Landschaftsplanung und ingenieurbiologische Aufgaben
In der Öffentlichkeit setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß die Eingriffe in den Naturhaushalt und in das Landschaftsbild bei der Realisierung schienengebundener Verkehrsmittel wesentlich geringer sind als bei Straßenneuplanungen und schiffahrtsgerechtem Flußausbau. Trotzdem lassen sich auch hier - unabhängig von der Geländemorphologie - z.T. erhebliche Eingriffe nicht vermeiden. Die Deutsche Bundesbahn ist deshalb bestrebt, die entstehenden Schäden wieder auszugleichen und das Landschaftsbild wiederherzustellen oder neu zu gestalten.
1. Nov 1990
Die Grundlage dieses Bemühens ist die Naturschutzgesetzgebung. Diese fordert u.a. daß die geplante Maßnahme auf ihre Umweltverträglichkeit zu prüfen ist. Die entstehenden Einngriffe und deren Auswirkungen auf den Naturhaushalt sind zu untersuchen. Durch die begleitende Landschaftsplanung ist der Nachweis zu erbringen, daß die Eingriffe auszugleichen sind. Dies hört sich plausibel an, ist aber äußerst schwierig nachzuweisen, wenn man sich nicht nur auf eine quantitative Bewertung - also auf flächenhaften Ausgleich mit vermutlich ähnlichen ökologischen Wertigkeiten - beschränkt. Mit dem Nachweis des qualitativen Ausgleichs werden wir, sofern wir dies selbstkritisch sehen, meist recht hilflos. Wir wissen zu wenig über das Ineinanderwirken naturhaushaltlichen Geschehens und darüber, wie dies zu gewichten wäre. Ich versuche, dieses Problem mit einer zwar äußerst albernen, aber doch einleuchtenden Formel darzulegen, die etwa so lauten könnte: 1 Feuersalamander = 2 Blaukehlchen!
Dem Bestreben, eine Schnellbahn-Neubautrasse in der Landschaft verschwinden zu lassen, stehen die Trassenkriterien im Wege. Die stärksten Steigungen oder Neigungen dürfen in der Regel nicht über 1,2 %, die kleinsten Radien nicht unter 5,5 km liegen! Sowohl in der Weinberglandschaft um Würzburg als auch in der von starker Reliefenergie geprägten Rhön läßt sich die Trasse nur mit Tunneln und Brücken verwirklichen. Tunnel sind für die Reisenden nicht attraktiv, lange Talbrücken stören das Landschaftsbild, von der Lärmemission ganz abgesehen. Durch die notwendigen Tunnel und Einschnitte fallen enomre Ausbruchsmassen an, die harmonisch in der Landschaft unterzubringen sind. Wir haben mit diesen Erdmassen nicht, wie früher beabsichtigt, Main-Seitentäler verfüllt, sondern die vorhandene Geländeausbildung überformt und notwendige Dammführungen zu raumbildenden Talabschlüssen verformt. Die Geländeanschlüsse am Bahnkörper liegen hier, soweit möglich, ca. 2 m über Gleishöhe. Dies ermöglicht den Reisenden noch den Blick in die Landschaft, schirmt aber die an der Strecke liegenden Siedlungen gegen den Fahrlärm ab.
Als Problem stellten sich für unsere Arbeit häufig die bestehenden Richtlinien der Bundesbahn heraus. Richtlinien sind sicher notwentig, da ein nicht geringer Prozentsatz der Menschen ohne Anweisung nicht selbständig handlungsfähig ist. Richtlinien zum Dogma erhoben, können sich aber gerade auf dem Sektor des Planens strangulierend auswirken. Unsere Zeit ist schnellebig und fordert ein hohes Maß an Wandlungsfähigkeit und Flexibilität. Richtlinien aber sind langlebig schwer veränderbar und einengend. Wir haben bei unserer Arbeit dauernd gegen bestehende Richtlinien verstoßen und - Gott sei Dank - beamtete Partner gefunden, die unser Handeln mitgetragen haben.
Der Umgang mit natürlichen Materialien wie Fels, Boden, Wasser und Pflanzen hat seine eigene Gesetzmäßigkeit, und einer unserer wesentlichsten Beiträge war sicher, im Umgang mit diesen Stoffen eine Veränderung bisherigen Denkens einzuleiten. Das beginnt schon mit dem Prozeß des Planens. Unsere Pläne waren in manchen Bereichen nicht realisierbar, weil mit Beginn der Erd- und Felsarbeiten deutlich wurde, daß die Annahmen über den Zustand, die Lagerung und die Klüftigkeit des angeschnittenen Felsmaterials nicht zutrafen oder die Konsistenz anstehender Böden ein Umdenken erforderte.
