Nahverkehr
1. Mai 1991
13 Bürgermeister oder deren Stellvertreter der Anliegergemeinden der Kremmener Bahn trafen sich auf Einladung des Berlin-Brandenburger Fördervereins Kremmener Bahn am 23.4.l991 im Hennigsdorfer Rathaus zu einem ersten Meinungsaustausch, um die Wiederinbetriebnahme und Weiterführung der alten S-Bahn von Gesundbrunnen über Tegel nach Hennigsdorf und Velten bis nach Kremmen, ja nach Möglichkeit sogar bis Sommerfeld und Beetz, voranzutreiben.
Die Notwendigkeit einer schnellen Aufnahme des S-Bahn-Betriebes wurde von allen Teilnehmern einmütig und dringlich gefordert.
Deutlicher, als es der Bürgermeister von Velten, Michael Reinhardt, ausdrückte, kann man es nicht sagen: “60% der Ansiedlungswünsche kommen von Alt-Berliner Firmen, die mit Hilfe einer Kernmannschaft ihres bisherigen Stammpersonals neue Arbeitsplätze in der Region schaffen wollen. Ohne S-Bahn gibt es aber kaum Bereitschaft, den Arbeitsplatz von Berlin in den Landkreis Oranienburg zu verlegen. Und ohne eingespieltes Kernpersonal ist die Investitionsbereitschaft der Unternehmer deutlich geringer. Ein Teufelskreis!"
Ähnlich dramatisch sah es der Gastgeber, der Hennigsdorfer Bürgermeister Andreas Schulz: “Die rasche Wiederanbindung der S-Bahn an Berlin ist für da Mittelzentrum Hennigsdorf ein existentieller Standordfaktor. Das Tempo des wirtschaftlichen Wachstums von Hennigsdorf wird von dem Tempo der Wiederinbetriebnahme der S-Bahn bestimmt. Darüber hinaus haben die Tausende, die ihren angestammten Hennigsdorfer Arbeitsplatz verlieren, oft nur die Chance, einen neuen Arbeitsplatz in Berlin zu finden. Auch dazu ist die S-Bahn erforderlich, denn selbst, wenn alle Arbeitssuchenden in der Familie ein Auto hätten, bleibt der pünktliche Arbeitsbeginn in Berlin wegen verstopfter Zubringer und fehlender Parkplätze dort ein täglich neues, unerquickliches Abenteuer."
Zusätzliche Forderung, insbesondere der kleineren Orte, die nicht unmittelbar an der Strecke liegen, war, daß die S-Bahn um ein leistungsfähiges Bus-Zubringernetz ergänzt werden muß. Nicht nur der Berufsverkehr erfordert dies, auch den Schülern muß die Möglichkeit gegeben werden, die Schule ihrer Wahl zu besuchen, auch wenn sie etwas weiter entfernt liegt. Die Bildungschancen der Jugendlichen dürfen nicht durch den zufälligen Wohnort bestimmt werden!
Eine dringende Mahnung an alle Planungsverantwortlichen in Kommunen, Kreis und Land ging dahin, daß die Trassenführung der S-Bahn unbedingt abgesichert werden muß. Es mehren sich die Versuche, die ursprüngliche Trasse mit Industrieansiedlungen zu verbauen.
Der Vorsitzende des Fördervereins, Dieter Darkow, wies auf die notwendige Anbindung der S-Bahn an den Bahnhof Gesundbrunnen hin, der der zukünftige nördliche Hauptbahnhof Berlins mit InterCity-, Inter-Regio-, S- und U-Bahn-Anschluß sein wird, also der Verkehrsknotenpunkt im Norden der Stadt. Durch die Anbindung Gesundbrunnens wird die Kremmener Bahn nicht nur für alle Reinickendorfer äußerst attraktiv, auch der Ausflugsverkehr der Berliner ins Oranienburger Umland wird dadurch erleichtert.
Frank Möller vom Förderverein erläuterte den aktuellen Stand der Realisierungsmöglichkeiten des Projektes: Die Aussichten, die Instandsetzungsarbeiten über ABM-Maßnahmen durchführen zu lassen, sind gut. Die ergänzend notwendige Finanzierung der Kapitalkosten soll durch Anliegergemeinden und den Kreis über Kreditaufnahmen erfolgen. Entsprechende Absichtserklärungen der Verantwortlichen liegen weitgehend vor. Schwierigkeiten gibt es noch mit der für die Prüfung von ABM-Projekten Beauftragten Potsdamer Firma BBJ-Consult. Hier ist eventuell eine politische Vorgabe durch die Verantwortlichen der öffentlichen Hand erforderlich.
Die planungsrechtlichen Voraussetzungen werden zur Zeit bei der Brandenburger Landesregierung geklärt. Ungeklärt ist weiterhin, wer für den Betrieb dieser S-Bahn zuständig ist bzw. zukünftig zuständig sein wird. Hier ist eine schnelle politische Entscheidung notwendig.
Neben dieser Kompetenzklärung ist eine schnelle Aufnahme der Planung das Gebot der Stunde, um Tempo in die S-Bahn-Strecke zu bringen. Sollte die Planungskapazität bei den Landesregierungen in Berlin und Potsdam nicht ausreichen, sind die vorhandenen Planungsressourcen beim LEW und beim Stahlwerk zu nutzen. Um den Ist-Zustand der Strecke als Vorarbeit zur Planung schnell zu dokumentieren, ist die Beschäftigungsgesellschaft Hennigsdorf damit zu beauftragen. Darüber hinaus ist unverzüglich ein S-Bahn-Ersatzverkehr mittels Bus vom U-Bahnhof Tegel bis zum S-Bahnhof Hennigsdorf Nord, nach Möglichkeit bis Velten, einzurichten.
Dies waren die einvernehmlichen kurzfristigen Forderungen der Teilnehmer. In den jeweiligen Stadtparlamenten und Gemeindevertretungen sollen diese Forderungen noch einmal im Detail erörtert und durch Entschließungen politisch verstärkt werden.
Berlin-Brandenburger Förderverein Kremmener Bahn
aus SIGNAL 4/1991 (Mai 1991), Seite 15-16