Nahverkehr
Mit dem Vergleich zweier Omnibuslinien aus beiden Teilen Berlins wollen wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Personenbeförderung zeigen und auf ähnliche Probleme aufmerksam machen.
1. Jun 1990
Die Linie ist neun Kilometer lang und hat je nach Fahrtrichtung 20 bzw. 21 Haltestellen. Die Fahrzeit beträgt im Tages- und Berufsverkehr 34, abends und am Wochenende 31 Minuten. Im Frühberufsverkehr beträgt der Fahrabstand von 57 und 57E zweieinhalb Minuten, dabei sind 30 lkarusse eingesetzt. Tagsüber fahren 18 Wagen im Fünf-Minuten-Abstand. Nachmittags beträgt der Fahrabstand drei Minuten bei einem Wageneinsatz von 28 KOM. Der 57er ist eine Linie, die gleichzeitig den Berufs-, Studenten- und Touristenverkehr bewältigt. Sie ist im Prinzip zu jeder Tageszeit voll belegt.
Seit der Grenzöffnung im November 1989 treten erhebliche Verspätungen auf. Probleme gibt es vor allem im Bereich Unter den Linden, Friedrichstraße, Chaussee-/lnvalidenstraße. Hier behindern der gestiegene lndividualverkehr, mehrere Baustellen (häufiger Wechsel von Zweispurigen auf einspurige Abschnitte) sowie undiszipliniert parkende Fahrzeuge ein zügiges Durchkommen der Busse. Regelmäßig muß der 57er über die Habersaathstraße umgeleitet bzw. ganz zur Endstelle des 9ers Unter den Linden zurückgezogen werden. Damit werden bestimmte Streckenabschnitte zeitweise nicht bedient. Das Kombinat ist ebenfalls seit November um verkehrsorganisatorische Regelungen bemüht. Es gab zahlreiche Ortstermine, um z.B. die Möglichkeit von Busspuren zu prüfen. Zu konkreten Festlegungen kam es jedoch nicht - teils, weil objektiv die Möglichkeiten nicht gegeben sind, teils, weıl sich die zuständigen Organe vor einer konsequenten Entscheidung zugunsten des öffentl. Nahverkehrs derzeit scheuen.
Kurios an der Kreuzung Chaussee-/Invalidenstraße: Ein Verkehrsschild verbietet für den lndividualverkehr das Linksabbiegen in die lnvalidenstraße, aber das Ampelprogramm signalisiert nach wie vor die Grünphase für Linksabbieger. Klar, daß sich die meisten Pkw-Fahrer nicht an das Verbot, sondern an die Ampel halten. Das Nachsehen hat der Bus 57.
Die Linie ist elf Kilometer lang und hat 30 Haltestellen. Die Fahrzeit beträgt 39 bis 40 Minuten. Gefahren wird ein durchgängiger 10-Minuten-Takt in der Betriebszeit von 4 bis 1 Uhr, dabei kommen 12 Doppelstockbusse zum Einsatz. Zusätzlich verkehren in der Zeit von 6 bis 19 Uhr zehn Einsatzwagen, ebenfalls im 10-Minuten-Takt, so daß in dieser Zeit der Fahrabstand insgesamt fünf Minuten beträgt.
Die Linie 19 - zusammen mit den Omnibuslinien 29 und 69 Bestandteil des Ku'damm-Konzeptes - ist eine ausgesprochene Touristenlinie mit einem entsprechend hohen Fahrgastaufkommen. Im Berufsverkehr spielt sie eine untergeordnete Rolle. Als “Vorzeigelinie” werden auf der "19" die jeweils neuesten Fahrzeugtypen eingesetzt.
Fünf bis zehn Minuten Verspätung zum Fahrplan sind die Regel. Behinderungen entstehen vor allem durch den erheblichen Individualverkehr, besonders im Bereich zwischen Rathenauplatz, Kurfürstendamm und Wittenbergplatz sowie durch haltende und parkende Fahrzeuge in der 2. Spur. Der Be- und Entladeverkehr vor den Geschäften behindert zusätzlich.
Verspätungen entstehen auch durch lange Aufenthaltszeiten an den Haltestellen, bedingt durch das Kassieren. Ab April sollen zeitlich begrenzte Busspuren (6 bis 19 Uhr) im Bereich Ku`damm und Yorckstraße eine gewisse Erleichterung bringen.
Die Linien 57 und 19 haben ähnliche Streckenführungen durch die jeweiligen Stadtzentren und unterscheiden sich auch in Fahrplangestaltung und Betriebsdurchführung nicht wesentlich. Vor allem aus verkehrsorganisatorischer Sicht haben die Omnibusfahrer mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Ansätze zur Lösung gibt es in beiden Teilen der Stadt (57: z.B. Regelungen im Bereich Artur-Becker-Straße und Am Friedrichshain), sie reichen aber noch nicht aus. Wünschenswert wäre mehr Konsequenz bei der einmal getroffenen Entscheidung zur Bevorrechtigung des öffentlichen Personennahverkehrs in ganz Berlin. [au: BVB-Signal 6/90, 1. April-Ausgabe 1990]
Diesem Fazit schließt sich die IGEB natürlich an. Nachgetragen werden muß aber noch, daß beim 19er die bisherigen Verspätungen von fünf bis zehn Minuten (und mehr) seit dem 28. April, dem Tag der Inbetriebnahme der Busspuren auf Kurfürstendamm und Tauentzienstraße, erfreulicherweise nicht mehr die Regel sind. Und widersprechen möchten wir der Einschätzung, daß es sich beim 19er um eine “ausgesprochene Touristenlinie" handelt. Auch wenn der Touristenanteil hier sicher weit über dem Durchschnitt liegt, so sollte man die Bedeutung der Linie für den Berliner Berufs- und Einkaufsverkehr nicht unterschätzen.
BVB-Signal
aus SIGNAL 4/1990 (Juni 1990), Seite 9-10