Beurteilt man die herkömmliche Arbeitsweise selbst renommierter Erdbaufirmen aus der Sicht der Landschaftsökologie und der Landschaftsplanung, so lassen sich in der Regel Mängel feststellen, die unbefriedigende Ergebnisse zur Folge haben. So arbeitet man heute, trotz des missionarischen Wirkens von Prof. Alwin Seifert, im klassischen Erdbau meist nach geometrischen Formen. Das bedeutet: Alle Böschungen haben einen gleichbleibenden Böschungswinkel, sie sind in der Oberfläche durch abwärts gezogene Planierschilder schwerster Raupen glatt und “standfest” gemacht. Alle Böschungen haben eine scharfe Böschungsoberkante und einen scharf ausgeformten Böschungsfuß. Der einzige verständliche Grund für einen solchen unnatürlichen Umgang mit geneigten Flächen ist die Tatsache, daß geometrische Formen leichter zu ermitteln und abzurechnen sind. Die in dieser Form malträtierten Flächen sind aber widernatürlich und damit besiedlungsfeindlich. Alle Widernatürliche ist schon kurzfristig vergänglich. Die geometrischen Formen werden durch Spaltenfrost, Erhitzung unter Sonneneinstrahlung sowie Abkühlung bei Nacht mürbe und durch Wind und Oberflächenwasser wieder in "natürliche" Formen verändert. Schachtmeister und Maschinisten wurden 30 Jahre lang für etwas gelobt, was vom Grundsatz her falsch ist.
Unser Bestreben war daher,
Es muß Luft in den toten Boden kommen, und er muß Wasser in sich aufsaugen und speichem können. Die Mächtigkeit des Mutterbodenauftrages ist abhängig von dessen Verfügbarkeit, vom Ziel der Wiederbesiedlung und von der angestrebten Böschungsneigung.
Die mögliche Neigung der Felsböschungen ist abhängig von deren Standfestigkeit, von der Klüflung der Gesteinsschichten und von der Verwitterungsbeständigkeit. Die Voraussetzung bei der Herstellung von Felsböschungen ist der gefühlvolle Umgang mit dem Fels. Es gib Baggerfahrer, die behandeln mit ihren Maschinen gelockerte Schichten und Felsblöcke mit spürbarem Sachverstand. Diese Fuchleute sind aber sclten, wie eben alles Qualifizierte im Beruf, Meist wird mit schwerstem Gerät in den klüfligen Fels hineingefahren, daß alles bebt, oder es wird gedankenlos gesprengt.
Mit Preßlufthämmern soll nur gearbeitet werden, wo dies unabdingbar notwendig ist. Sandstein und bankiger Fels, mit dem man so grob umgeht, kommt nict zur Ruhe. Nachdem Massenausbruch und Massentransport meist im Akkord geschieht, liegt hier das Geschäft in der erzielbaren Leistung. Die Vernunft bleibt dabei meist auf der Strecke.
Felsabtrag zur Herstellung von Böschungen muß aber behutsam vorgenommen werden von Leuten, die den Fels begreifen, Gesunde Bänke sollen dabei stehenbleiben, damit das natürliche Gefüge in die Landschaft wirkt, auch wenn dies bedeutet, geringfügig vom geplanten Profil abzuweichen. Lattenprofile sind hier Anhaltspunkte, mehr nicht. Die Felsböschung muß kantig und griffíg bleiben (Abb. 2). Sie muß Nischen bieten, damit sich neben der felstypischen Hera auch trockenheitsresistente Sträucher und Gehölze dort verkrallen können, Die begrünte Felsböschung kann in ihrer Vielfalt zum hochwertigen Biotop werden (Abb. 3). Hier werden sich Magerrasen und trockenheitsliebende Pflanzengesellschaften ansiedlen.
Im Bereich der trassenbedingten Eingriffe in das gewachsene Gelände ergeben sich häufig Probleme mt der Standfestigkeit von Böschungen. Böschungen zeigen dann nicht selten die unterschiedlichsten Rutschungserscheinungen, die bei ein bißchen Nachdenken schon einen Rückschluß auf die Ursache zulassen (Abb. 4). Dabei fällt auf, daß man, wenn die Böschung nicht stehen bleibt, "repariert" und wartet, ob sie diesmal hält. Bei negativem Ergebnis repariert man dann wieder (Abb. 5) Grundlage dieses sinnlosen Handelns ist die Haftungsfrage. Eine Firma wird erst dann aus der Haftung entlassn, wenn der Nachweis erbracht ist, daß eine Böschung “stehenbleibt"!
