Nahverkehr

Kremmener Bahn kommt in Fahrt

Da die U6 dringend eine Entlastung braucht und weil die Kremmener Bahn zwischen Schönholz und Tegel die besten Voraussetzungen aller stillgelegten Strecken für eine schnelle Wiederinbetriebnahme bietet, forderte die IGEB schon im Dezember 1989, also kurz nach der Maueröffnung, die Wiederaufnahme des 1984 eingestellten S-Bahn-Verkehrs (vgl. Medienecho in SIGNAL 1/90). Damals wurde die IGEB-Forderung noch belächelt, heute - genauer: am 30. April 1991 - befürwortete der Staatssekretär in der Senatsverkehrsverwaltung, Ingo Schmitt (CDU), mit eben diesen Argumenten den schnellen S-Bahn-Verkehr nach Tegel. Hat die schon längst totgesagte Kremmener Bahn also doch noch eine Chance? Wird sie vielleicht sogar eher wieder befahren als andere stillgelegte S-Bahn-Strecken?


IGEB

1. Mai 1991

Am 8. Januar 1984 fuhren zum letzten Mal S-Bahn-Züge von Schönholz über Tegel bis Heiligensee. Dann übernahm der Senat die S-Bahn in West-Berlin und legte die Kremmener Bahn still.

Vergeblich bemühte sich die daraufhin in Heiligensee gegründete S-Bahn-Initiative Kremmener Bahn um eine Wiederaufnahme des Verkehrs. Der Senat ging darauf nicht ein, im Gegenteil! Er nahm die Strecke nicht einmal in sein sogenanntes Zielnetz auf und baute zwischen Tegel und Schulzendorf auf der Trasse der Kremmener Bahn die Autobahn nach Hamburg. Die amtliche Begründung: Ehe ein Landschaftsschutzgebiet für den Autobahnbau beansprucht wird, ist Bahngelände zu benutzen. Dies gelte umso mehr, “da auf dem Bahnkörper zwischen Waidmannsluster Damm und Hermsdorfer Damm kein Eisenbahnbetrieb mehr stattfindet und nach den S-Bahn-Konzept des Senats auch nicht vorgesehen ist, dort in absehbarer Zeit die S-Bahn zu betreiben."

S-Bahn-Zug im Bf. Tegel (April 1991). Seit Sommer 1990 finden regelmäßig Fahrten auf dem intakten Gleis zwischen Schönholz und Tegel statt, leider noch ohne Fahrgäste. Foto: B. Strowitzki
Die neue Stromschiene für die S-Bahn reicht bis zur Gorkistraße. Im Hintergrund der Bf. Tegel. Foto: Ch. Tscheppe

Allerdings hatte der Senat für die S-Bahn-Befürworter ein Trostpflaster parat: “Im Rahmen der Verhandlungen zwischen der Verwaltung des ehem. Reichsbahnvermögens und der Starßenbauverwaltung wird die Straßenbauverwaltung sich verpflichten, bei Wiederaufnahme des Betriebes unverzüglich die entsprechenden Ersatzmaßnahmen zur Wiederherstellung des vorhandenen eingleisigen Betriebes zu leisten, d.h. die entsprechenden Stützmauern, Widerlager, Brücken und Gleise herzustellen." (alle Zitate aus einem Vermerk der Senatsbauverwaltung vom 9.1.1985). Diese Verpflichtung für die ferne Zukunft konnte damals wohl keinen S-Bahn-Befürworter befriedigen, doch plötzlich ist sie hoch aktuell. Sie bietet die Chance, mit Autobahngeldern “unverzüglich“ (Zitat!) die S-Bahn wiederherzustellen.

Noch schneller ist der S-Bahn-Verkehr natürlich auf dem Abschnitt Schönholz - Tegel möglich, Die eingleisige Strecke war nie stillgelegt, da hier auch die Personenzüge der Franzosen und die Güterzüge der DR verkehren. Außerdem werden auf diesem Abschnitt seit Sommer 1990 die Testfahrten mit den von der Waggon Union ausgelieferten neuen S-Bahn-Zügen der Baureihe 480 durchgeführt. Dafür wurde die Strecke in einen hervorragenden Zustand gebracht.

Die Kremmener Bahn bietet also gute Möglichkeiten, daß hier schnell "etwas passiert". Dies haben auch die Berliner Politiker aller Parteien erkannt, von denen zu Recht erwartet wird, daß sie zu den Berliner Bezirkswahlen im Sommer 1992, also bereits 2 1/2 Jahre nach der Maueröffnung, mehr präsentieren können, als wieder nur Absichtserklärungen.

Eine Chance und eine verkehrliche Bedeutung hat die Kremmener Bahn natürlich nur, wenn die Züge aus Berlin wieder ins Umland fahren. Deshalb ist das inzwischen große Engagement in den Kommunen entlang der Strecke und beim Landkreis Oranienburg ein Eckpfeiler für die Wiederinbetriebnahme und verpflichtet alle Beteiligten, parallel zur schnellen Wiederinbetriebnahme des Betriebes bis Tegel sofort mit den Planungen für die Verlängerung über Tegel hinaus zu beginnen.

Daß diese S-Bahn, die in den Köpfen der Verkehrsplaner schon gar nicht mehr existierte und auch nach der Maueröffnung noch als unwichtig abgetan wurde, heute nun in aller Munde ist, haben wir nicht nur der Grenzöffnung und den Politikern zu verdanken, sondern wesentlich den Aktivitäten des Berlin-Brandenburger Fördervereins Kremmener Bahn, Nachfolger der S-Bahn-Initiative. Sein Ziel: Im Oktober 1993, wenn die Kremmener Bahn 100 Jahre alt wird, sollen die S-Bahn-Züge wieder - wie bis 1961 - von Schönholz über Berlin-Tegel und Hennigsdorf nach Velten fahren.

IGEB

aus SIGNAL 4/1991 (Mai 1991), Seite 14