Aktuell
Am 22. Dezember 1990 wurde der seit 1961 ohne Halt durchfahrene S-Bahnhof Bornholmer Straße auf der Nordbahn wieder in Betrieb genommen, so daß die Fahrgäste nun auch hier wieder in die zwischen Wannsee und Frohnau verkehrenden S-Bahn-Züge der BVG einsteigen können. Ein zweiter Bahnsteig, der den Zustieg zu den über Schönhauser Allee und Pankow verkehrenden S-Bahn-Zügen der DR und ein Umsteigen zwischen beiden Strecken ermöglicht, soll bis zum Sommer 1991 fertiggestellt sein - ein Projekt, an dessen Zustandekommen die IGEB nicht ganz unbeteiligt war. Überhaupt kann der S-Bahnhof Bornholmer Straße insgesamt durchaus als Modellfall im Sinne der Fahrgastinteressen gewertet werden, weil der alte Bahnhof schon lange vor Abschluß der Bauarbeiten für die Fahrgäste nutzbar ist, und weil durch den Bau eines provisorischen S-Bahnhofes für die Züge der DR ein langjähriges Warten bis zum geplanten, aber derzeit nicht finanzierbaren großen Umbau des Bereiches Gesundbrunnen/Bornholmer Straße vermieden werden kann.
1. Feb 1991
Die S-Bahn-Züge der BVG werden “voraussichtlich Anfang oder Mitte 1991 wieder ständig auf dem Bahnhof Bornholmer Straße halten", hatte die Senatsbauverwaltung vor einem Jahr angekündigt (vgl. SIGNAL 2/90 ). Nachdem solche Ankündigungen bisher meist nicht eingehalten werden konnten, zuletzt beim 10-Minuten-Takt auf der S2-Süd nach Lichtenrade, mußte es umso mehr überraschen, daß der alte S-Bahnhof Bornholmer Straße schon vor Weihnachten 1990 wieder in Betrieb genommen wurde - nach nur einem halben Jahr Bauzeit, So gab es also für den Bausenator Wolfgang Nagel, den Weddinger Bezirksbürgermeister Wolfgang Spiller und Vertreter von BVG und DR einen berechtigten Anlaß zum Feiern. (Apropos Weddinger Bürgermeister: Hatte man eigentlich übersehen, daß der Bahnhof im Bezirk Pankow liegt?)
Noch aber ist der 1935 im Zusammenhang mit dem Bau der Nord-Süd-S-Bahn errichtete Bahnhof (nach Entwürfen des berühmten “Bahnarchitekten" Richard Brademann) eine einzige Baustelle. So fehlt u.a. die Bahnsteigüberdachung, und der Zugang ist noch nicht über das alte Empfangsgebäude auf der Südseite der Bösebrücke möglich, sondern nur über provisorische Holztreppen auf der Nordseite, wo ein neuer, bisher nicht vorhandener Zugang im Bau ist, Den zweiten Bahnsteig, an dem später wieder die Züge Richtung Norden halten sollen, gibt es gar nicht mehr, lediglich die Zugänge werden gleich jetzt gebaut. Zunachst müssen die Fahrgäste, die in Bornholmer Straße von den Zügen der BVG in die der DR umsteigen wollen, zur Bösebrücke hochsteigen und zum provisorischen Bahnsteig laufen, den die DR bis zum Sommer fertigstellen will.
Trotz oder gerade wegen dieser Situation betrachtet die IGEB den Bahnhof Bornholmer Straße als Erfolg. Warum? Als Anfang 1990 die Wiedereröffnung der seit 1961 stillgelegten S- und U-Bahnhöfe vorbereitet wurde, gab es beim S-Bahnhof Bornholmer Straße unterschiedliche Meinungen, wie dies geschehen soll. Denn hier gab es zwei besondere Aspekte zu berücksichtigen:
Zwei Positionen bildeten sich heraus (vgl. SIGNAL 4/90 ):
Die einen wollten zwar eine Reaktivierung des alten S-Bahnhofes für die BVG-Züge, aber die Verknüpfung mit den östlichen S-Bahn-Strecken sollte erst im Rahmen einer Gesamtlösung für das “Nordkreuz” erfolgen. Den Bau des provisorischen Bahnsteiges, der zwar noch keine betriebliche Verknüpfung, aber eine kurzfristige Umsteigemöglichkeit schafft, lehnten sie wegen der "verlorenen Kosten“ für das Provisorium, wegen der Lärmbelastung für die Anwohner und der Gefahr einer Verzögerung für die “große Lösung" ab.
Die anderen, darunter die IGEB, forderten den provisorischen Bahnsteig, weil damit wenigsten überhaupt eine Umsteigemöglichkeit geschaffen wird. Für das natürlich weiterhin angestrebte bequeme Umsteigen am Bahnsteig sind so umfangreiche Umbauten erforderlich, daß es noch Jahre dauern wird, weil dafür noch nicht einmal eine abgestimmte Planung vorliegt und weil deren Kosten von insgeesamt rund 200 Mio. DM auf absehbare Zeit nicht finanzierbar sein werden.