Die so behandelten Böschungen werden immer fauler. Man unterläßt es häufig, die Ursache zu suchen und zu beseitigen. In der Anfangszeit dieser Erdbaumaßnahmen war nicht selten festzustellen, daß man sich überhaupt nicht mit der Wirkungsweise des Oberflächenwassers befaßt hat, das aus den ackerbaulich oder als Grünland genutzten, geneigten Flächen über den Einschnitten anfiel. So zieht man sich aus beachtlichen Abflußbereichen das Wasser in die Einschnitte der Tunnelportale. Die bei langen Böschungen zwischengeschalteten Bermen weisen häufig falsche Gefälleausbildungen auf. Mit einem Bermengefälle zum Hang hin zieht man sich das unbewältigte Oberflächenwasser in den dahinterliegenden Böschungskörper, macht ihn instabil und programmiert selbst die nächste Rutschung vor (Abb. 6). Nicht geordnet abgeleiletes Wasser im Erdbau wird wirksam! Stehendes Wasser hinter Erdbauten, Straßen und Wegdämmen drückt durch, verformt die unterhalb liegenden Bereiche. Abhängig von der Wasserspeicherkapazität und von der Bodenstruktur fängt der Boden an zu “verbreien". Dies führt dann zum sogenannten Abrißeffekt. Das Material bricht muschelartig aus dem übersättigten Bereich aus und fließt ab.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Empfehlung: Das Oberfächenwasser aus den über dem Eingriff liegenden Bereichen muß geordnet über leistungsfähige Fanggräben mit ausreichendem Gefälle und ausreichender Sohlglätte abgeleitet und auf schadlosem, nicht unbedingt auf kürzestem Wege, dem nächsten natürlichen Vorfluter zugeführt werden. Die Abflußsohlen der Fanggräben müssen dicht sein. Bermen an Böschungen sind mit Außengefälle anzulegen, damit die Abflußgeschwindigkeit im Bereich der Gesamtböschung verlangsamt, der Abfluß über die Berme aber nicht verhindert wird. Erst, wenn die bisher geschilderten technischen Voraussetzungen erfüllt sind, werden kritische Böschungen nach lokaler Beobachtung durch Faschinenbündel, die diagonal zur Fallinie eingebracht werden, gestützt (Abb, 7). Als Faschinenmaterial kommt nur austriebfähige Weide in Frage, die während der Saftruhe gewonnen wird. Bis zur Verwendung müssen die Faschinenbündel im Wasser gelagert werden.
Bei punktuellen Wasseraustritten in Lockergesteinsböschungen wird der Quellbereich mit einer Senkrechtfaschine erfaßt, ggf. kann dieser Faschinenstrang je nach Quellstärke mit einem perfurierten Kunststoffdränrohr, das vinylvlies-ummantelt oder mit einem Kokosfilter umhüllt ist, kombiniert werden. Der im Umgriff durch den Quellaustritt beeinflußte Bereich wird durch fischgrätartige Faschinenanordnung erfaßt. Die Faschinen stränge münden in die Senkrechtentwässerung. Voraussetzung für diese ingenieurbiologischen Maßnahmen ist die satte Ummantelung der Faschinenbündel mit Erdreich. Nur so verfestigen sie durch Wurzelaustrieb den Untergrund, armieren die Böschung, beschatten durch oberirdischen Austrieb die Hangfläche, übernehmen nach Austrieb die Funktion eines Schuttstauers und verhindern Oberflächenerosion und Rutschungen.
Auch im herkömmlichen Erdbau werden Büschungen durch Einsaaten begrünt. In der Regel wird ohne Unterscheidung von Standort, Bodensubstrat, Exposition, Humisierungsstärke und Böschungsstruktur ein im Handel möglichst preisgünstig angebotenens, schnellkeimendes Saatgut verwendet. Dieses Saatgut ist artenarm, häufig besteht es nur aus einer Sorte. Dies bedeutet, daß man auf den sowieso labilen Böschungen allenfalls einen optischen Effekt erzielt. Die Gräser haben alle den gleichen Durchwurzelungshorizont, die gleiche Anfälligkeit, sie sind wegen ihrer Gleichartigkeit gegen Schadeinflüsse alle gleich empfindlich. Eine Billiggrasart kann nicht allen Standortbesonderheiten Rechnung tragen, sie stellt sich meist als die teuerste Art der Berasung heraus. Häufig entsteht so nur ein kosmetischer Rasenteppich mit mangelhafter Verzahnung zum Untergrund. Er rutscht bereits bei der ersten Übernässung flächig ab. Das wird dann wieder “repariert“ (Abb. 8).
