindigkeitsverkehr sind so zu konzipieren, daß sie zusammen mit den vorhandenen und weiter zu nutzenden Strecken und Bahnhöfen des Eisenbahnverkehrs ein einheitliches Netz bilden.
Von diesen Überlegungen ausgehend hat das Büro für Verkehrsplanung Berlin (BfV) einen Vorschlag zur künftigen Gestaltung des Eisenbahnnetzes für den Fernreiseverkehr in Berlin ausgearbeitet. Von den im Arbeitsprozeß untersuchten und diskutierten Varianten wurde ein tangentiales Vorbeiführen der Hochgeschwindigkeitsstrecken an Berlin verworfen sowie der Plan einer neuen, unterirdisch geführten Stadtbahn in direkter Linie zwischen Berlin-Charlottenburg und Berlin-Hauptbahnhof als unrealistisch eingeschätzt. Der im folgenden beschriebene Lösungsvorschlag stellt nach Auffassung des BfV die Vorzugsvariante dar.
Da eine solche Planung mit erheblichen Konsequenzen für die Flächennutzung und Stadtgestaltung im zentralen Bereich verbunden ist, wird eine Meinungsbildung zwischen den daran zu beteiligenden Verwaltungen, Planungseinrichtungen und Betrieben umgehend und dringend für erforderlich gehalten. Weiterhin ist festzustellen, daß sich in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit der integrierten Planung des ÖPNV-Netzes, insbesondere der Schnellbahnstrecken sowie des Straßennetzes im zentralen Bereich der Stadt ergibt.
Durch den Bau der Hochgeschwindigkeitstrasse Hannover - Berlin soll Berlin an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz (Geschwindigkeiten über 200 km/h) angebunden werden. Die Trasse wird in Richtung Osten nach Warschau, ggf. auch nach Moskau, weiterführen. Aber auch nach Süden, in Richtung Dresden - Prag - Budapest sowie in das Indudstrieballungszentrum Leipzig/Halle und weiter nach Frankfurt/Main bzw. München werden in der Zukunft von Berlin aus leistungsfähige Hochgeschwindigkeitsverbindungen gebraucht. Dagegen bildet die Ostsee ein natürliches Hindernis für superschnelle Zugverbindungen in Richtung Norden. Aus nordwestlicher Richtung von Hamburg, kann eine weitere Hochgeschwindigkeitstrasse nach Berlin geführt werden.
Darüber hinaus bleibt die Funktion Berlins für den Fernreiseverkehr in den heute vorhandenen Relationen nach Cottbus, Dresden, Leipzig, Halle, Dessau, Magdeburg, Schwerin, Rostock und Stralsund voll erhalten. Durch Ausbaumaßnahmen müssen diese Eisenbahnstrecken qualitativ aufgewertet werden, so daß Geschwindigkeiten bis 200 km/h möglich sind. Nur dann ist die Eisenbahn auch zukünftig eine Alternative zum Pkw über mittlere Entfernungen.
Schließlich ist bereits jetzt erkennbar, daß Berlin bei voller Durchlässigkeit der Grenzen Mittelpunkt eines Regionalschnellverkehrs zwischen Frankfurt/Oder und Brandenburg wird.
Der Fernreiseverkehr erfordert in Berlin Trassen
Die Parameter der in der Stadt vorhandenen Eisenbahnanlagen genügen den Anforderungen an Hochgeschwıindigkeitstrassen nicht. Ein entsprechender Aus- bzw. Umbau wird insbesondere im Falle der Stadtbahn als nicht realisierbar eingeschâtzt. Andererseits bietet sich das im citynahen Bereich vorhandene Eisenbahngelände, das zur Zeit überwiegend nicht verkehrlich genutzt wird, für eine optimale Trassenführung und Anlagengestaltung im inneren Stadtgebiet an. Deshalb wird bei der Planung der Hochgeschwindigkeitsstrecken vorzugsweise von der weitgehenden Nutzung vorhandener Trassenelemente und nur teilweise von einer Neutrassierung ausgegangen.
Die zweigleisige Hochgeschwindigkeitsstrecke aus dem Raum Hannover wird über Stendal nach Berlin führen. In Berlin verläuft sie auf gemeinsamer Trasse mit der heute vorhandenen zweigleisigen Fernbahn bis Ruhleben. Die Fernbahn schwenkt dort nach Süden zur Stadtbahn ab, während die Hochgeschwindigkeitsstrecke parallel zum S-Bahn-Nordring bis in den Bereich des Güterbahrıhofs Moabit geführt wird und in Höhe Lehrter Straße nach Süden in einen neuen Zentralbahnhof einmündet.
Der sich in Nord-Süd-Richtung erstreckende Zentralbahnhof muß sich warscheinlich in einfacher Tieflage befinden, damit die in Richtung Süden weiter verlaufende Hochgeschwindigkeitstrasse die Spree mit zulässigem Gefälle unterqueren kann.
Die Trasse - ab Zentralbahnhof viergleisig (zwei Gleise für Hochgeschwindigkeitszüge, zwei Gleise für Fernreisezüge) - verläuft unter dem Tiergarten, dem Potsdamer Platz und dem Landwehrkanal. Aus ökonomischer Sicht sollte sie so früh wie möglich an die Oberfläche zurückführen, etwa im Bereich des ehemaligen Anhalter Güterbahnhofs. In der Zukunft könnten jedoch Umweltaspekte für eine längere Tunnelstrecke sprechen.