Auch mehrmonatigen verwaltungsinternen und öffentlichen Diskussionen fiel endlich die Entscheidung zugunsten der kurzfristig realisierbaren, provisorischen Lösung: An den S-Bahn-Gleisen zwischen Pankow und Schönhauser Allee werden 1991 zwei einfache Seitenbahnsteige mit Zugängen nördlich der Bösebrücke und einem ebenerdigen Zugang von der Norweger Straße zum Gleis Richtung S-Bf. Pankow gebaut.
Bei einer späteren Realisierung der “großen Lösung" werden die beiden Seitenbahnsteige wieder aufgegeben. Der Verkehr der verschiedenen S-Bahn-Strecken soll dann im Richtungsbetrieb über zwei Bahnsteige (mit vier statt früher drei Gleisen) des alten, jetzt wiedereröffneten Bahnhofes abgewickelt werden (s. Abb.). Die Züge sollen von allen in alle Richtungen fahren können, also von Norden wahlweise auf den Ost- oder Westring oder in den Nord-Süd-Tunnel und von Süden auf die Nord- oder die Stettiner Bahn. Die heutige Trasse der von der DR betriebenen S-Bahn wird für den Fernverkehr benötigt.
Mit der Entscheidung für das Provisorium konnte am S-Bahnhof Bornholmer Straße endlich einmal die von der IGEB seit Jahren vertretene Position durchgesetzt werden, daß schnelle Verbesserungen für die Fahrgäste wichtiger sind, als perfekte Lösungen in ferner Zukunft.
Ein weiterer Erfolg für die Fahrgäste ist die Wiederinbetriebnahme des alten Bahnhofes schon lange vor dem Abschluß der Bauarbeiten. Zwar sind auch bisher schon S-Bahnhöfe unter Betrieb umgebaut (Steglitz), renoviert (Anhalter Bahnhof) oder vor Abschluß von “Feinarbeiten" eröffnet worden (Wannseebahn 1985). Aber eine Inbetriebnahme nach nur wenigen Monaten Bauzeit mit zahlreichen kleinen Provisorien und noch umfangreichen Bauarbeiten ist - leider - neu. Dieser erfolgreichen Premiere, die zeigt, daß es auch anders geht als bisher, müssen nun weitere Schritte in diese Richtung folgen, z.B, beim geplanten S-Bahnhof Kolonnenstraße und bei der Wiederinbetriebnahme der Kremmener Bahn:
Dieses Verfahren ist sinngemäß auch auf andere Maßnahmen zu übertragen, so die Reaktivierung der Ringbahn und der Radialstrecken ins Berliner Umland, Es ist nachvollziehbar, daß BVG und Reichsbahn lieber schlüsselfertige Bahnhöfe bekommen wollen statt - wie in Bornholmer Straße - einen halbfertigen und einen provisorischen. Aber die große Zahl stilliegender Strecken und fehlender Bahnhöfe bei wachsenden Straßenverkehrsproblemen und sinkenden Etats zwingen zum überfälligen Umdenken.
Wohin es führt, wenn die Planer meinen, den Fahrgästen nur perfekte oder gar luxuriöse Bahnhöfe anbieten zu können (das Stichwort Buckower Chaussee soll genügen), und wohin es führt, wenn die Techniker meinen, sich mit modernster, vermeintlich zukunftsträchtiger Zugsicherungstechnik ihren Platz in der Chronik der Eisenbahn sichern zu müssen (Stichwort EZS 800), das hat der Westteil Berlins exemplarisch vorgeführt: Vor sieben Jahren wurde die S-Bahn, verbunden mit großen Hoffnungen, von der DR in Westregie übernommen. Aber seit der Wiederinbetriebnahme der Wannseebahn am 1. Februar 1985 kamen kein einziger Meter Strecke und nur ein Bahnhof (Schichauweg) hinzu. Nun konnte dieser (Mißerfolgs-)Bilanz mit dem S-Bf. Bornholmer Straße - früher als erwartet - ein positives Beispiel angefügt werden Weitere folgen hoffentlich schon bald.
P.S.: Zwei behebbare Mängel sind nachzutragen. Auf dem Bahnsteig des S-Bfs Bornholmer Straße hat die DR - wie auf vielen ihrer Bahnhöfe - die überholte BVG-Netzspinne vom April 1990 aufgehängt. In diesem Fall ist das nicht nur irritierend, sondern grotesk, da dieser S-Bf. darin noch als "Bahnhof ohne Halt" gekennzeichnet ist. Ärgerlich ist auch, daß an der Bushaltestelle, die dem Bahnhofszugang am nächsten ist, nur die Busse der BVG-Nachtlinie 16 halten, während die Tageslinie 89 daran vorbeifährt. Wenn schon kein Halt auf der schmalen Bösebrücke möglich ist, so sollte der 89er im Interesse der Umsteiger in beiden Richtungen wenigstens unmittelbar vor und hinter der langen Brücke halten.
IGEB
aus SIGNAL 1/1991 (Februar 1991), Seite 4-6