Unsere Forderung war, artenreiche Saatgutmischungen aus verschiedenen Gräsern, Wildkräutern und Leguminosen zu verwenden. Deren Zusammensetzung wird je nach Einsaatsituation und Begrünungsziel variiert. Entscheidend für die Artenzusammensetzung ist, ob es sich um eine Lockergesteinsbüschung, eine Felsböschung oder um aus Muschelkalk oder aus Buntsandstein entstandene Böden handelt. Entscheidend kann für die Saatgutwahl auch sein, ob eine Trockenrasenvegetation entstehen soll, oder ob es sich um eine Erstbegrünung für eine nachfolgende Bepflanzungsmaßnahme handelt, In diesem Falle verwenden wir ein Leguminosengemisch - also Kleearten, Lupine und Luzerne, die nicht nur die Eigenschaft haben, den anstehenden Rohboden tiefgründig (bis zu 1,50 m) zu durchwurzeln, sondern durch sog. Knöllchenbakterien den Stickstoffhaushall der Böden für die Folgekultur verbessern. Die bis zu 1 m hohe Grünmasse über dem Boden garantiert eine besser werdende Bodenstruktur durch Schattengare und organische Masse nach dem rostbedingten Zusammenbruch. Grundsätzlich soll durch die Differenzierung in der standortabhängigen Saatgutzusammensetzung eine unterschiedliche Durchwurzelungstiefe mit besserer Verzahnung zum Untergrund und eine verteilte Schadanfälligkeit der oberirdischen Teile bei Gräsern erreicht werden.
Da es sich bei den hier angesprochenen Ansaatflächen überwiegend um steile und damit schwer zugängliche Böschungsbereiche handelt, wird das Saatgut im Naßsaatverfahren eingebracht. Das Saatgut wird hier mit Wasser als Trägersubstanz unter Beimischung von Dünger, Bakterienkulturen und Klebern verwendet und mit hohem Druck hydraulisch auf die Böschung gespritzt, In einem zweiten Arbeitsgang wird eine Mulchschicht aus gehäckseltem Stroh entweder manuell aufgebracht oder aufgeblasen und durch abschließend aufgespritzte Bitumen-Emulsion vernetzt. Durch diese Mulchschicht wird das keimende Saatgut beschattet, ein günstigeres Kleinklima erzeugt und der Wasserhaushalt verbessert.
Die Bepflanzung orientiert sich an der potentiell natürlichen Vegetation, d.h. einer Pflanzengesellschaft, die sich ohne das Zutun des Menschen in einem bestimmten Landschaftsteil im Laufe der Zeit einstellen würde. Dies würde aber unter Umständen Generationen dauern, weil z.B. eine Rotbuche, die sehr wohl ein Endbestandstadium bestimmen kann, nie auf einer Lockergesteinsböschung keimt. Die Natur hat Zeit, und so kommt im Ablauf der einzelnen Vegetationsstufen vom Rohboden zum Wald die einzelne Baumart eben erst zur Entwicklung, wenn sie an der Reihe ist.
Ein Beispiel zum besseren Verständnis: Bliebe ein Kahlschlag unberührt liegen, so könnte sich die Wiederbesiedlung ohne Zutun des Menschen folgendermaßen abspielen: Zuerst besiedeln krautartige Pflanzen wie Huflattich, Habichtskraut, Fíngerkraut, Kamille, Tollkirsche etc. die Fläche. Dann folgen Sträucher wie Himbeere, Brombeere, Holunder und Weide. Diese werden abgelöst durch Eberesche, Birke, Erle usw. Erst in dieser Phase nach entsprechender Bodenreife und Beschattung fangen die den Endbestand bildenden Gehölze wie Buche, Ahorn, Linde etc. an zu keimen.
