Planung
Überall in der Welt sind in den letzten Jahren mit großem Erfolg moderne Stadtbahnsysteme eingerichtet worden. Hinsichtlich Effizienz und Stadtverträglichkeit von Stadtbahnen haben Städte wie Zürich und Karlsruhe Maßstäbe gesetzt. Andere Städte folgten, indem sie bestehende Straßenbahnnetze ausbauten oder sogar neue einrichteten (z.B. San Diego, Los Angeles, Grenoble). Auch in Hamburg haben Politiker aller Parteien inzwischen erkannt, daß die erst 1978 erfolgte Stillegung ein schwerer Fehler war. Nun diskutiert man dort, wie die Ergebnisse eines Gutachtens zum Straßenbahnneubau, der im Vergleich zum U-Bahn-Bau viel preiswerter ist, möglichst schnell in die Tat umgesetzt werden können. Und während in Berlin die Verkehrsplaner wieder Stillegungspläne für große Teile des hier zur Zeit fast 180 km langen Straßenbahnnetzes schmieden, konnten sich Vertreter der IGEB bei London Regional Transport (LRT) davon überzeugen, daß die Verkehrsplaner der britischen Hauptstadt ganz andere Pläne haben.
1. Mai 1991
Nachdem in London am Anfang der 50er das dichte Straßenbahnnetz binnen kürzester Frist stillgelegt wurde, plant man nun die Einrichtung eines zunächst ca. 30 km langen neuen Stadtbahnnetzes im Süd-Londoner Bezirk Croydon, dem bedeutendsten Londoner Büro- und Einkaufsgebiet außerhalb der City. Unter dem Stichwort “Öffentlicher Nahverkehr für das 21. Jahrhundert" sollen mit der Stadtbahn die chronischen Verkehrsprobleme, von denen ganz London tagtäglich geplagt wird, schnell und preiswert gelöst werden. Denn längst hat man in Croydon und bei LRT erkannt, daß der Bau neuer Straßen nur zusätzlichen Verkehr und Chaos erzeugt und daß der Bau von neuen Schnellbahn- oder gar U-Bahn-Linien viel zu teuer ist und sich außerdem nur im Schneckentempo realisieren ließe.
Die Vorteile von modernen, geräuscharmen, umwelt- und stadtverträglichen Stadtbahnen haben vor Ort alle Politiker erkannt, und so findet das "Tramlink"-Projekt denn auch die Unterstützung aller Parteien und aller betroffenen Nachbarbezirke. Denn auch die Nachbarbezirke profitieren von der neuen Stadtbahn-Tangentialverbindung durch verbesserte Erreichbarkeit. An mehreren Stellen wird es Umsteigemöglichkeiten zum dichten Eisenbahnnetz von British Rail geben und in Wimbledon auch zur Londoner U-Bahn.
Schon frühzeitig wurde mit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit fur das “Tram1ink"-Projekt durch umfangreiches Infornationsmaterial begonnen. Als ein besonders wichtiger Punkt sind dabei die Vorteile eines modernen Stadtbahn-Systems hinsichtlich der Umweltverträglichkeit gerade auch im Vergleich zum Bus verdeutlicht worden. Hier bestand ein großer Informationsbedarf, denn - ähnlich wie in Berlin - kann sich mangels Beispiel auch kaum ein Londoner ein Bild von einer modernen Stadtbahn machen. Nachdem von Experten unter Berücksichtigng von technischen, finanziellen und Umwelt-Gesichtspunkten mehrere Routen untersucht worden sind, wurden die Bürger bis Ende März 1991 in Ausstellungen, Videos und schließlich nicht weniger als 12 Informationsveranstaltungen über das Vorhaben - und mögliche Alternativrouten - in Kenntnis gesetzt und angehört. Auch wenn die exakte Auswertung der Bürgereingaben noch aussteht, schätzt der zuständige Manager von LRT, Tim Yardley, daß 80% dem Projekt zugestimmt haben.