Die Trasse wird im Zuge des vorhandenen Eisenbahngeländes zunächst parallel zur S-Bahn-Linie 2 und ab dem S-Bahnhof Priesterweg parallel zur ehemaligen S-Bahn-Strecke nach Lichterfelde Süd und weiter nach Teltow fortgesetzt. lm Trassenabsclmitt zwischen Anhalter Güterbahnhof und S-Bahnhof Priesterweg ist zu beachten, daß für die auf gemeinsamer Trasse verlaufende Fernbahn Überwerfungsbauwerke für die richungsweise Vorsortierung vorgesehen werden müssen, für deren Längenentwicklung der Platz zwischen Spree und Zentralbahnhof nicht ausreicht.
Die Hochgeschwindigkeitsstrecke spaltet sich im Raum Teltow in einen östlichen und in einen südlichen Zweig auf. Die östliche Strecke wird über einen neuen Bahnhof Großflughafen, der sich voraussichtlich im Raum Diepensee entwickeln soll, nach Frankfurt/Oder weitergeführt.
Der Fernreiseverkehr von und nach Berlin wird auch in der Zukunft in den vorhandenen Relationen abgewickelt. Die Fernverkehrsstrecken müssen punktuell ausgebaut und teilweise neu in den Knotenpunkt eingebunden werden.
Sie führen:
Der Berliner Außenrirıg hat für den Fernreiseverkehr nur noch im Havariefall Bedeutung.
Ein zukünftiger Regionalschnellverkehr aus Frankfurt/Oder verkehrt über Erkner und die Stadtbahn nach Brandenburg.
Der untere Teil des neuen Zentralbahnhofes wird im Bereich des ehemaligen Lehrter Bahnhofs anagelegt für Hochgeschwindigkeitszüge aller Relationen und für Fernreisezüge aus Richtun Norden und Süden. Sein oberer Teil entsteht an der Stadtbahn für die über diese Strecke verkehrenden Fernreisezüge. Das Bahnhofsgebäude soll in Geländehöhe die Verbindung zwischen beiden Bahnsteigebenen herstellen.
Die unmittelbare Lage des Zentralbahnhofs in der City von Berlin führt zu einer Minimierung des Zubringerverkehrs in der Innenstadt. Aufgrund der optimalen Verknüpfungsmöglichkeiten der sich berührenden Personenverkehrssysteme entsteht auch kein zusätzlicher Umsteigeverkehr, so daß insgesamt nur minımale Anforderungen an das ohnehin stark belastete Straßennetz im Berliner Stadtzentrum im Zusammenhang mit der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse und dem Zentralbahnhof entstehen.
Gleichzeitig ist gesichert, daß keine unnötigen An- und Abfahr- sowie Umsteigezeiten die Gesamtreisebilanz des Schienenverkehrs verschlechtern und besonders die Chancen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs als Alternative zum Flugverkehr in europäischen Relationen zunehmen.
Als Behandlungs - und Abstellflächen für den Zentralbahnhof könnten Kapazitäten im Bereıch des Güterbahnhofs Moabit parallel zum S-Bahn-Nordring und auf dern sogenannten Südgelände genutzt werden.
Aufgrund der historisch entstandenen und der derzeit in Ausbau befindlichen Bahnhofskapazitäten sollten zur Entlastung des neuen Zentralbahnhofs die aus Richtung Westen ankommenden Züge bis zum Hauptbahnhof und die aus Richtung Osten ankommenden Züge bis zum Bahnhof Zoologischer Garten oder zum Bahnhof Charlottenburg weitergeführt werden, wenn sie in Berlin enden. Zum Behandeln und Abstellen eignen sich für diese Züge die Bahnbetriebsgelände Rummelsburg und Grunewald.
In Höhe des südlichen Berliner Außenringes an der Fernverkehrsstrecke Halle/Leipzig kann ein neuer Fernbahnhof zum Erschließen des großen südlichen Raumes von Berlin sowie zum Übergang nach Potsdam und zu einem voraussichtlichen Großflughafen den neuen Zentralbahnhof in der Innenstadt weiter entlasten.
Für den Regionalschnellverkehr kommen neben den bisherigen Fernbahnhöfen zum Beispiel Ostkreuz, Alexanderplatz und Charlottenburg in Frage. Die Bahnhöfe Lichtenberg, Schöneweide und Schönefeld verlieren an Bedeutung (Sonderverkehre).
Die Konzeption für den im Zusammenhang mit dem extensiven Wohnungsbau geplanten Fernbahnhof Malchow wird von der aktuellen Entwicklung in Frage gestellt. Sollten jedoch im Bereich Malchow/Karow Sportstätten für die Olympischen Spiele angelegt werden, ist der Bau eines Personenbahnhofs Malchow erneut zu prüfen.
Der in ersten groben Umrissen vorgestellte Vorschlag für ein Personenfernverkehrssystem in Berlin läßt sich wie folgt charakterisieren:
Zur Zeil wird in Zusammenhang mit einer veränderten Nutzung grenznaher Gebiete auch die Flächenfreihaltung für Anlagen des Verkehrswesens diskutiert. Der eschriebene Vorschlag zur Gestaltung des Fernreiseverkehrs ist in diesem Sinne als ein Beitrag zu werten, der erste Rückschlüsse auf den Flächenbedarf für eine Lösung zuläßt, die eine interessante Variante für eine integrierte Verkehrsplanung der Stadt Berlin darstellt.
Büro für Verkehrsplanung beim Magistrat von Berlin
aus SIGNAL 2/1990 (März 1990), Seite 16-19