Mit unseren Pflanzungen haben wir nicht so viel Zeit. Wir arbeiten mit einer Zeitraffermethode. Zuerst wird, abhängig Von der Jahreszeit, das Leguminosengemisch eingesät, in der darauf folgenden Pflanzperiode werden dann die Gehölze der potentiellen natürlichen Vegetation gepflanzt, Zu dieser Gehölzmischung kommt aber ein erheblicher Anteil von Pionier- und Ammenhölzern der oben zitierten Arten. Dies sind Holzarten, die nur für das Aufkommen und die Entwicklung des Endbestandes wichtig sind. Sie bereiten den Boden auf, stabilisieren rutschgefährdete Situationen, beschatten den Boden. Sie können aber auch vernäßte Böden durch Wasserentzug und Verdunstung verbessern. Durch den Schattendruck werden die Endbestandshölzer angeregt, ans Licht zu gehen, sie überwachsen nun die Pionier- und Ammenhölzer, die nun ihrerseits ihre Funktion erfüllt haben und zusammenbrechen oder durch einen Läuterungshieb entfernt werden.
Pflanzmaßnahmen sind differenziert zu betrachten nach vorhandener Vegetation der Anschlußbereiche, nach Standortvorgabe, nach mechanischer und ingenieur-biologischer Notwendigkeit und letztendlich nach Zuordnung zum vorhandenen Landschaftsbild. Beachtet man diese Grundsätze, so wird man in kürzestmöglicher Zeit ein Höchstmaß an Belastbarkeit eingebrachter Wiederbegrünungssysteme und ein Optimum landgschaftlicher Einbindung ereichen. Anrisse in der gewachsenen Landschaft, insbesondere instabile Situationen, dürfen nicht über längere Zeit unbearbeitet liegenbleiben. Die wiederbegrünende ingenieurbiologische Rekultivierungsmaßnahme muß die Baumaschinen aus dem Eingriffsort hinausdrängen. Aufbauen, nicht reparieren, ist die Lösung (Abb. 9).
Die Erkenntnis und die Einsicht über das Ineinandergreifen der am Naturhaushalt beteiligten Dinge ist wichtig, falsch dagegen das Handeln, das nur vom “Nachahmenwollen" bestimmt ist. Erhart Kästner sagt in seinem kleinen Buch “Aufstand der Dinge": “Im Versuch der Nachahmung natürlichen Geschehens ist bereits die Ursache des Scheiterns enthalten." Die Verwendung von Pflanzen in der Landschaft soll nicht willkürlich vorgenommen werden. Es soll ihr eine Zielvorstellung zugrundeliegen, deren Schwerpunkt entweder ingennieurbiologischtechnisch, ökologisch oder auch landschaftsästhetisch zu verstehen ist. Die Skala ist breit, sie geht von der 2-mähdigen Streuobstwiese hin bis zur mit ingenieurbiologischen Mitteln stabilisierten intensiven Aufforstung eines artenreichen, abgestuften Mischwaldes.
Man stellt im Zusammenhang mit unserer Arbeit in der Landschaft immer die Forderung nach “Wartungsfreiheit". Diese Forderung ist zwar verständlich, aber nur z.T. realisierbar. Den Begriff der Wartungsfreiheit gibt es auch auf dem technischen Sektor nur theoretisch. Wir müssen unterscheiden zwischen Wartung und Pflege! Der Aufwand hierzu kann in Relation zur Extremität des vorhandenen Eingriffs stehen, er muß es nicht, Die Brennerautobahn ist ein extremer Verkehrsweg, er wird dauernd gewartet - nicht gepflegt. Die Wartung auf technischem Gebiet hat allenfalls werterhaltende und sicherheitsbedingte Ziele mit zeitlich beschränktem Erfolg. Die Pflege unserer Maßnahmen dagegen hat aufbauende Tendenz mit zunehmender Stabilität. Das ist der Unterschied.
Ein weiterer Unterschied zum technischen Produkt ist die diametrale Entwicklung von Wartung und Pflege. Das technische Produkt erfordert mit zunehmendem Alter eine Zunahme von Wartung! Bei naturverstandenem Landschaftbsbau nimmt der Wartungs- oder hier besser: der Pflegeaufwand ab. Man pflegt jemanden gesund, man wartet ihn aber nicht gesund. Der Begriff der Pflege ist etwas Natürliches, das sollte man auch so akzeptieren. Die Pflege hat ein Ende, die Wartung nicht.
Ein weniger erfreuliches Kapitel ist der zeitgemäße Umgang mit Bächen und Gräben. Hier läßt sich oft feststellen, daß den hier wirkenden Technikern der Umgang mit natürlichen Gewässern fremd geworden ist. Die Folge ist eine zu hohe Fließgeschwindigkeit, der man mit einer Ausbetonierung des Querschnitts durch Betonkammersteine zu begegnen versucht. Wehe, wenn das Hochwasser bei diesen Stromschnellen eine Lücke findet und die Sohlarmienmg unterläuft (Abb. 10).