Das Ergebnis ist nicht nur ein Erfolg für die Straßenbahn, sondern auch ein Beweis, wie erfolgreich eine Verkehrsplanung, die bei uns nur hinter verschlossenen Amtstüren stattfindet, sein kann, wenn die Bürger informiert und beteiligt sind. So stehen die Chancen gut, daß in Croydon der erste Abschnitt Mitte 1994 in Betrieb gehen kann.
Und dabei machen es sich die Londoner Verkehrsplaner nicht leicht. Sie nutzen nämlich das ganze Spektrum von Einsatzmöglichkeiten eines modernen Stadtbahnsystems. So liegt der überwiegende Teil der Strecken auf vom übrigen Straßenverkehr abgegrenzten Trassen und, wenn der Platz besonders knapp ist, auch mal im normalen Straßenplanum. Im Haupteinkaufsgebiet soll die Strecke durch die Fußgängerzone führen. Und schließlich sollen auf mehreren Abschnitten die Eisenbahngleise von British Rail mitgenutzt werden: Zum Teil auf Strecken, an deren Aufrechterhaltung British Rail kein Interesse mehr hat, zum Teil aber auch auf Abschnitten, die weiterhin von der Eisenbahn benutzt werden sollen.
Überall werden die Züge jedoch freie Fahrt bekommen, denn selbstverständlich gehört zu dem System an allen Ampeln eine Vorrangschaltung. Und auch sonst werden die Londoner "Supertrams" den Fahrgästen alle Vorzüge bieten: Stufenloser Einsteig, problemloser Zugang zu den Haltestellen, Einsehbarkeit von Haltestellen und Fahrzeugen, dichter Haltestellenabstand, dichter Takt etc. Die Kosten werden sich für die 30 km langen Strecken inklusive der bei British Rail anfallenden Kosten auf umgerechnet ca. 240 Millionen DM belaufen. Dem britischen Parlament, das dem Vorhaben zustimmen muß, soll zum Ende des Jahres die Kostenrechnung vorgelegt werden. Zu diesem Zeitpunkt werden sich dann die Parlamentarier schon in einer anderen britischen Großstadt von den Vorzügen eines Stadtbahnsystems überzeugen können, dem sie bereits 1988 zugestimmt haben:
Als erste britische Stadt entschloß sich nämlich Manchester bereits Mitte der 80er Jahre zur Einrichtung eines völlig neuen Stadtbahnsystems, das als Rückgrat des ÖPNV auch die Olympia-Bewerbung der Stadt in das Jahr 2000 unterstützen soll. Ein 32 km langes Netz befindet sich dort gerade im Bau, und Ende dieses Jahres soll der erste Abschnitt in Betrieb genommen werden. Wahrend der überwiegende Teil der Stadtbahn bisher von British Rail befahrene Gleise benutzt, fährt die Stadtbahn durch die City von Manchester überwiegend auf eigenen Gleisen und wird u.a. die beiden wichtigsten innerstädtischen Bahnhöfe miteinander verbinden.
Ab 1. August d.J. werden, nachdem vor kurzem die Zustimmung durch das britische Parlament erfolgte, auch in Sheffield die Bauarbeiten für ein Stadtbahnsystem beginnen. Schon Ende 1993, zur studentischen Olympiade, soll der erste Abschnitt in Betrieb gehen. Insgesamt soll ein Netz von 31 km Länge bis Mitte 1995 in Betrieb gehen.
Darüber hinaus gibt es in zahlreichen anderen britischen Städten konkrete Planungen für neue Stadtbahhnsysteme, von denen die für Birmingham und Glasgow am weitesten fortgeschritten sind.
An diesen Beispielen aus Großbritanien wird deutlich, wie sehr die Berliner Verkehrsplaner von einem Blick auf die Insel lernen könnten. Vielleicht würde ihnen dann klar werden, daß sie mit ihrer Verkehrspolitik, mit der sie in West-Berlin die Straßenbahn in den 60er Jahren vollständig stillgelegt haben und mit der sie nun das Ost-Berliner Netz mit fadenscheinigen Argumenten halbieren wollen, Fehler begehen, die woanders nicht mehr gemacht werden würden.
IGEB
aus SIGNAL 4/1991 (Mai 1991), Seite 11-14