Der Etschbach bei Burgsinn ist ein beschaulich mäandrierendes Bächlein. Seine Ufer waren mit Erlen und Haselbüschen bestanden, sie haben ein mögliches Hochwasser gebremst, gefiltert, die Ufer gehalten. Ein Schaden ist nicht festzustellen. Das, was die Ingenieure aus dem Etschbach gemacht haben, erinnert mitunter an Alwin Seifert, wenn er behauptet: “Zement verdirbt den Charakter". Wir sehen hier ein Paradebeispiel hilflosen Umganges mit Wasser (Abb. 11). Die Wasserbauer des Voralpenlandes wissen hier eleganter mit den viel heimtückischeren Bergbächen umzugehen. Sie arbeiten mit natürlichen Baustoffen wie Holzquerschwellen, Drahtschotterkästen und der lebenden Pflanze (Abb. 12). Der Bach wird gebremst ins Tal geführt, nicht durch einen betonierten Schußkanal, der eigentlich noch mit Eisengittern abgedeckt und am oberen Ende mit einem Rechen verschlossen werden müßte und der trotzdem eine Todesfalle für die Tierwelt darstellt.
Die Gewässer werden oft widernatürlich geradlinig geführt. Die Tendenz des Wassers ist immer schwingend. Schwingendes Wasser hat ein geringes Sohlgefälle. Erodierende Energie läßt sich abfangen und bewältigen am Prallufer und am Absturzbauwerk.
Es gibt eine Abhandlung von den Überschwemmungen in Tirol von einem Franz Zallinger zu Thurn, Priester, Doktor und Lehrer der Physik an der Universität Innsbruck, erschienen im Jahre 1779, Darin finden sich folgende Sätze: “Von der natürlichen Uferbefestigung. Diese Namen verdienen nicht nur überhängende Felsen, die, wenn sie die gehörige Höhe haben, jeder Überschwemmung Trotz bieten, sondern auch all jene Ufer so mit Stauden, Gesträuße und Bäumen besetzt sind, denn die Wurzeln strecken sich weit in dem Erdreiche aus. Sie halten den Boden fest zusammen und beschützen denselben sowohl wider den Druck als Stoß des Wassers. Steiget das Wasser in dem Rinnsale und beginnet auszutreten, so wird doch seine Bewegung durch das Gesträuße und die Bäume ungemein gehemmt. Diese Hemmung bringet einen Anwachs von Erde, Sand und Steinen hervor und eben dadurch wird so ein Ufer mehr gefestigt. Überdies, weil die Stauden und Bäume viel Wasser zu ihrer Nahnıng gebrauchen, thun sie sehr gute Dienste, die vom Regen und Schnee nasse Erde und sünftigen Boden geschwinder auszutrocknen. Wie dienlich sind die Gesträuße und Felberbäume mit dem Faschinenbaue..."
Es ist unser Ziel, bei den streckenbegleitenden Rekultivierungsarbeiten das Wasser in der Landschaft zu halten, es erst mit Verzögerung und verlangsamt in die Vorfluter der Täler abzugeben. Dabei sind die Gräben und Bächlein möglichst mit Doppelprofil auszubilden. So kann sich der Wasserfluß bei Hochwassersituationen flachfließend verbreitern, ohne Schaden anzurichten. Wo es der Geländeumgriff zuläßt, schieben wir im modellierten Massenauftrag Kuhlen aus, in denen sich ganzjährig Wasser sammeln kann, um Rückzugs- und Laichmöglichkeiten für Amphibien zu schaffen. Am Rande geschichtete Steinquader bieten Schlupfmöglichkeiten für allerlei Getier (Abb. 13 und 14).
Flache, geneigte Geländesenken werden mit quergerichteten flachen Rippen gegliedert, um Feuchtbereiche zu erzielen, die dann mit standorttypischen Pflanzen beimpft werden. Wir verstehen es als unsere Aufgabe, trassenbegleitend ein Netz von ökologisch wertvollen Trittsteinen unterschiedlicher Art zu schaffen, die so engmaschig angelegt sein müssen, daß gegenseitige Kommunikation der dort ansässig gewordenen Tierwelt möglich ist und ein hohes Maß an Vernetzbarkeit und ökologische Stabilität erreicht wird.
Die geordnete Ableitung der in der Landschaft auftretenden Hochwasser - hier meist entstehend aus spontan auftretenden Oberflächenabflüssen - ist ein verständliches Anliegen jener Projektanten, die das “Technische“ einer Baumaßnahme zu bewältigen haben. Hier finden wir ein merkwürdiges Phänomen. Einerseits wird, wie ausgeführt, das Wirken des Wassers in der Landschaft eindeutig vemachlässigt, andererseits widmet man sich dieser Frage mit einer die Sache verfremdenden, technisch pervertierten Aufmerksamkeit. Die Ausgangswerte sind: die Oberfläche des Einzugsgebietes, der 100-jährige Niederschlag, die in den letzten 100 Jahren aufgetretene höchste Hochwasserführung eines sonst belanglosen Bächleins und die einschlägigen Schleppspannungsformeln.
Die Ergebnisse funktionieren zwar technisch, können aber auch nur mehr technisch verstanden werden, denn sie sind naturfremd. Die Naturfremdheit der Behandlung des Wassers in der Landschaft hat die Wurzeln aber schon in einem ertragsorientierten Flurbereinigungsdenken. Die Speicher- und Filterfähigkeit der Landschaft durch Feldraine, Feldhecken, Geländesenken, Verbuschungen etc. ist stark beeinträchtigt, Jetzt versucht man, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.
Regenrückhaltebecken sind in der Landschaft liegende Ovale, die sich über eine befestigte Überlaufstrecke bei einem bestimmten Wasserstand eines am Rande vorbeifließenden Grabens füllen und das Wasser über einen entsprechend klein dimensionierten Rohrablauf mit Zeitverzögerung wieder abgeben. Die ebenflächig zum Auslauf hin geneigte Beckensohle garantiert einen geordneten Leerlauf. Wasser in der Landschaft hat aber eine andere Aufgabe, als “nur abzufließen".
Die Regenrückhaltebecken müssen zwar als Wirtschaftseinrichtung in der Landschaft verstanden werden. Sie sollen aber naturnah gestaltet sein, so daß sie eine Vielzahl ökologischer Funktionen übernehmen können. Sie brauchen nicht nur eine Nettowasserfläche, sondern einen Umgriff, der die in der Nutzlandschaft verlorengegangenen Rückzugsbereiche mit entsprechender Pufferwirkung ersetzen kann. Die Becken sollen vielförmig ausgebaut werden mit einer langen Uferlinie. Die innen- und außenliegenden Böschungen müssen unterschiedliche Neigungen erhalten. Sohleintiefungen unter das Auslaufniveau können eine ganzjährig beschränkte Restwassermenge sicherstellen, an deren verschlammten Ufern sich Unterwasser- und Verlandungsflora ansiedeln kann. Die einbindende Pflanzung soll aus fruchttragenden Gehölzen bestehen. Eine Ausstattung mit Greifvogelstangen ist nötig, bis die heranwachsenden Bäume diese Funktion übemehmen können, Zufahrtsmöglichkeiten müssen eine evtl, notwendige penodische Räumbarkeit sicherstellen (Abb. 15 und 16).
Bei der Durchführung der Baumaßnahme fallen enorme Maıerialmassen aus Tunnelausbrüchen und Einschninstrecken an. Wenn sich diese anfallenden Massen im Sinne der Landschaftsplanung vertretbar im Bereich der Neubaustrecke landschaftsschonend einbringen lassen, so ist das nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen zu begrüßen, sondern auch aus naturschützerischer Sicht zu akzeptieren. Nicht immer geht diese baustelleninterne Bilanz auf. Wie soll man dann verfahren? Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine ist für die Bundesbahn die angenehmere, die zweite dagegen für die Landschaft die richtigere.
Im ersten Fall übeträgt die DB die Massenbeseitigung dem anbietenden Unternehmer. Die Problemlösung liegt hier in der Hauptsache im wirtschaftlichen Bereich. Das Genehmigungsverfahren liegt auf Landratsamtsebene und die Praxis zeigt nicht selten, daß dann die Interessen der Landschaftsplanung ins Hintertreffen geraten.
Vorbildlich dagegen sind jene Beispiele, bei denen sich die Bundesbahn im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens der Mühe der Deponieplanung und -abwicklung unterzieht. In diesem Fall werden nicht ökologisch wertvolle Main-Seitentäler verfüllt, sondern in der Landschaft vertretbare Standorte in einem Abwägungsverfahren selektiert, die Ansprüche des Naturschutzes und der Landschaftsplanung gegen die berechtigten Interessen der Landwirtschaft abgewogen. Mit diesem zweifelsohne mühseligen Weg werden Lösungen gefunden, die eine gewachsene Landschaft nicht vergewaltigend planieren, sondern die in der Verformung dem Charakter und der ursprünglichen Geländeausformung gerecht werden.
Ich möchte mich hier auf das Beispiel der Deponie Schwarzenfels beschränken. Die Fachkollegen Ingenieurbau, Hydrologie, Landwirtschaft, Flurbereinigung und Landschaftsplanung wirkten hier zusammen, die gegenseitigen Argumente abzuwägen, ohne dabei die Interessen der betroffenen Gemeinde aus dem Auge zu verlieren: Der Mutterboden wird in geordneten Mieten gesichert, das darunterliegende bindige Zwischenmaterial abgetragen und beiseitegesetzt. Quellfassungen und notwendige Drainagen werden gebaut. Dann wird das Ausbruchsmaterial aufgetragen nach konkret errechneten Höhenschichtlinien natürlicher Geländeausformung. Es wird mit dem zwischengelagerten Unterboden in einer Stärke überdeckt, die die für landwirtschaftliche Nutzung notwendige Wasserhaltekapazität sicherstellt. Nach Mutterbodenauftrag wird über die Zeit von zwei Jahren ein Gründungs-Gemisch angebaut, das den auf den Mieten gelagerten Boden wieder aktiviert. Es werden die neuen Feld-Erschließungswege angelegt, die an der Böschung der verflachten Ackerterrassen liegen. Die Terrassenböschungen werden mit Feldgehölzen und Wildobst bepflanzt. Die rekultivierte Deponie läßt den Rückschluß, daß es sich hier um eine künstlich verformte Landschaft handele, nicht mehr zu (Abb. 17).
Mit den Massen aus Tunnelausbruch und Einschnitten darf man die Landschaft nicht verstümmeln. Es ist richtiger, deren Ausdruckskraft, ihre Reliefenergie zu überzeichnen oder zumindest natürliche Geländeausformungen nachzubilden. Den Begriff der "Verfüllung" darf es hier nicht geben.
Feld-Erschließungswege sind den naturgeformten Höhenschichtlinien anzugleichen. Die Bauern sollen es leichter haben, deshalb verflacht man die landwirtschaftlich genutzten Flächen. Als Abfallprodukt entstehen Böschungsranken, wie wir sie in alter Kulturlandschaft auch finden. Diese Abfallflächen gehören dem Naturhaushalt. Dort können wieder Hecken aus heimischen Holzarten entstehen, sie bilden Standort, Rückzugsgebiet und Wanderweg für viele Tiere, Brut- und Nahrungsmittelbiotop. Als landschaftsgliedernde Filter regeln sie den Wasserabfluß.
Unsere Tätigkeit an Baustellen, wie sie die Neubaustrecke der DB darstellt, ist mühsam. Sie ist erzieherisch und auch von Rückschlägen geprägt. Es ist uns aber auch eine Genugtuung und eine große Freude, wenn wir uns von örtlichen Zentralen Bauleitungen und ausführenden Firmen verstanden sehen und feststellen, daß der Techniker anfängt, ökologisch zu denken und in diesem Sinne auf der Baustelle seine Anweisungen trifft. Auch wir haben gelernt, es mit dem gewiß lebenskundigen Goethe zu halten, wenn er sagt: “Wir haben nach lange nicht zu fürchten, daß wir übetstimmt werden, wenn man uns auch widerspricht. Nur keine Ungeduld! So findet sich am Ende noch eine genügsame Zahl, die sieh für unsere Art zu denken erklärt."
Trassen für neue Verkehrssysteme, gleich welcher An, hinterlassen in der Landschaft Spuren und stellen einen Eingriff in den Naturhaushalt dar. Die Aufgabe des Landsvhaftsplaners ist es, diese Eingriffe optisch und ökologisch so gering wie möglich zu halten oder sie, wenn möglich, an der Strecke auszugleichen. Dies erfordert haufig ein Umdenken in der Anwendung bestehender Richtlinien und eine Rückbesinnung auf naturnahen und handwerklich-materialgerechten Umgang mit Boden, Fels, Wasser und Pflanze. Wenn ein bekanntes populärwissenschaftliches Monatsmagazin eine geplante Reportage über die Neubaustrecke der DB zwischen Fulda und Würzburg mit der Begründung, “ein Eingriff in die Landschaft ist dem Leser nicht mehr zu vermitteln", absetzt, dann scheint dies weitgehend gelungen zu sein.
Karl Kagerer
aus SIGNAL 8/1990 (November 1990), Seite 10-15